Gerhard Gundermann

Was West-Regisseure am Bagger-Liedermacher interessiert

12:34 Minuten
Der Liedermacher Gerhard Gundermann
Der singende Baggerfahrer: So wurde der Liedermacher Gerhard Gundermann auch genannt. © dpa / Rainer Weisflog
Patrick Wengenroth und Manuel Czerny im Gespräch mit Timo Grampes |
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Er war Liedermacher, Baggerfahrer, Spitzel und wurde aus der SED ausgeschlossen. Drei Theaterpremieren handeln von Gerhard Gundermann: Er sei voller Widersprüche gewesen, erklärt Regisseur Patrick Wengenroth seine Faszination für den Musiker.
Timo Grampes: Gerhard Gundermann, geborenen 1955 in Weimar: Liedermacher, Braunkohlebaggerpilot, erst Stasi-Spitzel, dann aus der SED ausgeschlossen. Ein Mann, der seinen eigenen Kopf hatte und der viel zu früh 1998 mit 43 Jahren gestorben ist. 20 Jahre später hat Regisseur Andreas Dresen Gundermann mit seinem Film dann wieder ins Rampenlicht gebracht.

Drei Mal Gundermann auf der Bühne

Dieser Tage nun findet man unterschiedliche Gunderman-Theaterpremieren in großer Verdichtung auf ostdeutschen Theaterbühnen. Gleich drei innerhalb weniger Wochen sind es. Die erste, in Schwerin, ist vergangenen Freitag gelaufen, unter der Regie von Patrick Wengenroth. Die zweite Premiere läuft heute in Magdeburg unter der Regie von Manuel Cerny.
Wir haben Sie beide eingeladen, um mit Ihnen darüber zu reden, was Sie an Gundermann fasziniert, wie Sie ihn, vielleicht doch ganz unterschiedlich, interpretieren – und das bei Ihnen beiden ohne DDR-Hintergrund: Ohne dass Sie mit seiner Musik aufgewachsen wären, was ist denn das erste Wort, das Ihn zu Gundermann einfällt?
Manuel Cerny: Mir fällt Rückschlag ein: Die Rückschläge, die Gundermann immer wieder in seinem Leben erlebt hat. Deswegen war für mich der Zugang, den der Film hat, nicht interessant.
Mir ist das Thema DDR und die reine DDR-Geschichte Gundermanns nicht so wichtig, sondern dass es eigentlich eine ganz wesentliche Schaffenszeit von ihm nach der Wende gegeben hat – und auch noch mal einen Versuch, sein Leben neu in die Hand zu nehmen. Eigentlich keine Huldigung, sondern eine Befragung von Gundermann. Das interessiert mich.
Baggerführer und Liedermacher Gerhard Gundermann sitzt in seinem Wohnzimmer
Liedermacher Gerhard Gundermann in seinem Wohnzimmer in Spreetal. Das Foto stammt von 1993, fünf Jahre später starb Gundermann.© Zentralbild
Grampes: Und bei Ihnen, Herr Wengenroth, was wäre Ihr eigenes Wort?
Patrick Wengenroth: Das klingt so negativ. Ich hätte Risse gesagt. Aber ich meine das positiv. Es gibt einen schönen Leonard-Cohen-Song: "There is a crack in everything, that's how the light gets in". Das ist deswegen eine reiche Bühnenfigur, weil sie voller Risse und Widersprüche ist. Alles, was hinterher gemacht wird, um eine schlüssige Biografie zu basteln, funktioniert ja nicht.

Die Frau, die Gundermann unterstütze

Grampes: Wie sind Sie denn trotz Nicht-DDR-Sozialisation auf Gundermann gekommen? Wegen oder trotz des Films?
Wengenroth: Ich mochte den Film schon. Ich fand ihn nur 20 Minuten zu lang. Aber mich interessieren Narrative auf der Bühne gar nicht so sehr, sondern eher Situation. Das führt auch bei uns zu einer Multiperspektivität: dass wir drei Gundermänner auf der Bühne haben – statt einem. Und zum Beispiel auch zwei Connys…
Grampes: Seine Frau.
Wengenroth: Genau, Corny Gundermann, die auch im Wesentlichen das Erbe verwaltet, die auch die Rechte vergibt, die ihm auch immer den Rücken gestärkt hat.
Um kurz bei Conny zu bleiben. Das ist für mich eine Story wie Helene Weigel und Brecht. Die hat ihm einfach immer den Rücken freigehalten, dass er seinen Wahnsinn machen konnte.

