Germanen, Götter und Gelehrte
Beim Nachleben historischer Zeiten, Living History genannt, haben derzeit die Germanen und Wikinger Hochkonjunktur. Archäologen und Historiker stehen diesem Interesse an Geschichte oft zwiespältig gegenüber: Einerseits füllt es die Museen, Museumsdörfer und Ausstellungen. Andererseits ist diese Form populärer Geschichtsvermittlung nicht selten grob falsch - und zudem politisch bedenklich.
Zwei Gruppen von etwa 50 "Germanen" und "Wikinger" gehen aufeinander los – Schwerter, Beile und Spieße in der einen Hand, Schutzschilder in der anderen, bekleidet mit Lederwämsern, Kettenhemden und Rüstungen.
16. Burgfest in Neustadt-Glewe 6. bis 8. Juni 2008.
Die Kleinstadt liegt etwa halber Strecke zwischen Hamburg und Berlin.
Die kämpfenden Männer – bärtig, langhaarig, häufig tätowiert und äußerst wohl genährt - legen Wert auf originalgetreues Outfit.
Interviews im Germanenlager: "Es gibt genügend Grabfunde, wo das alles belegt ist. Auch Schlachtfelder halt. Aber es gibt schon Leute, die sich auf einen sehr engen Zeitraum auch beschränkt haben, auch nur die Grabfunde aus dieser Zeit: Gürtelbeschläge, Gürtelschnallen, Helmbeschläge und sich auch in Details verrennen. Die sind detailverliebt."
Inzwischen gibt es auch Germanenkleidung von der Stange: aus Polen und Russland. Doch selbsthergestellte Kleidung – den archäologischen Funden ähnlich – ist irgendwie präsentabler:
Interviews im Germanenlager: "Da geht so viel Arbeit rein. Das ist ein individueller Wert im Grunde genommen. Also, wenn man viel selber baut, ist es natürlich sehr günstig. Da muss man allerdings seine ganze Freizeit für opfern. Wenn man sein Kettenhemd selber knüpft oder vernietet von Hand. Da sitzt man bestimmt ein Jahr dort. Jeden Abend vor dem Fernseher. Manche machen das."
Reenactment in Neustadt-Glewe: "Bemüht euch und feuert euere Mannschaft an. Da wir nicht zum Spielen hier sind, sondern zum Kämpfen. Die Toten mögen sich erheben. Geht auf euere Position und gebt, was ihr könnt."
Die Veranstaltung ist weitgehend ironiefrei. Es geht ernsthaft zur Sache. Die heutigen Germanen ...
Interviews im Germanenlager: "... das waren meine Vorfahren und ganz klar fühle ich mich auch dem verbunden."
... die germanischen Kämpfer verstehen sich als Sportler.
Interviews im Germanenlager: "Das Hauptding eigentlich, wo wir uns so treffen bei uns in der Gegend, ist eigentlich das Training, oder mal was basteln zusammen. Die Mädels treffen sich zum Stricken oder so, machen irgendwelche Klamotten, zusammennähen oder so und wir treffen uns hauptsächlich zum Training. Zwei mal die Woche. Schon vier, fünf Stunden."
Die Männer kämpfen, die "Mädels" stricken – so ist es bei ihnen und so soll es gewesen sein, damals in der heilen Germanenwelt. Soziologen sprechen von "Gegenweltbedürfnissen". Ihnen wird hier gemeinschaftlich auch von ganzen Familien entsprochen. Die heutigen Germanen sprechen lieber von "Sippe". Und – das ist ein Moment der Distinktion – man hebt sich von anderen ab: Man – so heißt es – "hat Wissen".
Interviews im Germanenlager: "Das ist auch mein Ansatz so, irgendwie. Living Reenactment, das ist ein bisschen lebendige Archäologie dabei."
"Living History" meint "lebendige Geschichte". Ein historischer Zeitraum soll durch Nachleben selbst erfahren und Dritten erfahrbar gemacht werden. Die Akteure versuchen historische Kleidung und Gegenstände Originalen nachzubilden und zu benutzen.
Die Living-History-Szene boomt seit den 1990er Jahren.
"Experimentelle Archäologie" dient der Erforschung von Techniken und Lebensweisen der Vergangenheit durch Nachbildung.
Karl Banghard: "Es wird aber immer wieder benutzt – dieses Wort – um irgendwelche lebensnahen Darstellungen zu verwissenschaftlichen."
Karl Banghard ist Leiter des archäologischen Freilichtmuseums in Oerlinghausen. Auch die Germanen sind sein Fachgebiet.
Reenactment meint die Darstellung von tatsächlichen oder möglichen historischen Ereignissen mit Hilfe möglichst detailgetreuer Ausstattung.
Banghard: "Die meisten Besucher suchen ja im Museum jetzt nicht unbedingt die fachliche Information, die suchen mehr oder weniger die Begegnung mit irgendeinem, der vielleicht ein interessanteres Leben führt als sie selbst. Und über diese Hintertreppe komme ich natürlich an die Menschen ganz anders heran."
... was nicht unwichtig ist, da Freilichtmuseen sich finanziell weitgehend selbst tragen müssen. Sie sind Dienstleister auf dem Bildungs- und Unterhaltungsmarkt. Bedeutende Museen für Vor- und Frühgeschichte heuern immer häufiger professionelle Reenactmentgruppen an.
Banghard: "Man nimmt halt das, was am meisten fetzt in den Medien, also die Darsteller, die am martialischsten daher kommen, die bei Trockeneisnebel auch noch am besten wirken ..."
Reenactments locken Besucher in die ansonsten eher spärlich besuchten "Vitrinen-Museen".
Uta Halle, Professorin für Vor- und Frühgeschichte und Leiterin der Landesarchäologie Bremen:
"Die normale Bildungsbürgerschicht stirbt aus. Von daher gesehen bringt eine solche Reenactment-Gruppe, bei der natürlich dann auch mal etwas ausprobiert werden kann, wo zugeguckt werden kann, das ist schon etwas anderes, das macht einen Teil von Geschichte auch erfahrbar – erfahrbar auch mit anderen Sinnen. Das denke ich ist legitim. Dann gehen die auch mit offenen Augen dann hinterher tatsächlich vor die Vitrinen und gucken sich das an: Ja, so ist das ausgegraben worden."
Die Archäologie, Vor- und Frühgeschichte erlebt derzeit einen Popularitätsschub. Die Zahl der Archäologiestudenten steigt. Hollywood macht Kasse mit Indiana-Jones- und anderen Filmen und ihrer Mischung aus Archäologie und Abenteuer.
Banghard: "Gerade die Generation jetzt zwischen 16 und 25, die ist ja extrem geprägt durch den 'Herrn der Ringe'. Ich denke, das hat eine ganze Generation verstrahlt ..."
... mit einer Mischung aus Esoterik und mythischer Vorzeit.
Banghard: "Archäologie zieht natürlich die Esoteriker an wie der Misthaufen die Fliegen."
