"Mindestlohn ist kein Hit"
Die SPD wollte mit dem Mindestlohn für mehr Gerechtigkeit gegenüber den Geringverdienern sorgen. Aber die haben am Monatsende höchstens mehr Freizeit, aber nicht mehr Geld im Portemonnaie, zeigt die Stichprobe unseres Korrespondenten in Thüringen.
"Ideen von Loreen" ist ein kleiner, sympathischer Blumenladen in Erfurts Innenstadt. Zwei Floristinnen bereiten ein Trauergesteck vor. Mindestlohn? Sie wollen erst nicht so recht raus mit der Sprache. Dann redet Sabrina Fritsche, eine Kollegin aus einem anderen Blumenladen, die mal kurz reinschaut.
"Ich bekomme Mindestlohn."
Und was haben sie vorher bekommen?
"Na weniger! Aber genau kann ich das natürlich nicht sagen."
Und hat sich noch irgendwas geändert, außer, dass sie jetzt 8,50 Euro kriegen?
"Na ja – nee! Gar nichts. Nee, es ist nicht besser! Hab noch einen Antrag beim Amt gestellt, muss ich jetzt ganz ehrlich sagen – mal gucken. Es kann auch sein, dass ich da noch ein bisschen was kriege. Also, es hat sich für mich nicht viel geändert."
Also nicht mehr Geld zur Verfügung für Sabrina Fritsche – sie muss weiterhin aufstocken und Arbeitslosengeld-II beantragen, weil ihr Einkommen zu niedrig ist. Allerdings muss der Staat nun weniger Unterstützung an die Blumenverkäuferin zahlen – diesen Anteil übernimmt ihr Betrieb. Kollegin Nicole Stefan bestätigt:
"Nein, ein Hit ist der Mindestlohn nicht."
Im Gegenteil: Er bringt Arbeitsverdichtung. Eine Kollegin geht bald in Mutterschutz, aber aus Kostengründen wird kein Ersatz eingestellt. Mehr Arbeit, aber weniger Stunden.
"Und viele sind mit den Stunden runtergegangen. Wie bei uns – geht man dann mit den Stunden runter. Weniger Stunden; keine 40, sondern 35 nur noch. Anders können sich die kleinen Händler das nicht sonst leisten. Wie sollen sie es sonst machen? Die Arbeit ist gleich geblieben – nur sie müssen halt mehr zahlen! Deswegen müssen sie mit den Stunden runter."
Höhere Taxipreise und kaum noch Trinkgelder
Ähnlich sieht es bei einer anderen Floristin aus, die nicht namentlich genannt werden will. Früher bekam sie pro Stunde:
"6,50 Euro."
Und jetzt kriegen sie?
"8,50 Euro."
Das ist ja fast ein Drittel mehr!
"Ja, das ist richtig."
Und sie haben jetzt auch wirklich ein Drittel mehr im Monat?
"Nein, habe ich nicht. Ich arbeite weniger. Ich verdiene zwar in der Stunde mehr, aber dafür arbeite ich weniger. Ich habe den gleichen Verdienst wie sonst auch."
Es sei schwieriger geworden im Laden, man sehe die Kolleginnen seltener, weil die Schichten kürzer sind. Absprachen seien nicht mehr so gut möglich, sagt die Floristin.
"Und von daher ist der Mindestlohn eine schöne Idee, aber es bringt mir jetzt nichts. Ich habe mehr Freizeit, genau! Ist auch nicht schlecht. Ich habe ja noch einen Mann, der Geld verdient, aber für Alleinstehende ist es keine Lösung."
Ähnliches hört man auch bei den Taxifahrern, die, am Erfurter Bahnhof auf Kundschaft wartend, gern erzählen, aber nur ohne Mikrofon. Die Taxiunternehmer haben wegen des Mindestlohns die Preise zum 1. Januar 2015 enorm erhöht, je nach Strecke um ein Viertel, im Extremfall sogar auf fast das Doppelte. Die Fahrer schimpfen, sie hätten etwa ein Drittel der Kunden verloren. Zwar bekämen sie jetzt mehr Geld, 8,50 Euro pro Stunde statt früher etwa fünf Euro, aber kaum noch Trinkgelder und keine Umsatzbeteiligung mehr. Wolfgang Schwuchow, Chef von City-Taxi Erfurt, hat schon im Dezember vorgesorgt:
"Ich hab meine Mitarbeiter alle gekündigt. Und die haben alle neue Arbeitsverträge gekriegt mit einer Änderungskündigung mit herabgesetzten Stunden."
"Von der Gerechtigkeit her muss das sein"
Neun von zwölf Fahrern sind ihm so geblieben. Die anderen wollten nicht unter diesen Bedingungen. Die verbliebenen Fahrer arbeiten nur noch 30 statt 40 Stunden pro Woche. Am Ende haben sie etwa genauso viel Geld wie zuvor raus – allerdings mehr Freizeit. Für den Kunden heißt der Mindestlohn hier: Das Taxi-Fahren ist teuer geworden. Dabei sieht Taxi-Unternehmer Schwuchow durchaus ein, dass 8,50 Euro nicht zu viel ist für die Arbeit rund um die Uhr, an Wochenenden und Feiertagen.
"Von der Gerechtigkeit her muss das sein, aber der Markt muss es im Endeffekt auch hergeben. Und wenn eine Dienstleistung am Markt nicht mehr erwirtschaftet werden kann, dann wird es diese Dienstleistung in Zukunft nicht mehr geben – oder nicht in diesem Umfang mehr geben.
Eine Restaurantbesitzerin erzählt, dass der Mindestlohn existenzbedrohend für sie sei, dass sie montags nicht mehr öffne, weil sie die Kellner nicht mehr bezahlen könne, wenn zu wenige Kunden kommen. Frederik Chrestensen, Chef eines renommierten Saatgutunternehmens, klagt:
"Der Mindestlohn macht bei uns circa zehn Prozent mehr Personalkosten aus pro Jahr. Darauf haben wir uns vorbereitet und haben im letzten Jahr schon zwölf Mitarbeiter entlassen müssen."
Zwölf von 132. Dafür hat die Firma in neue Maschinen investiert, die die Arbeit übernehmen, und zahlt den verbliebenen Mitarbeitern Leistungszulagen, wenn sie mehr schaffen als bisher. Aber der Mindestlohn steigere auch die Kosten durch aufwendige Stundendokumentationen und bei den Zulieferern, meint Firmenchef Chrestensen. Insgesamt 14 Prozent höhere Kosten habe er.
Allerdings seien bisher noch keine Arbeitsplätze in nennbarem Umfang durch den Mindestlohn weggefallen, sagt die Agentur für Arbeit Sachsen-Thüringen. Bei der Handwerkskammer in Erfurt heißt es, die die Unternehmer würden zunächst das erste Quartal abwarten und dann über Entlassungen entscheiden. Und die Beschäftigen, denken sie wenigstens an die SPD, die ihnen den Mindestlohn beschert hat? In Erfurts Blumenläden eher weniger.
"Nee, da habe ich mir noch nicht so die Gedanken drüber gemacht."
"Nee, da muss ich ganz ehrlich sagen, beschäftige ich mich nicht so damit." (lacht)