Gericht weist Chinas Ansprüche im Südchinesischen Meer ab

"Die Situation wird nicht vereinfacht"

Das Bild des philippinischen Militärs soll chinesische Sandinsel im südchinesischen Meer zeigen.
Dieses Bild des philippinischen Militärs soll eine chinesische Sandinsel im Südchinesischen Meer zeigen. © pa/dpa/Ho
Mikko Huotari im Gespräch mit Nana Brink |
China hat keine Hoheitsansprüche auf Inseln im Südchinesischen Meer. Das hat der Ständige Schiedshof in Den Haag entschieden. Allerdings: Eine Klärung auf Dauer bringe das nicht, so Mikko Huotari vom Mercator-Institut schon vor der Urteilsverkündung.
Die Philippinen hatten sich 2013 an den Schiedshof in den Haag gewandt - und bekamen nun Recht: China darf das rohstoffreiche Seegebiet nicht einfach für sich beanspruchen. Doch an das Urteil will sich Peking keineswegs halten. "Wir haben jetzt einen Höhepunkt in der Konfliktlage in der Region erreicht", sagt der Wirtschaftsexperte Mikko Huotari vom Mercator-Institut. "Mit dem Urteil (...) wird die Situation nicht vereinfacht." Eine Klärung auf Dauer werde nicht erreicht.
Es gehe bei dem seit Langem schwelenden Konflikt im Südchinesischen Meer um wirtschaftliche Ansprüche in der Region. China betrachte die "Nutzung der Meeresbodenressourcen als elementaren Bestandteil seiner Strategie". Auf künstlich aufgeschütteten Inseln, die "tiefgreifend in die Ökosysteme der Region" eingriffen, seien mittlerweile auch Landeplätze für Kriegsflugzeuge entstanden.
Über all dem stehe der Konflikt zwischen China und den USA um die Vormachtstellung in der Region: Die USA hätten sich ausdrücklich dem asiatisch-pazifischen Raum zugewendet - und China habe gleichermaßen durch Aktivitäten wie Landbildung klargemacht, dass es hierbei um die "Erweiterung von territorialen Ansprüchen" gehe.

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Genau genommen sind es ja nur ein paar Steine und Riffe im südchinesischen Meer, aber der Streit darum ist riesig und schwelt seit Jahrzehnten. Die Regierung in Peking beansprucht den Großteil der Region und übt Druck auf die Anrainer aus. Einer dieser Staaten, die Philippinen, hat sich deswegen 2013 an ein internationales Gericht gewandt, um seine maritimen Rechte in dieser umstrittenen Region gegenüber den Ansprüchen Chinas klären zu lassen. Heute wollen die Richter sich in diesem Streit positionieren, und wir fragen uns natürlich, warum ist das Gebiet so wichtig.
Es ist eine Art maritimer Super-Highway, hat einmal eine Zeitung es genannt, und gleichzeitig ist es auch ein Gebiet mit reichhaltigen Fischgründen und möglicherweise Öl- und Gasfeldern. Kein Wunder, dass der Streit darum groß ist. Mikko Huotari leitet das Programm "Auswärtige Beziehungen" am Mercator Institute for China Studies und ist jetzt bei uns. Schönen guten Morgen!
Mikko Huotari: Guten Morgen!
Brink: Es geht also nicht nur um Machtfragen bei diesem Streit?
Huotari: Das ist in der Tat so. Da geht es deutlich auch um wirtschaftliche Ansprüche in der Region. Gerade China hat in der letzten Zeit ganz deutlich klargemacht, dass die Nutzung beispielsweise von Meeresbodenressourcen ein ganz elementarer Bestandteil seiner Strategie ist. Es geht natürlich auch eben um die Frage, wie längerfristig in der Region Ressourcen genutzt werden können, jeglicher Art, es geht um die Präsenz der eigenen Fischereiflotte.
Das sind alles Faktoren, die da mit reinspielen, aber in der Tat ist es auch so, dass natürlich übergeordnet über diesen ganzen kleinteiligeren Fragen der große Konflikt steht, nämlich der um die Vormachtstellung in der Region zwischen den USA und China.

