Gerhard Streminger: "Adam Smith - Wohlstand und Moral"
C.H. Beck, München 2017
254 Seiten, 24,95 Euro
Ein schrulliger Schotte
Der Ökonom Adam Smith glaubte, geschäftlicher Eigennutz sei für die ganze Gesellschaft gut. Vielen gilt er daher als Vater des Raubtierkapitalismus. In der Biografie von Gerhard Streminger lernen wir ihn aber auch als Denker des Ausgleichs und der Solidarität kennen.
Ja, es kommt noch vor, dass sich Marktradikale auf Adam Smith berufen. Nur, was beweist das? Dass sie ihn nicht gelesen haben und die "unsichtbare Hand des Marktes" gerüchteweise für Smiths einziges Erbe halten. Aber zugegeben, dergleichen Irrtümer werden seltener. Deshalb tut der österreichische Philosoph Gerhard Streminger gut daran, sich in Adam Smith - Wohlstand und Moral nicht allzu lange mit Smith' falschen Freunden aufzuhalten. Er stellt vielmehr mit unverhohlener Begeisterung den kompletten Smith vor: Leben und Werk des kränklichen, aber lebenstüchtigen, fleißigen und leicht schrulligen Schotten, der ökonomisches Denken und Moralphilosophie aufs Engste verbunden hat.
Der Staat als Ordnungsprinzip
Hinsichtlich der immergrünen Frage, wie Wirtschaft für alle am besten funktioniert, sei von Smith zu lernen, "dass die Unsichtbare Hand des Marktes und die Sichtbare Hand des Staates zum Wohl der Menschen zusammenarbeiten müssen: Beide sind notwendig, und beide allein sind nicht hinreichend."
Raubtierkapitalismus? Gewiss nicht mit Smith! Planwirtschaft natürlich noch viel weniger. Smith war vielmehr ein Vordenker des Ordoliberalismus – einer Wirtschaftsform, die den Staat als Ordnungsprinzip mit der Freiheit des Einzelnen vermittelt.
Dabei schlachtet Streminger Smith' dickleibige Hauptwerke, Die Theorie der ethischen Gefühle von 1759 und Der Wohlstand der Nationen von 1776, keineswegs als tagesaktuelle Ratgeberliteratur aus. Das wäre nach 250 Jahren auch naiv. Smith, der Verehrer Voltaires und Freund David Humes, mit dem er sich witzig-ironische Briefe schrieb, war ein Kind und bald ein Haupt-Akteur der Schottischen Aufklärung. Er war geprägt von seiner Herkunft aus der einst umtriebigen Hafenstadt Kirkcaldy und langen Aufenthalten in Frankreich und London inklusive produktiver Kontakte zu erstrangigen Gelehrten wie Edmund Burke und Benjamin Franklin. Streminger erzählt vom zeitgenössischen Alltag, von der Gesellschaft und dem Erblühen der Wissenschaft auch im Streit mit der Kirche so detailreich, dass die historische Distanz jederzeit spürbar ist. Gleichzeitig zeigt er die roten Fäden, die von Smith stabil bis in die Gegenwart reichen.
Denker des Ausgleichs
Smith glaubte, geschäftlicher Eigennutz nütze letztlich allen, aber er verabsolutierte ihn nicht im Sinne des Homo oeconomicus. Smith schätzte harte Konkurrenz, aber nicht bis zur gegenseitigen Vernichtung. Für ihn hatte der Markt meistens recht, aber längst nicht immer. Er schätzte das freie Unternehmertum, aber sprach sich für staatlichen Schutz der Arbeiter und die Legalisierung von Arbeiterorganisationen aus. Kurz: Bei Streminger lernt man Smith nicht nur als Vater der modernen Ökonomie, sondern auch als Denker des Ausgleichs, der Solidarität und der Empathie kennen.
Wozu passt, dass der zeitlebens finanziell Gutgestellte am Ende wenig zu vererben hatte - er hatte sein Geld an Arme verschenkt. Kostenintensives Eheleben gab es ja nicht, obwohl Smith bei aller Herbheit seiner Physiognomie durchaus ein charmanter Geselligkeitsmensch war. Die ihn wollten, wollte er nicht; die er wollte, wollten ihn nicht. Offenbar hat die Unsichtbare Hand auf dem Heiratsmarkt versagt. Für den Buchmarkt wünscht man sich anderes. Das Angebot, das Streminger mit Adam Smith macht, verdient Nachfrage.