Und selbst der Steinzeitalpine "Ötzi" weckt diffuse Sehnsüchte nach Heimat, eigenen Wurzeln und einem harten, aber unkomplizierten Leben.
Banghard: "Archäologie ist ja in den Medien immer mehr verkommen zu einer Art Gegenentwurf zu Kultur. Kultur – moderne Kunst - sind ja sperrig und kontrovers – und Archäologie hat immer so einen warmen Trockeneisnebel hinter sich."
... sie wird benutzt, um mit der Vergangenheit auch die Gegenwart ein bisschen zu verzaubern. Im Gefolge von tapferen Hobbits, blonden Elfen, geheimnisvollen Kelten tauchen heute – nach einigen Jahrzehnten völkischer Abstinenz – wieder einmal die vermeintlichen Vorfahren der Deutschen auf: "Unsere Ahnen", die Germanen.
Es geht bei den Hobby-Reenacters und Darstellern "lebendiger Geschichte" häufig um die Konstruktion einer "ureigensten" Vergangenheit.
"... mein Interesse an unseren germanischen Vorfahren ..."
... so die Offenbarungen in Homespages ...
"... Verbundenheit mit unseren Ahnen ..."
Ein Mitglied des "Semnonenbundes" - die Semnonen waren übrigens ein Germanenstamm - bekennt:
"Außerdem bin ich der Meinung, (kann) die Pflege unserer kulturellen und mythologischen Wurzeln sinnstiftend auch für unser heutiges Leben sein ... Weiterhin bin ich Mitglied der Germanischen Glaubensgemeinschaft, der GGG ..."
... einer Art Religionsgemeinschaft, die in der völkischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand, und sich dann, nach 1945 wieder organisierte und bis heute fortbesteht.
Ziel sei, so der heutige Vorsitzende GGG Géza von Neményi in seinem Buch "Heidnische Naturreligion"...
"... die Menschheit aufzurütteln und zur Rückkehr zu ihren Göttern zu bringen, damit die Naturzerstörung beendet wird."
Doch der heidnische Glaube, versichert Sascha Rosenrat, der Sprecher des brandenburgischen Semnonenbundes e.V. – der Glaube sei Privatsache.
Rosengard: "Wir agieren jetzt als Verein nicht religiös. Es ist natürlich so, dass wenn man diesen Glauben lebt oder wenn man ein besonderes Interesse an diesem heidnischen Glauben hat, dass dann natürlich gewisse Kontaktschwierigkeiten zum Christentum bestehen, einfach aus dem Grund, weil man natürlich immer im Hinterkopf hat, was 'das Christentum', will man es jetzt einmal verallgemeinern, dem Glauben angetan hat."
Der Semnonenbund war auch beim Reenactment in Neustadt-Glewe aktiv.
Interviews im Germanenlager: "Und eben die Wurzeln. Für viele ist, ich sage mal, das Christentum nicht so beliebt. Und diese Gemeinschaft dann auch, dass man eine ganz andere Gemeinschaft hat, eben."
Musik: Landser: "Wir wollen euern Jesus nicht, das alte Judenschwein."
Diese Musik brachte die inzwischen verbotene rechtsradikale Band "Landser" unters heidnische Volk. Hier wird die Ablehnung des Christentums antisemitisch begründet: Das Christentum erscheint als artfremde, weil jüdische Religion, die den Glauben der Ahnen unterdrückt habe.
Legale germanophile Neuheiden außerhalb des organisierten Rechtsextremismus pflegen ähnliche Diskurse, bekunden allerdings ihre Distanz zum Antisemitismus und Rassismus der rechtsradikalen Szene.
Musik: Landser: "Wallvater Wotan soll unser Herrgott sein."
Wichtiger als germanische Göttermythen ist den germanischen Schwertkämpfern und ihrer Gefolgschaft eine "germanische Naturreligiosität":
Rosengard: "Man hat doch ein anderes Natur- oder Menschenempfinden, als ich es jetzt dem Christentum unterstellen würde. Man kann grundsätzlich sagen, dass Naturreligionen, wenn sie wirklich ernsthaft ausgelebt werden, nach meinem Verständnis sehr viel Menschen- und umwelttoleranter, -akzeptierender, -respektierender sind."
Das "artfremde" Christentum unterdrückte gewaltsam den naturreligiösen, polytheistischen und deshalb toleranteren Glauben "unserer" Ahnen – eine Konstruktion, die bereits in der völkischen Bewegung Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts wirksam wurde und den Nationalsozialismus ideologisch vorzubereiten half. Damit verbunden waren damals Rituale wie Sonnenwendfeiern, etwas, auf das die heutigen Germanen auch nicht verzichten wollen.
Rosengard: "Wir versuchen schon zu dementsprechenden Anlässen da eine gewisse Spiritualität uns aufzubauen ..."
... das Julfest wird germanisch gefeiert, bei der Sommer- und Wintersonnenwende verzichtet man nicht auf "heil’ge Brände ...
Interviews im Germanenlager: "Das ist ja nicht so, dass die Christen da angekommen sind und irgendwie die Moralvorstellungen mitgebracht haben. Die existierten ja schon vorher. Erst mit dem Christentum sind ja die Leute unsauber geworden. Das verwechselt man ja auch. Das waren hochreinliche Leute. Wikinger waren sogar sehr eitel. Und die Germanen waren auch sehr reinlich. Die Mundhygiene, dann kannten die alles, die Jungens. Dass das auch nicht vergessen wird."
... "hochreinlich" waren sie und "hochmoralisch", körperfeindlich aber nicht.
Interviews im Germanenlager: "Da war es auch kein Problem, wenn man mal gemischt in der Wanne gesessen hat. Das war alles okay, ohne dass etwas gewesen ist. Und Nein war Nein. Das ist auch ein deutlicher Unterschied. Natürlich, wenn ich auf Wiking gefahren bin, dann war das noch einmal eine andere Sache. Das war jetzt für den Kram zu Hause. Wenn ich jemanden überfalle, darf ich den Becher da mitnehmen. Das ist natürlich eine andere Sache ..."
... dann war nein nicht nein. So projizieren sich Männerfantasien auf unsere wilden "Ahnen" und lassen eine Moral entstehen, die unterscheidet zwischen "wir" und "die anderen", ein Baustein jeder rassistischen Ideologie.
"Das eigene Blut will sich durchsetzen gegen das fremde; so will und wird auch das arische Blut sich durchsetzen gegen jedes andere."
... so der um 1900 in der völkischen Bewegung sehr populäre Julius Langbehn. Zum völkischen Rassismus Prof. Uwe Puschner von der FU-Berlin:
"Ein ganz entscheidendes Moment innerhalb der völkischen Rassenideologie, die auch die Basis für die völkischen Religionsvorstellungen sind, ist die Frage der Herkunft der Arier. Soweit ich es sehen kann, setzt sich ungefähr seit 1907/08 eine Richtung durch, die sich eben - und hier wieder der antisemitische Aspekt - gegen die überkommene ex-oriente-lux-Theorie wendet - also das Licht kommt aus dem Osten, der Schöpfungsherd der Menschheit liegt im Osten - und hier will man eben dann auch auf ältere Vorbilder zurückgreifen eine neue Theorie, die ex-septentrione-lux-Theorie, das Licht kommt aus dem Norden."
