Die Deutschen waren vor allem Wirtschaftsflüchtlinge
Heute wird in den USA der German-American Day gefeiert. Die deutschen Einwanderer passten sich zunächst schwer an, saßen im Biergarten und sangen deutsches Liedgut, sagt der Amerikanist Michael Hochgeschwender und plädiert für Geduld bei Integrationsprozessen.
Heute gebe es unter Deutschstämmigen in den USA nur noch ein "Kulturgefühl", sagte der Professor für nordamerikanische Kulturgeschichte an der Universität München, Michael Hochgeschwender. Dabei sollen bis zu 50 Millionen Amerikaner deutsche Wurzeln haben, beispielsweise der Autor Stephen King, die Schauspielerin Uma Thurman und auch Donald Trump. Ihre Vorfahren wanderten einst aus Deutschland in die USA ein.
Am heutigen 6. Oktober wird in den USA der German-American Day gefeiert, der Tag der Deutschamerikaner. Hochgeschwender räumt mit ein paar Mythen über die deutschen Einwanderer gründlich auf.
Das Interview im Wortlaut:
Axel Rahmlow: Der Autor Stephen King hat sie, die Schauspielerin Uma Thurman hat sie und auch Donald Trump hat sie: Vorfahren aus Deutschland, die in die USA gekommen sind. Bis zu 50 Millionen Amerikaner heute sollen deutsche Wurzeln haben, und in den Vereinigten Staaten wird heute der German-American Day gefeiert, der Tag der Deutschamerikaner. Dieser Tag soll an die Landung der ersten deutschen Einwanderer in der Nähe der heutigen Metropole Philadelphia erinnern. Michael Hochgeschwender ist am Telefon, er ist Professor für nordamerikanische Kulturgeschichte an der Universität München. Schönen guten Morgen!
Michael Hochgeschwender: Guten Morgen, Herr Rahmlow!
Rahmlow: Herr Hochgeschwender, wer waren denn diese ersten Deutschen, die in die USA gegangen sind?
Hochgeschwender: Das waren Auswanderer aus der Pfalz vornehmlich, die sich hier aus religiösen Gründen in German Town nahe Philadelphia angesiedelt haben, also in einer Zeit, als vor allen Dingen Angehörige von anabaptistischen Gruppen, aber auch anderen religiösen Gruppen in Deutschland verfolgt worden sind.
Rahmlow: Das waren aber nur wenige, richtig?
Hochgeschwender: Es waren sehr wenige am Anfang, ein paar Hundert. Es waren ja schon erste Deutsche zuvor da gewesen, das ist die erste größere Gruppe, die gekommen ist. Einzelne Deutsche hat es schon bei der Besiedlung von Jamestown gegeben, 1607.
Rahmlow: Also ganz am Anfang. Wann wurden es denn richtig viele Deutsche, die in die USA gegangen sind?
Hochgeschwender: Das Gros der deutschen Einwanderung findet sich zwischen 1841 und 1900. Das hängt vor allen Dingen damit zusammen, dass in den 1840er-Jahren es in Deutschland zu verschiedenen Missernten gekommen war, und dann auch nach 1871 mit der Gründerkrise im Deutschen Reich, ab etwa 1873 bis 1890, das ist so ein Schwerpunkt, wo besonders viele Deutsche gekommen sind.
Rahmlow: Also könnte man sagen, das sind zum einen Wirtschaftsflüchtlinge, aber weil Sie die Gründerkrise ansprechen, das sind auch politische Flüchtlinge gewesen?
Hochgeschwender: Ja, die Flüchtlinge der Gründerkrise waren vor allen Dingen Wirtschaftsflüchtlinge. Es ging ja darum, dass viele Firmen in Deutschland bankrott waren und die Arbeitslosigkeit sehr hoch war, deswegen ist man in die USA gegangen, wo die Löhne ja um dreimal höher waren als in Europa. In der Zeit und in den 1840er-Jahren, das waren fast ausschließlich Wirtschaftsflüchtlinge. In den 1850er-Jahren kommen einige politische Flüchtlinge dazu, das sind die sogenannten 48er, also Überlebende der Revolution von 1848, die Deutschland verlassen mussten.