Der Konflikt hat sich deutlich zugespitzt

Brink: Und wie lange schwelt dieser Konflikt schon, seit Jahrzehnten doch, oder?
Huotari: Das ist in der Tat der Fall. Seit einigen Jahrzehnten werden zumindest Ansprüche in der Region deutlich gemacht. Was man nun in der letzten Zeit schon gesehen hat, das heißt etwa seit fünf, sechs Jahren, dass sich dieser Konflikt deutlich zugespitzt hat. Da kommen mehrere Faktoren zusammen: einerseits die USA, die mit ihrem "Pivot to Asia" noch mal deutlich gemacht haben …
Brink: Also ihrer Hinwendung zu Asien, vielleicht müssen wir das übersetzen, in den asiatischen und pazifischen Raum.
Huotari: Richtig, ihrer Hinwendung zu Asien klargemacht haben, dass sie keinerlei Absicht haben, sich dort aus dieser Region zurückzuziehen und den Ansprüchen Chinas sozusagen, ohne weiteren Widerstand zu leisten, zurückzuziehen. China gleichermaßen hat durch Aktivitäten in der Region, durch Landbildung, das heißt durch Aufschüttung von Inseln, die dort in der Region vorhanden sind, noch mal klargemacht, dass es hier auch eben um eine Erweiterung von territorialen Ansprüchen geht.
Brink: Das ist wirklich so, dass sie dann also sozusagen Inseln kreiert haben, kann man das so nennen? Das ist ja schon eine absurde Vorstellung.

Landeplätze für Kriegsflugzeuge auf künstlichen Inseln

Huotari: Das ist eine absurde Vorstellung, aber wenn Sie Bilder davon sehen, sind das ja weitreichende Vorgänge, die eben auch tief greifend tatsächlich in diese Ökosysteme in der Region eingreifen. Mittlerweile ist es so, dass es eine Reihe von Landeplätzen gibt, wo auch Kriegsflugzeuge beispielsweise landen können, dementsprechend ist das Ganze jetzt schon sehr weit gediehen.
Brink: Wie hoch ist die Gefahr, dass dieser Streit eskaliert?
Huotari: Wir haben jetzt einen Höhepunkt in der Konfliktlage in der Region erreicht. Mit dem Urteil, das heute Morgen zu erwarten ist, wird die Situation sicherlich nicht vereinfacht. Auch wenn möglicherweise jetzt erst mal alle Seiten versuchen werden, die ganze Situation nicht weiter zu eskalieren, ist es doch so, dass sich die Positionen verhärten.
Das Gerichtsurteil führt nicht dazu, dass wir beispielsweise jetzt eine Klärung auf Dauer dadurch erreichen könnten, ganz im Gegenteil, die chinesische Seite hat schon jetzt klargemacht, dass sie sich in keinster Weise an dieses Urteil halten möchte, und daraufhin werden wir jetzt internationale Reaktionen sehen. In der Tat ist im Moment wahrscheinlich der Treiber, der am wenigsten eskalativ wirkt, sind die Staaten in der Region. Selbst der Präsident der Philippinen, der neu gewählte Präsident, hat klargemacht, dass er sich möglicherweise stärker auf eine bilaterale Einigung mit China einlassen möchte.
Brink: Noch mal zu diesem internationalen Schiedsgericht: Das haben ja die Philippinen eigentlich angerufen, um die Sache endgültig zu klären, das war ja eigentlich der Ursprung.

Ist eine bestimmte Gesteinsformation eine Insel?

