Richters Bilder sind analytisch und konzeptionell. Bei kaum einem anderen Künstler findet man eine so grundlegende Befragung des Bildnerischen. Weil die Bilder zugleich aber auch sinnlich und verführerisch seien, könne Richter ein breites Publikum ansprechen, sagt sein ehemaliger Assistent Hubertus Butin .
Der Über-Maler
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Im Werk von Gerhard Richter geht es immer um Freiheit und Verantwortung, um den Widerstand gegen Ideologien jeglicher Art. Das finsterste Kapitel deutscher Geschichte bearbeitete er mit abstrakten Übermalungen. Eine Würdigung zum 90. Geburtstag.
"Es ist mein Hauptinteresse zu malen. Eine gewisse Freiheit, dass ich gerne tue, was ich will. So ein strenges Regime, was ich hatte, erst Hitler, dann die DDR, da ist mir jede Bevormundung furchtbar", sagt Gerhard Richter.
Bei der Eröffnung seiner Ausstellung im Museum Barberini 2018 war Gerhard Richter ungewöhnlich gesprächig. Die Auseinandersetzung mit der zerstörerischen Macht von Ideologien verleiht seinem verzweigten Werk einen inneren Zusammenhang.
Nazis, DDR und Bundesrepublik
Aufgewachsen im Nationalsozialismus, ausgebildet im Sozialismus, gab Gerhard Richter seine Karriere als Wandmaler in der DDR auf und reiste 1961 zusammen mit seiner ersten Frau Marianne, genannt Ema, in die Bundesrepublik aus.
In Düsseldorf nahm er ein zweites Studium auf, bei Karl Otto Goetz, dem Meister des deutschen Informel. Zusammen mit dem Künstlerfreund Konrad Lueg persiflierte er eine neue Ideologie: den kapitalistischen Realismus. 1963 inszenierten die beiden eine Aktion im Düsseldorfer Möbelhaus Berges.
Lebende Skulpturen im Möbelhaus
"Da haben wir uns selbst ausgestellt, auf Sockeln, als lebende Skulpturen und ein Wohnzimmer, mit Fernseher, was man so braucht, und dann noch sämtliche Etagen des Möbelhauses. Das waren vier riesige Etagen mit vielen Schlafzimmern und Wohnzimmern und Küchen. Und da haben wir gesagt, das ist Kunst, das ist unsere heutige Kunst, eine andere haben wir nicht."
So schildert Richter den Auftritt später in einem Gespräch mit dem Sender Freies Berlin. Es ist Pop, Realismus und Malerei. Mitte der 1960er-Jahre verbindet Gerhard Richter Massenmedium und Museum, indem er Fotos übermalt. Eigene Fotos, Bilder aus dem Familienalbum, oder aus Illustrierten.
"Er hat gesagt, ich male keine Bilder, ich male im Grunde Fotos. Meine Gemälde sind Fotografien, weil sie die Qualität des Fotos übernehmen. Zum Beispiel das Schwarz-Weiß, was ja für Malerei sehr ungewöhnlich ist, eine gewisse Unschärfe, weil sie das Verwackelte des Fotos imitiert", sagt Dietmar Elger, Leiter des Gerhard Richter Archivs in Dresden.
Anlässlich des 90. Geburtstags werden Gerhard Richters Künstlerbücher in der Neuen Nationalgalerie in Berlin ausgestellt. Richter benutze die Bücher, um seine eigene Position als Maler zu reflektieren und seine Absichten und Ideen zu demonstrieren, sagt Kurator Michael Lailach .
Opfer und Täter der Euthanasie-Verbrechen
Eines der bekanntesten Bilder zeigt den Künstler als Säugling im Arm seiner Tante Marianne. Sie wurde 1938 mit der Diagnose Schizophrenie in die Psychiatrie eingewiesen und Opfer der nationalsozialistischen Krankenmorde.
Richter malt auch den unauffälligen Herrn Heyde als Spießer im Regenmantel mit Kassengestell. Werner Heyde war für die Euthanasie-Verbrechen der Nazis mit verantwortlich und lebte bis 1959 unentdeckt in der Bundesrepublik.
Für diese Bilder legt Richter die Fotos unter das Episkop, projiziert sie vergrößert auf die Leinwand, zeichnet die Konturen nach und malt die Flächen aus. Dann verwischt er die Farben mit einem breiten Pinsel. Die Unschärfe zwingt die Betrachterinnen und Betrachter, genau hinzuschauen. Dabei hat der Maler immer seine Vorbilder in der Kunstgeschichte im Kopf:
Das geht immer parallel, ein bisschen Größenwahn und Verzweiflung. Immer das Gefühl, es ist alles nichts. Alles Pfusch. Ja, aber dann auf der anderen Seite – besser als die anderen, auf jeden Fall.
Nach einer zwanzigjährigen Phase der Experimente, mit Glasarbeiten, mit Farbfeldern und großformatigen Abstraktionen, verwendet Gerhard Richter 1987 für sein monumentales Werk, den fünfzehnteiligen "Stammheim"-Zyklus, noch einmal Fotos als Vorlage. Pressebilder von den führenden Köpfen der Rote Armee Fraktion, die sich am 18. Oktober 1977 in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart Stammheim das Leben nahmen.
Ortrud Westheider, Direktorin des Museums Barberini, die zwei Ausstellungen zu Gerhard Richter initiiert hat, erkennt in Richters Ausschnitten und seinem Schwarz Elemente der Historienmalerei wieder: "Es sind Tote dargestellt, die an ihrer Ideologie gescheitert sind und die selbst gegen eine andere Ideologie gekämpft haben."
Birkenau im Deutschen Bundestag
Beim "Birkenau"-Zyklus schließlich übermalt Gerhard Richter die Fotografien einer polnischen Widerstandsgruppe aus dem KZ mit abstrakten Farben. Eine Reproduktion hängt in der Westhalle des Deutschen Bundestages und spiegelt sich in Gerhard Richters Installation "Schwarz, Rot, Gold".
Das Glas, die Spiegel, das Material von Kamera und Linse nutzt der Künstler, um das Publikum einzubeziehen:
"Glas ist ja auch ein faszinierendes Material. Man guckt durch, man sieht alles. Und als Spiegel zeigt es ein richtiges Bild, da bin ich noch selber mit drin. Das ist faszinierend", sagt Richter.
Schuld sind nicht nur die anderen. Die Ideologie kann jeden verführen. Bei Gerhard Richter geht es nicht nur um die Freiheit, sondern auch um die Verantwortung des Individuums.