Franklins Hass auf Deutsche
Rahmlow: Die Deutschen sehen sich ja gerne selbst als sehr fleißig an. Wie willkommen waren denn diese fleißigen deutschen Flüchtlinge?
Hochgeschwender: Ja, sie waren willkommener als andere Gruppen, nehmen wir Iren, Polen oder Juden, aber sie waren nicht so willkommen wie Angelsachsen. Also schon im 18. Jahrhundert hat jemand wie der Gründervater Benjamin Franklin einen ausgesprochenen Hass auf Deutsche an den Tag gelegt, weil er glaubte, sie seien nicht integrierbar in die USA, also in Nordamerika damals noch. Und es gab auch viele, die sagten, dieses Land ist ein angelsächsisches Land, da haben Deutsche nichts zu suchen.
Rahmlow: Hat Benjamin Franklin denn recht gehabt, die Deutschen seien schwer integrierbar? Wie haben sie sich denn da getan?
Hochgeschwender: Ja, in der ersten Generation haben sie sich tatsächlich schwer getan. Wenn man will, haben die Deutschen gerne eine Art Parallelgesellschaft gegründet, das ist vor allen Dingen im 19. Jahrhundert erkennbar, wo sehr viele Deutsche in das sogenannte Deutsche Dreieck zwischen Cincinnati, Milwaukee und St. Louis gezogen sind, und dort wurde dann auch Deutsch gesprochen, es gab deutsche Gottesdienste, es gab deutsche Zeitungen, sehr viele deutsche Zeitungen, deutsche Vereine.
Und was ganz besonders problematisch war, war die Tendenz der Deutschen, am Sonntag im Biergarten zu sitzen, Bier zu trinken in aller Öffentlichkeit, was in den USA verpönt war, und dazu vaterländisches Liedgut von sich zu geben. Also man war auch noch sehr bekennend deutsch. Das änderte sich ab der zweiten, vor allen Dingen dann ab der dritten Generation.
Rahmlow: Da ist dann was anders gewesen?
Hochgeschwender: Man hat dann zum Teil auch unter Außendruck – also der Erste Weltkrieg spielte da eine wichtige Rolle – sehr darauf verzichtet, in der Öffentlichkeit Deutsch zu reden, und die innere Bindung an Deutschland als Mutterland oder Vaterland hat dann sehr stark nachgelassen unter den Deutschen. Also das heutige Gefühl unter Deutschen ist eher so ein Kulturgefühl, eine Art Bekenntnis, wenn man so will, das sich aber auch nicht niederschlägt etwa in der Mitgliedschaft in deutschen Vereinen, die sehr unter Nachwuchsmangel leiden in den USA.
Ohne englische Sprachkenntnisse
Rahmlow: Sie haben jetzt, Herr Hochgeschwender, zwei Stichworte gegeben: Wirtschaftsflüchtlinge und Parallelgesellschaften. Das sind natürlich auch Stichworte, die wir heute sehr oft in der Diskussion erleben, wenn es um Migranten geht, die nach Deutschland kommen.
Hochgeschwender: Ja, sicherlich gibt es Parallelen aufseiten der Aufnahmegesellschaft. Es gibt erst einmal eine ablehnende Abstoßungsreaktion, die in den USA durchaus auch gewalttätig sein konnte, allerdings nicht so sehr gegenüber Deutschen, sondern vor allen Dingen gegenüber Iren. Und es gibt auf Seiten der Migranten Parallelen, denn es waren bei den Deutschen doch sehr viele Arme auch dabei.