... völkische Diskurse, die schließlich in die Nazi-Ideologie einflossen; Diskurse, die auch heutige Germanophile pflegen ...
"... die reinlichen Germanen, das "freie Germanien" mit seiner kulturell hochstehenden Zivilisation, die spirituellen und naturreligiösen Germanen, gastfreundlich aber unvermischt ..."
"Unsere Vorfahren, welche die vorwärts brandende Woge des Römerthums ein für alle Mal zurückdämmten ... bewahrten die Wurzeln und Quellen unseres Volksthums ..."
... dieser völkische Historiker aus dem Jahre 1900 erinnert an die Varusschlacht. Hier soll der Germane Hermann der Cherusker, alias Arminius, die Römer im Jahre 9 nach Christus vernichtend geschlagen haben. Man feierte ihn deshalb als Begründer eines "freien Germanien".
"Auf den Trümmern des verschollenen Imperatorenreiches tritt eine jugendfrische Kraft, … die in sich selber die Kraft und Macht verspürt, erobernd, werbend, schaffend und bildend in die Welt hinaus zustreben."
Nach der Reichsgründung 1871 ehrte man Arminius durch Denkmäler im Teutoburger Wald, weil man hier den Ort der Varusschlacht vermutete. Zur 1900-Jahrfeier im Jahre 1909 feierten ihn die deutschen Nationalisten, allen voran die völkische Bewegung.
Rosengard: "Wir haben uns selbst auch für diese Varusschlacht beworben …"
… für das Jahr 2009. Hier kündigt sich unter der Schirmherinnenschaft der Bundeskanzlerin wieder Gewaltiges an: Ausstellungen, Vorträge, Reenactments.
Rosengard: "Semnonen und Varusschlacht ist so eine Sache. Wirklich belegt ist eine Semnonische Beteiligung nicht ..."
... doch unsicherer als das Ereignis der Varusschlacht selbst ist die Beteiligung der Semnonen auch nicht. Kein Grund also für den Sprecher des Semnonenbundes e.V. sich irritieren zu lassen:
Rosengard: "... allerdings waren die Semnonen nach Überlieferungen aus damaliger Zeit eine derart bedeutende Instanz, was den Raum des sogenannten freien Germaniens anging, dass ganz bestimmt die Stämme um Arminius bei der Varusschlacht auch um semnonische Beteiligung nicht herum gekommen sind. Es werden auch garantiert semnonische Einheiten an der Varusschlacht teilgenommen haben."
Puschner: "Was wissen wir heute überhaupt von den Germanen?. Das ist die römische Überlieferung - in erster Linie Tacitus, wobei schlichtweg negiert wird, dass es sich hier um einen Sittenspiegel für die spätrömische Gesellschaft handelt ..."
"Wir wissen herzlich wenig über die Binnengliederung der etwas unglücklich so genannten 'Germania libera', also des barbarischen Germaniens."
... meint der Germanenexperte Rudolf Simek. Teile des Alltagslebens ließen sich allerdings durch einige archäologische Funde konstruieren, so Karl Banghard, der Leiter des archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen:
Banghard: "Bei uns geht es um den Alltag und die Umwelt der Menschen und ... wie ich mit meinem Leben zurechtkomme oder wie ich mir meine Identität zusammenzimmre. Das ist eigentlich die Sache, die wir versuchen, den Menschen zu geben, dass man genau hingucken muss und dass man auch viele Sachen immer wieder hinterfragen muss."
Konstruktionen – zumal die über die Germanen - müssen als Konstruktionen erkennbar bleiben. Konstruktionen der völkischen Bewegung müssen dekonstruiert werden.
Banghard: "In dem großen wissenschaftlichen Varusschlachtprojekt da sehe ich überhaupt keine Probleme. Die dekonstruieren wie die Weltmeister und die kriegen das, meiner Meinung nach, schon richtig hin. Was aber im allgemeinen Marketing nebenan so läuft, was in den einzelnen Kleinstädten im Teutoburger Wald so läuft, was da für Gruppen auftreten – da möchte ich am liebsten nicht mit reinhören, da ist .. natürlich schon eine gewisse Germanisierung des Teutoburger Waldes angesagt ..."
Einige Gemeinden des Teutoburger Waldes reklamieren bis heute, die wahren Orte der Varusschlacht gewesen zu sein. Im 19. Jahrhundert vermutete man die Schlacht nahe den Externsteine bei Paderborn ...
Uta Halle: "... aber der Ausgräber hat dann sehr süffisant bemerkt, man hätte nichts gefunden, was irgendwie auf die Anwesenheit der Römer hindeuten würde und hat dann alle seine Suchschnitte wieder zuschütten lassen."
Die Archäologin Uta Halle ist Externsteinexpertin und zeigt in ihrer hochinteressanten und gut lesbaren Studie "’Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!’. Prähistorische Archäologie im Dritten Reich", wie sich die völkische Germanophilie an den Externsteinen entwickelte.
"Die Externsteine sind markante Sandsteinfelsen, aus denen einige Kammern herausgeschlagen sind. Auch andere Felsbearbeitungen existieren, vor allem ein großes Kreuzabnahmerelief, wahrscheinlich aus dem 12. Jahrhundert."
In den 1920er Jahren erklärten völkische Laienforscher, die Externsteine seien eine zentrale germanische Kultstätte gewesen.
Uta Halle: "Es ging darum zu zeigen, dass die einheimische Bevölkerung, die Germanen, eine hochstehende Kultur hatten, zu sagen, wir waren schon immer wer und da haben die Externsteine im Grunde genommen eine besondere Rolle auch gespielt."
"Nicht aus dem semitischen Osten, sondern aus dem germanischen Norden käme die Kultur ..."
... ein bis zu den heutigen Germanendarstellern gängiges völkisches Stereotyp. Daran schließt ein anderes an:
"Im Zuge der gewaltsamen Missionierung der Germanen seien christliche Kirchen an heidnischen Kultstätten errichtet worden, um diese zu entweihen und für immer und ewig auszulöschen ..."
... das ist an einigen Orten nachweisbar.
Uta Halle: "Wir haben ganz wenig Plätze, wo wir eine solche sakrale Kontinuität nachweisen können. An den Externsteinen können wir das nicht nachweisen."
Grabungen vor 1932 stießen auf keine Funde, die darauf schließen lassen, die Externsteine seien ein germanisches Heiligtum gewesen. Trotzdem hält der völkische Laienforscher Wilhelm Teudt an dieser Idee fest:
Uta Halle: "Und dann im Januar 1933 ist ja dann der Machtwechsel. Die NSDAP bekommt die Reichsregierung und ab dem Moment stellt man sehr deutlich fest, dass dieser Wilhelm Teudt ganz gezielt an die Parteioberen rangeht und diese führenden Nationalsozialisten versucht für seine Idee zu begeistern. Und das gelingt ihm bei einigen Leuten. Und dann wird wieder beschlossen, wir müssen eine weitere Grabung machen, um dieses germanische Heiligtum dann zu machen."