Viele Sichtweisen auf Gundermann

Grampes: Herr Cerny, was ist es bei Ihnen? Sie haben schon gesagt, der Film zeige nur einen Ausschnitt. Es gibt andere Ausschnitte, die finden Sie viel interessanter. Hätten Sie ihn ohne diesen Film auch auf die Theaterbühne gebracht?
Cerny: Für uns in Magdeburg war der Schauspieler Thomas Schneider ein bisschen ausschlaggebend. Der hatte einmal eine Begegnung mit Gundermanns. Es ist sehr lange her und wirklich nur ein Detail am Rande. Aber daraus entstand bei ihm Begeisterung, über diesen Menschen und die Figur. Dann ging es los zu recherchieren, weil mich das auch interessiert hat.
Jemand behauptet, über Gundermann aus einer sehr fernen Erinnerung etwas zu wissen. Das habe ich oft erlebt, dass Menschen den Gundermann glauben zu kennen, anhand einer Perspektive, die sie auf ihn haben. Dann war die Recherche eigentlich viel interessanter, um herauszufinden, dass sich das dagegen auch sträubt, ihn einfach einzuordnen.
Die Entdeckung für mich war, dass es später in seinem Leben eine Hinwendung zu einer Mystik und zu einer Gottesthematik bei ihm gibt. Diese ist in unserer Inszenierung sehr relevant geworden.

Die Angst, dass der Sommer vorbeigeht

Grampes: Das, woran er glaubt, wird eine große Rolle spielen?
Cerny: Das wird eine große Rolle spielen. Auch das, was Angst in ihm auslöst. Wir treffen uns in einer Gartenlaube, die Gundermann gehört haben könnte. Das auch noch in so einer Zeit, die mit der Sommersonnenwende zu tun hat, was für ihn ein wichtiger Punkt war, um eine Angst, die man hat, dass der Sommer irgendwie vorbei ist, dass man den gar nicht richtig fangen kann.
Da bin ich auf diese Manie gestoßen, Gegenstände zu sammeln, um sich Erinnerung zu manifestieren. Diese Gegenstände tauchen bei uns auf der Bühne auf. Über die wird von Menschen erzählt. Die erzählen von Gundermann anhand dieser Gegenstände und tauchen dann auch in diese Figur ein.
Grampes: Herr Wengenroth, was unterscheidet Ihren Gundermann, beziehungsweise ihre Gundermänner, – es sind drei auf der Bühne – von Herrn Cernys Gundermann?
Wengenroth: Das sind unterschiedliche Settings. Wir hatten die Hypothek oder auch den Luxus, das große Haus in Schwerin zu bespielen. Bedauerlicherweise durften in Stätten über 500 Leute nun nur 170, 190 rein.
Wir haben trotzdem diese Maschinerie, die auch ein Theater darstellt, mit Hubpodien, mit Zügen, mit einem eisernen Vorhang hinten und vorne. Wir haben das genutzt, um den Tagebau darzustellen. Ich dachte, wir bauen nicht aus Pappmaschee ein Schaufelrad. Dann hat eine Bühnenbildnerin, die auch für sehr schlichte, stechende Lösung ist, einfach so eine Art Baustellenturm mit Flutlicht und 2000 Helme hingestellt.

Die eigene Heimat verheizen

Dieser Helme sind auch Sinnbild für diese verschwundene Arbeit, für diese verschwundene Zeit und verschwundene Welt. Weil das ist auch dieses Opfer-Täter-Ding, was sie am Anfang meinen, das ist ganz wichtig: Mann baggert sich die eigene Heimat weg, aber um sie zu beheizen und dabei zu verheizt. Das ist wieder so ein Widerspruch in sich. Das ist total tückisch. Sloterdijk hat da mal von kinetischem Expressionismus gesprochen.
Grampes: Ist es der kinetische Expressionismus, der Gundermann dramaturgisch so universell macht, dass er gleich dreimal in drei Premieren bespielt wird?
Cerny: Man kann ihn natürlich als gespaltene Persönlichkeit interpretieren oder ihn auch als einen Menschen zeigen, der in den verschiedenen Versionen, auf den Bühnen einfach auch ein bisschen Rückzug braucht. Jemand, der sich aus einer Zeit auch gerne mal wieder zurückzieht und sagt, er möchte eigentlich so sein, wie er ist. Er möchte sich auch nicht immer für die Fehler rechtfertigen müssen, sondern sich ein Recht erkämpft, jeden Tag einen neuen Fehler machen zu dürfen.
Grampes: Nun sind in der DDR viele mit ihm aufgewachsen oder kennen ihn. Die Premieren finden alle in ostdeutschen Bundesländern statt. Wie erleben Sie da die Wertschätzung für ihn?
Wengenroth: Ich glaube schon, dass es Leute gibt, die eine gewisse Nostalgie mit ihm verbinden. Man trifft aber auch Leute, die sagen: Lass mich mit dem Gundermann in Ruhe.
Wenn ich eine Sache noch kurz anfügen darf, was mich wirklich sehr fasziniert an Grundermann, ist die Qualität der Texte, wenn man sich die ohne die Musik durchliest. Mein Kostümbildner musste sofort heulen, meinte er. Das ist von dieser wirklich sehr hochen lyrischen Qualität. Deswegen hat mich das auch wegen der Sprache enorm gereizt.
Das Interview liegt in einer leicht gekürzten Fassung vor. Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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