Gerhard Henschel: "Schauerroman"
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021
587 Seiten, 26 Euro
Gerhard Henschel: "Schauerroman"
Gerhard Henschel erzählt im "Schauerroman" erneut von seinem Alter Ego und zeichnet gleichzeitig ein anschauliches Bild der frühen 1990er-Jahre. © Deutschlandradio / Hoffmann und Campe
Selbstporträt als junger Autor
04:48 Minuten
Zum neunten Mal schreibt Schriftsteller Gerhard Henschel über sein Alter Ego Martin Schlosser: In "Schauerroman" beschäftigen ihn vor allem das Geld, die Familie und Frauen. Das Buch spielt in den 90er-Jahren, doch die Gegenwart ist trotzdem präsent.
Martin Schlosser ist zurück, sehnsüchtig von seiner Fangemeinde erwartet. 2004 begann der 1962 geborene Gerhard Henschel mit dem "Kindheitsroman" auf völlig unverstellte Weise, sein eigenes Leben zum Roman zu machen – in einer akribischen, detailfreudigen Weise, wie man es in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur kein zweites Mal findet.
Erfolgreicher Quereinstieg
Mit dem "Schauerroman", dem neunten Teil dieses bald 5000 Seiten umfassenden Zyklus, ist Kempowski-Schüler Henschel immerhin bereits in den Jahren 1992 bis 1994 angelangt. Sein Alter Ego Martin Schlosser hat, allen Unkenrufen seines Vaters zum Trotz, nicht lockergelassen und seinen Plan, nicht in einem öden Brotberuf, sondern als freier Schriftsteller seine Brötchen zu verdienen, hartnäckig verfolgt.
Und siehe da, nach und nach stellen sich Erfolge ein: Martin schreibt für den "Merkur", "Kowalski" und "Titanic", wo er sogar kurzzeitig als Redakteur Anstellung findet, und veröffentlicht in kleineren Verlagen seine ersten Bücher. Wie er befriedigt notiert, hat er es als "Quereinsteiger" geschafft, in die "Republik der schöngeistigen Querulanten" aufgenommen zu werden, und freundet sich mit Gleichgesinnten wie Max Goldt, Eugen Egner, Kathrin Passig oder Eckhard Henscheid an.
Anstrengende Familienmitglieder
Als Basislager dient ihm seine chaotische Wohngemeinschaft in Berlin-Kreuzberg, ein "Kindergarten ohne Aufsichtspersonal", wo Hygiene kleingeschrieben wird und eine Schwäbin namens Sigrun meist vergeblich versucht, für eine gewisse Grundordnung zu sorgen.
Parallel zu seinem Aufstieg als Journalist und Autor kämpft Martin – vertraute Motive der vorangegangenen Romane – mit den Anforderungen seiner anstrengenden Familie. Im "Schauerroman" ist es vor allem der im ungeliebten Meppen hausende Vater, ein Ingenieur im Ruhestand, der Martin das Leben schwer macht. Über den Tod seiner Frau ist er nie hinweggekommen, und so verfällt er, von Krankheiten und vom Alkohol gezeichnet, in einen Weltekel, der sich aus Selbstmitleid und Vorwürfen an seine Kinder speist. Am Ende des Romans stirbt der Vater, elend und uneins mit allem und allen – und doch von Martin aufrichtig betrauert.
Wiederkehrende Motive
Auch der "Schauerroman" bleibt dem Henschel’schen Erzählverfahren treu: In kurzen Kapiteln folgt er chronologisch dem Leben seines Helden, lässt die – gut archivierten – Briefe der Freunde einfließen und baut auf wiederkehrende Motive.
Da leidet das Girokonto häufig unter "Trockenperioden"; da ist die vorzüglich kochende und im "Malefiz"-Spiel oft leidvoll unterlegene Großmutter in Jever der familiäre Ruhepol, und da ließe sich ohne häufig praktizierten Sex ein sinnerfülltes Leben für Martin Schlosser gar nicht denken, begleitet von der Furcht, diese Promiskuität in einer starren Zweierbeziehung irgendwann aufgeben zu müssen.
Bezüge in die Gegenwart
Auf diese Weise zeichnet der "Schauerroman" trotz seines auf den ersten Blick eng gefassten Wirklichkeitsausschnitts ein anschauliches Bild der frühen 1990er-Jahre. Und wenn Martin Schlosser & Co. gegen ein "linksverkitschtes Kulturschaffen" anschreiben oder eine "Querdenker"-Buchreihe verspotten, tun sich Bezüge auf, die weit über die geschilderten Jahre hinausweisen.
Ein Glück, dass – wir wünschen Gerhard Henschel ungebrochene Schaffenskraft – noch etliche weitere Martin-Schlosser-Bände in Planung sind. "Arztroman" soll dem Vernehmen nach der Abschlussband heißen.