Die Wissenschaftler schwenkten um. Bereits vorher waren einige in die NSDAP eingetreten.
Halle: "... aber der größte Teil ist zwischen 1933 und 1939 zur SS gewechselt. Etwa 95 Prozent unseres Faches waren in der SS aktiv."
In Sachen Germanenmythos setzte sich schließlich das SS-Ahnenerbe gegenüber dem "Amt Rosenberg" durch. Himmler und seine SS wurden erst nach 1934 an den Externsteinen aktiv.
Halle: "Die Archäologen sind weder dumme Befehlsempfänger gewesen noch sind sie die armen Verführten gewesen, sondern sie haben sich ganz genau überlegt, welche Forschungsprojekte sie den Nationalsozialisten andienen konnten. Sie haben dann auch vieles als "germanisch" den Machthabern verkauft und damit ihre eigenen Forschungsideen und Forschungsziele verfolgt."
Der Grabungsleiter Julius Andree fand, was er finden wollte und konstruierte das von Karl dem Großen zerstörte germanische Heiligtum.
"Einen Türsturz erklärte er zum germanischen Opfertisch, ein ausgehauenes Felsloch zur Befestigungsvorrichtung für die lang gesuchte Irmisul-Säule ..."
... noch heute werden germanophile Laienforscher kreativ, wenn es um dieses sächsische Heiligtum geht, das der "Sachsenschlächter" Karl der Große zerstört haben soll.
Zwischen 1935 und 1939 inszenierten die Nazis Sonnenwendfeiern an den Externsteinen. Mitte der 60er Jahre setzten diese Tradition rechtsgerichtete völkische Gruppen fort, seit den 80er Jahren kommen Esoteriker und Neuheiden hinzu.
Rosengard: "Es geht natürlich um Vorfahren. Man möchte natürlich ureigenste Geschichte, wenn man Berliner oder Brandenburger ist, möchte man wissen, was hier zu der Zeit war ..."
... und deshalb will der Semnonenbund dort, wo die SS Grabungen vornehmen ließ und Reste einer germanischen Siedlung fand, das Museumsdorf errichten. Zitat aus der Homepage:
"Spätestens seit dem Jahr 2003 ist, neben dem Bau des Museumsdorfes GANNAHALL, die experimentelle Archäologie, sowie die Darstellung im "Living History"- und Reenactment-Bereich zum Hauptanliegen eines Großteils der aktiven Mitglieder geworden."
Rosengard: "Wir könnten uns besonders Kinderarbeit gut vorstellen, weil wir Pädagogen im Verein haben und zum anderen weil nun einmal in Brandenburg das Angebot nicht sonderlich groß ist."
"... attraktives Ziel für Klassenfahrten und Wandertage ... Schulklassen (erhalten) die Möglichkeit, regionale Geschichte anschaulich vor Ort vermittelt zu bekommen."
Was die Finanzierung betrifft, ist Sascha Rosenrat guter Dinge: Festivals werden veranstaltet, EU-Gelder beantragt ...
Rosengard: "Insgesamt kann man sagen, dass die Stadt Nauen dem eigentlich wohlwollend gegenübersteht."
Auf Anfrage bestätigte das der Bürgermeister der Stadt Nauen, betonte aber, dass sich der Semnonenbund von rechtsradikalen Gruppen distanzieren müsse. Und das ist kein Problem. Schließlich verteile man, so ihr Sprecher, auf ihren "Rock-for-Roots-Festivals" Flugblätter mit warnenden Hinweisen ...
"... jeglicher Missbrauch dieses Konzerts zu Zwecken politisch oder sonst motivierter Propaganda (ist) ausdrücklich unerwünscht ..."
... und schließlich habe man auf einem Festival den Stand eines bekannten Rechtsradikalen entfernen lassen. In Zukunft werde man keine Bands mehr auftreten lassen aus dem rechtsradikalen Umfeld.
Rosengard: "Wir können da nur sagen: Wir passen auf, was für Bands wir – jedenfalls bei unserem Festival spielen lassen. Wir prüfen sowohl die Bands als auch die Stände, die da sind. Das ist in der Vergangenheit leider schon schief gelaufen, wo die Antifa dann gleich sich drauf gestürzt hat."
Die Meinung der Archäologin Professor Uta Halle zu dem Projekt:
"Man muss das Ganze sehr, sehr kritisch betrachten, was soll da für eine Ideologie transportiert werden und solange das in dem Bereich ohne Wissenschaftler in dem Bereich eines Semnonenbundes bleibt, würde ich die ganze Sachlage ablehnen. Da ist eine Situation entstanden, dass halt Laien gesagt haben, wir möchten diese alte SS-Grabung rekonstruieren."
Auch die Wissenschaftler und Fachleute in den Museen werden inzwischen hellhörig, wenn professionelle Reenactmentgruppen Hakenkreuzsymboliken zeigen, also Swastiken.
Rosengard: "Wenn man die Swastika ganz klar abgrenzt, wenn man die ganz klar im historischen Sinne benutzt, denke ich, ist da nicht so das große Problem ..."
... dann jedoch schon, wenn Swastiken in einer Häufigkeit auftauchen, die nicht der frühmittelalterlichen Wirklichkeit entsprechen, wenn Originalmotive abgewandelt werden, um den Hakenkreuzcharakter deutlicher herauszustellen ...
Halle: "Wenn die nur germanische Lebensweise transportieren wollen, kann man das auch ohne Hakenkreuze machen, dann kann man das auch mit schönen bunten Borten machen, dann muss man nicht das Hakenkreuz einweben lassen."
Ulfhednar, eine bekannte internationale Reenactmentgruppe, die in vielen renommierten Museen engagiert und auch von verschiedene ADR-Sendeanstalten bezahlt wurde, um in Dokumentationen Germanen zu mimen, sparte nicht mit Swastiken.
"Pferdedecken mit Swastiken, Schwertgriffe, Standarten ähnlich denen der SS, Schmuckstücke und so weiter ..."
27. April 2008: Ulfhednar hat einen Auftritt in der Ausstellung: "Eine Welt in Bewegung. Unterwegs zu Zentren des frühen Mittelalters" in Paderborn-Schloss Neuhaus. In einem offenen Schreiben – der "Mannheimer Erklärung" – fasst Albrecht Jockenhövel, Professor für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie in Münster, den Vorfall zusammen:
"Die Ulfhednar-Gruppe war unter großem Zulauf des Publikums aktiv. Die zunehmende Sonnenwärme führte am Nachmittag dazu, dass ein Mitglied seinen Wams auszog. Es kam der bloße Oberkörper und Bauch zum Vorschein. Auf ihm war in gotischer Schrift eintätowiert: 'Meine Ehre heißt Treue.' Es handelt sich bekanntlich um den Leitspruch der SS. Ihn in der Öffentlichkeit zu nennen und zu tragen, ist nach Strafgesetzbuch § 86a ein Straftatbestand."