Sie waren besser gebildet als Iren, sprachen aber kein Englisch. Das waren vor allem Flüchtlinge aus ganz besonders armen Gegenden in Deutschland, der Oberpfalz, dem Siegerland, dem Sauerland, dem Hunsrück und der Eifel, für die es natürlich besonders schwer war, sich an die Verhältnisse in Nordamerika anzupassen. Hinzu kamen religiöse Flüchtlinge, die sich durch besondere Radikalität, allerdings nicht durch Gewalttätigkeit auszeichneten. Man denke an die wiedertäuferischen Gruppen, die Anabaptisten, also Hutterer und Amische, die ja heute noch völlig separat für sich leben, oder auch Altlutheraner, die in Preußen verfolgt worden sind.
Rahmlow: Das sind immer noch sozusagen Deutsche im Ursprung, diese Gruppen?
Hochgeschwender: Ja, die sind bis heute … Also die Amischen und die Hutterer reden ja weiterhin einen pfälzischen Dialekt und man kann sie halbwegs verstehen, wenn man mit ihnen spricht, andere Gruppen, die Altlutheraner, sind nicht mehr so deutlich erkennbar als deutsch.
Rahmlow: Es bleibt dann aber der Eindruck, dass Flüchtlinge zu allen Zeiten ähnliche Probleme haben. Was könnten wir denn als Deutsche aus dieser deutschen Flüchtlingsgeschichte in die USA lernen?
Bedeutung symbolischer Orte
Hochgeschwender: Dass Anpassungsprozesse, Integrationsprozesse dauern. Und dass es gar nicht mal so sehr in erster Linie der Staat sein muss, der sie befördert. In den USA hat der Staat praktisch gar nichts getan, um Menschen zu integrieren, das war eine Aufgabe und ist auch eine Aufgabe der sogenannten Zivilgesellschaft, also des bürgerlichen Miteinanders, wenn Sie so wollen. Man muss sich auf Mindeststandards der Zugehörigkeit einigen und man muss Flüchtlingen, Migranten, Zuwanderern auch symbolische Orte geben, an denen sie sich als Deutsche bekennen.
Das haben die Amerikaner sehr geschickt gemacht mit ihrem manchmal etwas übertriebenen Kult um die amerikanische Fahne oder den Fahneneid, das Bekenntnis zur Verfassung. Das sind alles Elemente, die dazu dienen, dass man sagen kann: Auf einer symbolischen Ebene bekennen wir unsere Zugehörigkeit zu diesem Land und pflegen gleichzeitig unsere Traditionen aus der alten Heimat, soweit sich das vereinbaren lässt.
Rahmlow: Die Deutschen in den USA. Herr Hochgeschwender, kennen Sie eigentlich die Muhlenberg-Legende?
Hochgeschwender: Ja, das ist eine Bismarcksche Schulbuchlegende, die Behauptung, nur eine Stimme habe gefehlt, um Deutsch zur Landessprache in den USA zu machen.
Rahmlow: Stimmt aber nicht?
Hochgeschwender: Es stimmt nicht. Es ging darum, dass Gesetze von Virginia auch in Deutsch übersetzt werden sollten. Und das hat ein lutherischer Pastor verhindert, der sagte, wir müssen Englisch lernen, um uns zu integrieren. Interessanterweise, die USA haben bis heute keine offizielle Staatssprache.
Rahmlow: Aber die Legende hält sich ja auch bis heute.
Hochgeschwender: Ja, weil sie tatsächlich im späten 19. Jahrhundert in die deutschen Schulbücher hineingekommen ist. Das war auch etwas zur Beförderung des deutschen Patriotismus und insofern ist das von Generation zu Generation weitergegeben worden, nach dem Motto, wenn es in den Geschichtsbüchern drinsteht, muss es ja stimmen.
Rahmlow: Michael Hochgeschwender von der Universität München über die Deutschen in den USA. Herr Hochgeschwender, herzlichen Dank und Ihnen jetzt ein schönes Wochenende!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.