Huotari: Ganz richtig, das ist 2013 formalisiert worden, dieser Prozess, und seitdem haben die Richter sich mit den Fragen beschäftigt, bei denen es primär – und das ist wichtig zu erkennen – darum geht zu definieren, was sind eigentlich die Ansprüche in der Region. Also es geht darum zu klären, ob eine bestimmte Gesteinsformation überhaupt eine Insel sein könnte oder überhaupt eine andere Art von Formation ist, mit der Konsequenz, dass daraus dann eben nur bestimmte Ansprüche über das umliegende Meer getroffen werden können. Es geht also nicht um die Klärung, wer Anspruch auf ein bestimmtes Gebiet hat.
Brink: Es ist ja interessant, dass Sie erwähnt haben, dass die unmittelbaren Anrainer – es sind ja nicht nur die Philippinen, es ist zum Beispiel dann auch irgendwie Vietnam – ja versuchen zu deeskalieren, also auch diesen Streit jetzt nicht weiter hochkommen zu lassen. Ist es dann eine wirkliche Auseinandersetzung der Supermächte, also zwischen China und den USA, wenn man es dann letztendlich so definieren will?
Huotari: Das ist ein Konflikt, der da im Raume steht und natürlich viele Dinge treibt. Im Falle des konkreten Schiedsverfahrens muss man allerdings auch klar sagen, dass es natürlich im Interesse vieler Beteiligten, insbesondere auch der Europäischen Union, auch Deutschlands ist, dass solche Streitigkeiten über multilaterale Verfahren innerhalb von Gerichten, durch Gerichtsverfahren gelöst werden und nicht nur einseitige Prozesse.
Dementsprechend ist das konkrete Instrument, was jetzt gewählt worden ist, eigentlich eines, das ist im Sinne ist, genau diese Großmachtkonflikte in der Region eben nicht offen zutage treten zu lassen, und dementsprechend auch ein Instrument, was für uns hier sehr wichtig ist.
Brink: Aber wenn man sieht, dass ja nicht nur China, sondern auch die USA, das darf man in dem Zusammenhang ja nicht vergessen, die erkennen ja internationale Gerichte auch nicht an – also eine aussichtslose Sache, oder?

Diplomatische Hebelwirkung gegenüber China

Huotari: Es ist in der Tat schwierig, jetzt aus diesem Konflikt rauszutreten, eine besondere Rolle kommt da sicherlich der Europäischen Union, insbesondere aber vor allem auch führenden Staaten wie Deutschland zu, hier zu versuchen, einerseits eben klarzumachen, dass diplomatische Hebelwirkung aufgebaut wird, dass man gegenüber China signalisiert, wenn dieses Urteil nicht anerkannt wird, dass das ein deutliches Zeichen ist eben, dass China seiner Verantwortung als Großmacht nicht gerecht wird.
Gleichzeitig gilt es auch weiterhin immer ständig eben auch Brücken zu bauen, Türen offenzuhalten für den Dialog mit China, um eben langfristig dann auch mit solchen Problemen umgehen zu können.
Brink: Also der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk sind ja zu Gesprächen in Peking – da geht’s um ganz andere Sachen, um die Marktfähigkeit von China –, aber wird das auch angesprochen, glauben Sie das?
Huotari: Das ist ein ganz kritischer Punkt. Die Terminierung der Pressekonferenz zu diesem Gipfel von EU und China ist wahrscheinlich genau so, dass sie zum gleichen Zeitpunkt stattfindet, wie das Urteil verkündet wird. Das ist kein Zufall, da geht es natürlich darum, auch zu verhindern, dass hier konkrete Aussagen gemacht werden können. Im Hintergrund gibt es aber eine gemeinsame Stellungnahme der EU, die bereits vorbereitet ist. Es ist letztlich eigentlich nur eine Frage, wann sie veröffentlicht wird.
Brink: Vielen Dank, Mikko Huotari vom Mercator Institute for China Studies, schönen Dank für das Gespräch! Und wir sprachen über die Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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