Ein bereits vereinbartes Interview mit dem Ulfhednar-Vorsitzenden Arian Ziliox sagte dieser kurzfristig ab.
Dieses Manuskript wurde am 4.8.2008 redaktionell überarbeitet und stimmt nicht mehr mit der gesendeten Fassung überein.
16. Burgfest in Neustadt-Glewe 6. bis 8. Juni 2008.
Die Kleinstadt liegt etwa halber Strecke zwischen Hamburg und Berlin.
Die kämpfenden Männer – bärtig, langhaarig, häufig tätowiert und äußerst wohl genährt - legen Wert auf originalgetreues Outfit.
Interviews im Germanenlager: "Es gibt genügend Grabfunde, wo das alles belegt ist. Auch Schlachtfelder halt. Aber es gibt schon Leute, die sich auf einen sehr engen Zeitraum auch beschränkt haben, auch nur die Grabfunde aus dieser Zeit: Gürtelbeschläge, Gürtelschnallen, Helmbeschläge und sich auch in Details verrennen. Die sind detailverliebt."
Inzwischen gibt es auch Germanenkleidung von der Stange: aus Polen und Russland. Doch selbsthergestellte Kleidung – den archäologischen Funden ähnlich – ist irgendwie präsentabler:
Interviews im Germanenlager: "Da geht so viel Arbeit rein. Das ist ein individueller Wert im Grunde genommen. Also, wenn man viel selber baut, ist es natürlich sehr günstig. Da muss man allerdings seine ganze Freizeit für opfern. Wenn man sein Kettenhemd selber knüpft oder vernietet von Hand. Da sitzt man bestimmt ein Jahr dort. Jeden Abend vor dem Fernseher. Manche machen das."
Reenactment in Neustadt-Glewe: "Bemüht euch und feuert euere Mannschaft an. Da wir nicht zum Spielen hier sind, sondern zum Kämpfen. Die Toten mögen sich erheben. Geht auf euere Position und gebt, was ihr könnt."
Die Veranstaltung ist weitgehend ironiefrei. Es geht ernsthaft zur Sache. Die heutigen Germanen ...
Interviews im Germanenlager: "... das waren meine Vorfahren und ganz klar fühle ich mich auch dem verbunden."
... die germanischen Kämpfer verstehen sich als Sportler.
Interviews im Germanenlager: "Das Hauptding eigentlich, wo wir uns so treffen bei uns in der Gegend, ist eigentlich das Training, oder mal was basteln zusammen. Die Mädels treffen sich zum Stricken oder so, machen irgendwelche Klamotten, zusammennähen oder so und wir treffen uns hauptsächlich zum Training. Zwei mal die Woche. Schon vier, fünf Stunden."
Die Männer kämpfen, die "Mädels" stricken – so ist es bei ihnen und so soll es gewesen sein, damals in der heilen Germanenwelt. Soziologen sprechen von "Gegenweltbedürfnissen". Ihnen wird hier gemeinschaftlich auch von ganzen Familien entsprochen. Die heutigen Germanen sprechen lieber von "Sippe". Und – das ist ein Moment der Distinktion – man hebt sich von anderen ab: Man – so heißt es – "hat Wissen".
Interviews im Germanenlager: "Das ist auch mein Ansatz so, irgendwie. Living Reenactment, das ist ein bisschen lebendige Archäologie dabei."
"Living History" meint "lebendige Geschichte". Ein historischer Zeitraum soll durch Nachleben selbst erfahren und Dritten erfahrbar gemacht werden. Die Akteure versuchen historische Kleidung und Gegenstände Originalen nachzubilden und zu benutzen.
Die Living-History-Szene boomt seit den 1990er Jahren.
"Experimentelle Archäologie" dient der Erforschung von Techniken und Lebensweisen der Vergangenheit durch Nachbildung.
Karl Banghard: "Es wird aber immer wieder benutzt – dieses Wort – um irgendwelche lebensnahen Darstellungen zu verwissenschaftlichen."
Karl Banghard ist Leiter des archäologischen Freilichtmuseums in Oerlinghausen. Auch die Germanen sind sein Fachgebiet.
Reenactment meint die Darstellung von tatsächlichen oder möglichen historischen Ereignissen mit Hilfe möglichst detailgetreuer Ausstattung.
Banghard: "Die meisten Besucher suchen ja im Museum jetzt nicht unbedingt die fachliche Information, die suchen mehr oder weniger die Begegnung mit irgendeinem, der vielleicht ein interessanteres Leben führt als sie selbst. Und über diese Hintertreppe komme ich natürlich an die Menschen ganz anders heran."
... was nicht unwichtig ist, da Freilichtmuseen sich finanziell weitgehend selbst tragen müssen. Sie sind Dienstleister auf dem Bildungs- und Unterhaltungsmarkt. Bedeutende Museen für Vor- und Frühgeschichte heuern immer häufiger professionelle Reenactmentgruppen an.
Banghard: "Man nimmt halt das, was am meisten fetzt in den Medien, also die Darsteller, die am martialischsten daher kommen, die bei Trockeneisnebel auch noch am besten wirken ..."
Reenactments locken Besucher in die ansonsten eher spärlich besuchten "Vitrinen-Museen".
Uta Halle, Professorin für Vor- und Frühgeschichte und Leiterin der Landesarchäologie Bremen:
"Die normale Bildungsbürgerschicht stirbt aus. Von daher gesehen bringt eine solche Reenactment-Gruppe, bei der natürlich dann auch mal etwas ausprobiert werden kann, wo zugeguckt werden kann, das ist schon etwas anderes, das macht einen Teil von Geschichte auch erfahrbar – erfahrbar auch mit anderen Sinnen. Das denke ich ist legitim. Dann gehen die auch mit offenen Augen dann hinterher tatsächlich vor die Vitrinen und gucken sich das an: Ja, so ist das ausgegraben worden."
Die Archäologie, Vor- und Frühgeschichte erlebt derzeit einen Popularitätsschub. Die Zahl der Archäologiestudenten steigt. Hollywood macht Kasse mit Indiana-Jones- und anderen Filmen und ihrer Mischung aus Archäologie und Abenteuer.
Banghard: "Gerade die Generation jetzt zwischen 16 und 25, die ist ja extrem geprägt durch den 'Herrn der Ringe'. Ich denke, das hat eine ganze Generation verstrahlt ..."
... mit einer Mischung aus Esoterik und mythischer Vorzeit.
Banghard: "Archäologie zieht natürlich die Esoteriker an wie der Misthaufen die Fliegen."
Und selbst der Steinzeitalpine "Ötzi" weckt diffuse Sehnsüchte nach Heimat, eigenen Wurzeln und einem harten, aber unkomplizierten Leben.
Banghard: "Archäologie ist ja in den Medien immer mehr verkommen zu einer Art Gegenentwurf zu Kultur. Kultur – moderne Kunst - sind ja sperrig und kontrovers – und Archäologie hat immer so einen warmen Trockeneisnebel hinter sich."
... sie wird benutzt, um mit der Vergangenheit auch die Gegenwart ein bisschen zu verzaubern. Im Gefolge von tapferen Hobbits, blonden Elfen, geheimnisvollen Kelten tauchen heute – nach einigen Jahrzehnten völkischer Abstinenz – wieder einmal die vermeintlichen Vorfahren der Deutschen auf: "Unsere Ahnen", die Germanen.
Es geht bei den Hobby-Reenacters und Darstellern "lebendiger Geschichte" häufig um die Konstruktion einer "ureigensten" Vergangenheit.
"... mein Interesse an unseren germanischen Vorfahren ..."
... so die Offenbarungen in Homespages ...
"... Verbundenheit mit unseren Ahnen ..."
Ein Mitglied des "Semnonenbundes" - die Semnonen waren übrigens ein Germanenstamm - bekennt:
"Außerdem bin ich der Meinung, (kann) die Pflege unserer kulturellen und mythologischen Wurzeln sinnstiftend auch für unser heutiges Leben sein ... Weiterhin bin ich Mitglied der Germanischen Glaubensgemeinschaft, der GGG ..."
... einer Art Religionsgemeinschaft, die in der völkischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand, und sich dann, nach 1945 wieder organisierte und bis heute fortbesteht.
Ziel sei, so der heutige Vorsitzende GGG Géza von Neményi in seinem Buch "Heidnische Naturreligion"...
"... die Menschheit aufzurütteln und zur Rückkehr zu ihren Göttern zu bringen, damit die Naturzerstörung beendet wird."
Doch der heidnische Glaube, versichert Sascha Rosenrat, der Sprecher des brandenburgischen Semnonenbundes e.V. – der Glaube sei Privatsache.
Rosengard: "Wir agieren jetzt als Verein nicht religiös. Es ist natürlich so, dass wenn man diesen Glauben lebt oder wenn man ein besonderes Interesse an diesem heidnischen Glauben hat, dass dann natürlich gewisse Kontaktschwierigkeiten zum Christentum bestehen, einfach aus dem Grund, weil man natürlich immer im Hinterkopf hat, was 'das Christentum', will man es jetzt einmal verallgemeinern, dem Glauben angetan hat."
Der Semnonenbund war auch beim Reenactment in Neustadt-Glewe aktiv.
Interviews im Germanenlager: "Und eben die Wurzeln. Für viele ist, ich sage mal, das Christentum nicht so beliebt. Und diese Gemeinschaft dann auch, dass man eine ganz andere Gemeinschaft hat, eben."
Musik: Landser: "Wir wollen euern Jesus nicht, das alte Judenschwein."
Diese Musik brachte die inzwischen verbotene rechtsradikale Band "Landser" unters heidnische Volk. Hier wird die Ablehnung des Christentums antisemitisch begründet: Das Christentum erscheint als artfremde, weil jüdische Religion, die den Glauben der Ahnen unterdrückt habe.
Legale germanophile Neuheiden außerhalb des organisierten Rechtsextremismus pflegen ähnliche Diskurse, bekunden allerdings ihre Distanz zum Antisemitismus und Rassismus der rechtsradikalen Szene.
Musik: Landser: "Wallvater Wotan soll unser Herrgott sein."
Wichtiger als germanische Göttermythen ist den germanischen Schwertkämpfern und ihrer Gefolgschaft eine "germanische Naturreligiosität":
Rosengard: "Man hat doch ein anderes Natur- oder Menschenempfinden, als ich es jetzt dem Christentum unterstellen würde. Man kann grundsätzlich sagen, dass Naturreligionen, wenn sie wirklich ernsthaft ausgelebt werden, nach meinem Verständnis sehr viel Menschen- und umwelttoleranter, -akzeptierender, -respektierender sind."
Das "artfremde" Christentum unterdrückte gewaltsam den naturreligiösen, polytheistischen und deshalb toleranteren Glauben "unserer" Ahnen – eine Konstruktion, die bereits in der völkischen Bewegung Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts wirksam wurde und den Nationalsozialismus ideologisch vorzubereiten half. Damit verbunden waren damals Rituale wie Sonnenwendfeiern, etwas, auf das die heutigen Germanen auch nicht verzichten wollen.
Rosengard: "Wir versuchen schon zu dementsprechenden Anlässen da eine gewisse Spiritualität uns aufzubauen ..."
... das Julfest wird germanisch gefeiert, bei der Sommer- und Wintersonnenwende verzichtet man nicht auf "heil’ge Brände ...
Interviews im Germanenlager: "Das ist ja nicht so, dass die Christen da angekommen sind und irgendwie die Moralvorstellungen mitgebracht haben. Die existierten ja schon vorher. Erst mit dem Christentum sind ja die Leute unsauber geworden. Das verwechselt man ja auch. Das waren hochreinliche Leute. Wikinger waren sogar sehr eitel. Und die Germanen waren auch sehr reinlich. Die Mundhygiene, dann kannten die alles, die Jungens. Dass das auch nicht vergessen wird."
... "hochreinlich" waren sie und "hochmoralisch", körperfeindlich aber nicht.
Interviews im Germanenlager: "Da war es auch kein Problem, wenn man mal gemischt in der Wanne gesessen hat. Das war alles okay, ohne dass etwas gewesen ist. Und Nein war Nein. Das ist auch ein deutlicher Unterschied. Natürlich, wenn ich auf Wiking gefahren bin, dann war das noch einmal eine andere Sache. Das war jetzt für den Kram zu Hause. Wenn ich jemanden überfalle, darf ich den Becher da mitnehmen. Das ist natürlich eine andere Sache ..."
... dann war nein nicht nein. So projizieren sich Männerfantasien auf unsere wilden "Ahnen" und lassen eine Moral entstehen, die unterscheidet zwischen "wir" und "die anderen", ein Baustein jeder rassistischen Ideologie.
"Das eigene Blut will sich durchsetzen gegen das fremde; so will und wird auch das arische Blut sich durchsetzen gegen jedes andere."
... so der um 1900 in der völkischen Bewegung sehr populäre Julius Langbehn. Zum völkischen Rassismus Prof. Uwe Puschner von der FU-Berlin:
"Ein ganz entscheidendes Moment innerhalb der völkischen Rassenideologie, die auch die Basis für die völkischen Religionsvorstellungen sind, ist die Frage der Herkunft der Arier. Soweit ich es sehen kann, setzt sich ungefähr seit 1907/08 eine Richtung durch, die sich eben - und hier wieder der antisemitische Aspekt - gegen die überkommene ex-oriente-lux-Theorie wendet - also das Licht kommt aus dem Osten, der Schöpfungsherd der Menschheit liegt im Osten - und hier will man eben dann auch auf ältere Vorbilder zurückgreifen eine neue Theorie, die ex-septentrione-lux-Theorie, das Licht kommt aus dem Norden."
... völkische Diskurse, die schließlich in die Nazi-Ideologie einflossen; Diskurse, die auch heutige Germanophile pflegen ...
"... die reinlichen Germanen, das "freie Germanien" mit seiner kulturell hochstehenden Zivilisation, die spirituellen und naturreligiösen Germanen, gastfreundlich aber unvermischt ..."
"Unsere Vorfahren, welche die vorwärts brandende Woge des Römerthums ein für alle Mal zurückdämmten ... bewahrten die Wurzeln und Quellen unseres Volksthums ..."
... dieser völkische Historiker aus dem Jahre 1900 erinnert an die Varusschlacht. Hier soll der Germane Hermann der Cherusker, alias Arminius, die Römer im Jahre 9 nach Christus vernichtend geschlagen haben. Man feierte ihn deshalb als Begründer eines "freien Germanien".
"Auf den Trümmern des verschollenen Imperatorenreiches tritt eine jugendfrische Kraft, … die in sich selber die Kraft und Macht verspürt, erobernd, werbend, schaffend und bildend in die Welt hinaus zustreben."
Nach der Reichsgründung 1871 ehrte man Arminius durch Denkmäler im Teutoburger Wald, weil man hier den Ort der Varusschlacht vermutete. Zur 1900-Jahrfeier im Jahre 1909 feierten ihn die deutschen Nationalisten, allen voran die völkische Bewegung.
Rosengard: "Wir haben uns selbst auch für diese Varusschlacht beworben …"
… für das Jahr 2009. Hier kündigt sich unter der Schirmherinnenschaft der Bundeskanzlerin wieder Gewaltiges an: Ausstellungen, Vorträge, Reenactments.
Rosengard: "Semnonen und Varusschlacht ist so eine Sache. Wirklich belegt ist eine Semnonische Beteiligung nicht ..."
... doch unsicherer als das Ereignis der Varusschlacht selbst ist die Beteiligung der Semnonen auch nicht. Kein Grund also für den Sprecher des Semnonenbundes e.V. sich irritieren zu lassen:
Rosengard: "... allerdings waren die Semnonen nach Überlieferungen aus damaliger Zeit eine derart bedeutende Instanz, was den Raum des sogenannten freien Germaniens anging, dass ganz bestimmt die Stämme um Arminius bei der Varusschlacht auch um semnonische Beteiligung nicht herum gekommen sind. Es werden auch garantiert semnonische Einheiten an der Varusschlacht teilgenommen haben."
Puschner: "Was wissen wir heute überhaupt von den Germanen?. Das ist die römische Überlieferung - in erster Linie Tacitus, wobei schlichtweg negiert wird, dass es sich hier um einen Sittenspiegel für die spätrömische Gesellschaft handelt ..."
"Wir wissen herzlich wenig über die Binnengliederung der etwas unglücklich so genannten 'Germania libera', also des barbarischen Germaniens."
... meint der Germanenexperte Rudolf Simek. Teile des Alltagslebens ließen sich allerdings durch einige archäologische Funde konstruieren, so Karl Banghard, der Leiter des archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen:
Banghard: "Bei uns geht es um den Alltag und die Umwelt der Menschen und ... wie ich mit meinem Leben zurechtkomme oder wie ich mir meine Identität zusammenzimmre. Das ist eigentlich die Sache, die wir versuchen, den Menschen zu geben, dass man genau hingucken muss und dass man auch viele Sachen immer wieder hinterfragen muss."
Konstruktionen – zumal die über die Germanen - müssen als Konstruktionen erkennbar bleiben. Konstruktionen der völkischen Bewegung müssen dekonstruiert werden.
Banghard: "In dem großen wissenschaftlichen Varusschlachtprojekt da sehe ich überhaupt keine Probleme. Die dekonstruieren wie die Weltmeister und die kriegen das, meiner Meinung nach, schon richtig hin. Was aber im allgemeinen Marketing nebenan so läuft, was in den einzelnen Kleinstädten im Teutoburger Wald so läuft, was da für Gruppen auftreten – da möchte ich am liebsten nicht mit reinhören, da ist .. natürlich schon eine gewisse Germanisierung des Teutoburger Waldes angesagt ..."
Einige Gemeinden des Teutoburger Waldes reklamieren bis heute, die wahren Orte der Varusschlacht gewesen zu sein. Im 19. Jahrhundert vermutete man die Schlacht nahe den Externsteine bei Paderborn ...
Uta Halle: "... aber der Ausgräber hat dann sehr süffisant bemerkt, man hätte nichts gefunden, was irgendwie auf die Anwesenheit der Römer hindeuten würde und hat dann alle seine Suchschnitte wieder zuschütten lassen."
Die Archäologin Uta Halle ist Externsteinexpertin und zeigt in ihrer hochinteressanten und gut lesbaren Studie "’Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!’. Prähistorische Archäologie im Dritten Reich", wie sich die völkische Germanophilie an den Externsteinen entwickelte.
"Die Externsteine sind markante Sandsteinfelsen, aus denen einige Kammern herausgeschlagen sind. Auch andere Felsbearbeitungen existieren, vor allem ein großes Kreuzabnahmerelief, wahrscheinlich aus dem 12. Jahrhundert."
In den 1920er Jahren erklärten völkische Laienforscher, die Externsteine seien eine zentrale germanische Kultstätte gewesen.
Uta Halle: "Es ging darum zu zeigen, dass die einheimische Bevölkerung, die Germanen, eine hochstehende Kultur hatten, zu sagen, wir waren schon immer wer und da haben die Externsteine im Grunde genommen eine besondere Rolle auch gespielt."
"Nicht aus dem semitischen Osten, sondern aus dem germanischen Norden käme die Kultur ..."
... ein bis zu den heutigen Germanendarstellern gängiges völkisches Stereotyp. Daran schließt ein anderes an:
"Im Zuge der gewaltsamen Missionierung der Germanen seien christliche Kirchen an heidnischen Kultstätten errichtet worden, um diese zu entweihen und für immer und ewig auszulöschen ..."
... das ist an einigen Orten nachweisbar.
Uta Halle: "Wir haben ganz wenig Plätze, wo wir eine solche sakrale Kontinuität nachweisen können. An den Externsteinen können wir das nicht nachweisen."
Grabungen vor 1932 stießen auf keine Funde, die darauf schließen lassen, die Externsteine seien ein germanisches Heiligtum gewesen. Trotzdem hält der völkische Laienforscher Wilhelm Teudt an dieser Idee fest:
Uta Halle: "Und dann im Januar 1933 ist ja dann der Machtwechsel. Die NSDAP bekommt die Reichsregierung und ab dem Moment stellt man sehr deutlich fest, dass dieser Wilhelm Teudt ganz gezielt an die Parteioberen rangeht und diese führenden Nationalsozialisten versucht für seine Idee zu begeistern. Und das gelingt ihm bei einigen Leuten. Und dann wird wieder beschlossen, wir müssen eine weitere Grabung machen, um dieses germanische Heiligtum dann zu machen."
Die Wissenschaftler schwenkten um. Bereits vorher waren einige in die NSDAP eingetreten.
Halle: "... aber der größte Teil ist zwischen 1933 und 1939 zur SS gewechselt. Etwa 95 Prozent unseres Faches waren in der SS aktiv."
In Sachen Germanenmythos setzte sich schließlich das SS-Ahnenerbe gegenüber dem "Amt Rosenberg" durch. Himmler und seine SS wurden erst nach 1934 an den Externsteinen aktiv.
Halle: "Die Archäologen sind weder dumme Befehlsempfänger gewesen noch sind sie die armen Verführten gewesen, sondern sie haben sich ganz genau überlegt, welche Forschungsprojekte sie den Nationalsozialisten andienen konnten. Sie haben dann auch vieles als "germanisch" den Machthabern verkauft und damit ihre eigenen Forschungsideen und Forschungsziele verfolgt."
Der Grabungsleiter Julius Andree fand, was er finden wollte und konstruierte das von Karl dem Großen zerstörte germanische Heiligtum.
"Einen Türsturz erklärte er zum germanischen Opfertisch, ein ausgehauenes Felsloch zur Befestigungsvorrichtung für die lang gesuchte Irmisul-Säule ..."
... noch heute werden germanophile Laienforscher kreativ, wenn es um dieses sächsische Heiligtum geht, das der "Sachsenschlächter" Karl der Große zerstört haben soll.
Zwischen 1935 und 1939 inszenierten die Nazis Sonnenwendfeiern an den Externsteinen. Mitte der 60er Jahre setzten diese Tradition rechtsgerichtete völkische Gruppen fort, seit den 80er Jahren kommen Esoteriker und Neuheiden hinzu.
Rosengard: "Es geht natürlich um Vorfahren. Man möchte natürlich ureigenste Geschichte, wenn man Berliner oder Brandenburger ist, möchte man wissen, was hier zu der Zeit war ..."
... und deshalb will der Semnonenbund dort, wo die SS Grabungen vornehmen ließ und Reste einer germanischen Siedlung fand, das Museumsdorf errichten. Zitat aus der Homepage:
"Spätestens seit dem Jahr 2003 ist, neben dem Bau des Museumsdorfes GANNAHALL, die experimentelle Archäologie, sowie die Darstellung im "Living History"- und Reenactment-Bereich zum Hauptanliegen eines Großteils der aktiven Mitglieder geworden."
Rosengard: "Wir könnten uns besonders Kinderarbeit gut vorstellen, weil wir Pädagogen im Verein haben und zum anderen weil nun einmal in Brandenburg das Angebot nicht sonderlich groß ist."
"... attraktives Ziel für Klassenfahrten und Wandertage ... Schulklassen (erhalten) die Möglichkeit, regionale Geschichte anschaulich vor Ort vermittelt zu bekommen."
Was die Finanzierung betrifft, ist Sascha Rosenrat guter Dinge: Festivals werden veranstaltet, EU-Gelder beantragt ...
Rosengard: "Insgesamt kann man sagen, dass die Stadt Nauen dem eigentlich wohlwollend gegenübersteht."
Auf Anfrage bestätigte das der Bürgermeister der Stadt Nauen, betonte aber, dass sich der Semnonenbund von rechtsradikalen Gruppen distanzieren müsse. Und das ist kein Problem. Schließlich verteile man, so ihr Sprecher, auf ihren "Rock-for-Roots-Festivals" Flugblätter mit warnenden Hinweisen ...
"... jeglicher Missbrauch dieses Konzerts zu Zwecken politisch oder sonst motivierter Propaganda (ist) ausdrücklich unerwünscht ..."
... und schließlich habe man auf einem Festival den Stand eines bekannten Rechtsradikalen entfernen lassen. In Zukunft werde man keine Bands mehr auftreten lassen aus dem rechtsradikalen Umfeld.
Rosengard: "Wir können da nur sagen: Wir passen auf, was für Bands wir – jedenfalls bei unserem Festival spielen lassen. Wir prüfen sowohl die Bands als auch die Stände, die da sind. Das ist in der Vergangenheit leider schon schief gelaufen, wo die Antifa dann gleich sich drauf gestürzt hat."
Die Meinung der Archäologin Professor Uta Halle zu dem Projekt:
"Man muss das Ganze sehr, sehr kritisch betrachten, was soll da für eine Ideologie transportiert werden und solange das in dem Bereich ohne Wissenschaftler in dem Bereich eines Semnonenbundes bleibt, würde ich die ganze Sachlage ablehnen. Da ist eine Situation entstanden, dass halt Laien gesagt haben, wir möchten diese alte SS-Grabung rekonstruieren."
Auch die Wissenschaftler und Fachleute in den Museen werden inzwischen hellhörig, wenn professionelle Reenactmentgruppen Hakenkreuzsymboliken zeigen, also Swastiken.
Rosengard: "Wenn man die Swastika ganz klar abgrenzt, wenn man die ganz klar im historischen Sinne benutzt, denke ich, ist da nicht so das große Problem ..."
... dann jedoch schon, wenn Swastiken in einer Häufigkeit auftauchen, die nicht der frühmittelalterlichen Wirklichkeit entsprechen, wenn Originalmotive abgewandelt werden, um den Hakenkreuzcharakter deutlicher herauszustellen ...
Halle: "Wenn die nur germanische Lebensweise transportieren wollen, kann man das auch ohne Hakenkreuze machen, dann kann man das auch mit schönen bunten Borten machen, dann muss man nicht das Hakenkreuz einweben lassen."
Ulfhednar, eine bekannte internationale Reenactmentgruppe, die in vielen renommierten Museen engagiert und auch von verschiedene ADR-Sendeanstalten bezahlt wurde, um in Dokumentationen Germanen zu mimen, sparte nicht mit Swastiken.
"Pferdedecken mit Swastiken, Schwertgriffe, Standarten ähnlich denen der SS, Schmuckstücke und so weiter ..."
27. April 2008: Ulfhednar hat einen Auftritt in der Ausstellung: "Eine Welt in Bewegung. Unterwegs zu Zentren des frühen Mittelalters" in Paderborn-Schloss Neuhaus. In einem offenen Schreiben – der "Mannheimer Erklärung" – fasst Albrecht Jockenhövel, Professor für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie in Münster, den Vorfall zusammen:
"Die Ulfhednar-Gruppe war unter großem Zulauf des Publikums aktiv. Die zunehmende Sonnenwärme führte am Nachmittag dazu, dass ein Mitglied seinen Wams auszog. Es kam der bloße Oberkörper und Bauch zum Vorschein. Auf ihm war in gotischer Schrift eintätowiert: 'Meine Ehre heißt Treue.' Es handelt sich bekanntlich um den Leitspruch der SS. Ihn in der Öffentlichkeit zu nennen und zu tragen, ist nach Strafgesetzbuch § 86a ein Straftatbestand."
Ein bereits vereinbartes Interview mit dem Ulfhednar-Vorsitzenden Arian Ziliox sagte dieser kurzfristig ab.
Dieses Manuskript wurde am 4.8.2008 redaktionell überarbeitet und stimmt nicht mehr mit der gesendeten Fassung überein.