Gert und Uwe Tobias

Grau − die unterschätzte Farbe

Uwe und Gert Tobias, ein Künstlerzwillingspaar, vor einem ihre Gemälde in der MoMa New York City, 2007
Gefeiertes Künstlerpaar: Die Zwillinge Uwe und Gert Tobias © dpa / epa / Justin lane
Von Astrid Meyerle |
Die beiden Zwillinge Gert und Uwe Tobias sind als Künstler eigentlich für ihr buntes Werk bekannt. Doch nun zeigen sie in München "Grisaille" − Bilder, Collagen und Skulpturen in verschiedenen Grau-Nuancen.
Uwe Tobias: "Grau ist für mich ein Abenteuer und ein ganz weites Spektrum, wo man sich lange drin verlieren kann."
Gert Tobias: "Grau ist ja eigentlich eine sehr spannende Angelegenheit, weil es relativ neutral und abstrakt ist und zusätzlich kommt dazu, dass meine Haare auch immer grauer werden."
Michael Hering: "Grau hat eine große Noblesse, eine Zeitlosigkeit. Die Farbe Grau ist die Farbe des Intellekts."
Die beiden Künstler Gert und Uwe Tobias unterhalten sich mit Michael Hering, dem Leiter der Graphischen Sammlung München, über ihr Verhältnis zur Farbe Grau. Was die drei erzählen, klingt wie eine Hommage an einen allzu unterschätzen Farbton und genau so wirkt auch diese Ausstellung: wie eine Feier seiner Qualitäten. Nämlich etwa besonders präzise Licht- und Schatten wiedergeben zu können, besonders gut Ambivalenzen wie hell - dunkel, nah - fern oder abstrakt - konkret herstellen zu können. Gert und Uwe Tobias loten in faszinierenden Varianten die Möglichkeiten dieser Farbe neu aus. Ganz im Gegensatz zu den Anfängen der Grisaille in der Kunstgeschichte: dort tauchte sie vor allem auf Altarretabeln und Fastentüchern als Zeichen der Trauer und des Mitleidens auf.

Die Wiederholungen der Ornamente erinnern an einen Beat

Bei Gert und Uwe Tobias schwingen diese symbolischen Verweise mit, aber mehr noch interessiert sie die Präzision und Klarheit, die Grau erzeugen kann. Auch bestimmte wiederkehrende Motive treten umso deutlicher hervor. Gert Tobias geht noch einen Schritt weiter:
"Wenn man die Ausstellung abläuft, entstehen Analogien, egal in welchem Raum man ist, entstehen Analogien. Man nimmt von dem anderen Raum immer was mit und trägt das durch die komplette Ausstellung."
Gert und Uwe Tobias, eineiige Zwillinge, durchmessen in bedächtigen Schritten noch einmal die Schau. Ihr Gang ist frappierend ähnlich, wie überhaupt ihre gesamte Erscheinung: beide tragen dunkle Anzüge, weiße Hemden. Arbeiten sie auch immer zusammen? Gert Tobias:
"Grundsätzlich arbeitet jeder für sich, wir arbeiten nicht an einem Holzschnitt zu zweit, jeder macht seinen."
Druckstöcke mit großen, klaren Gitterstrukturen oder Arabesken setzen die beiden beim Printen neben- und übereinander. Die Wiederholungen der Ornamente erinnern an einen regelmäßigen Beat, den etwa ein DJ mit seinem Mischpult generiert.
Hering: "Diese Idee des Beats finde ich gar nicht so schlecht, man kann das als Beat bezeichnen in der populären Musik. Ich würde von der Kunst der Fuge sprechen, wo ein Thema variiert wird und das Thema wird immer komplexer, aber es ist nicht so, dass der Besucher außen vorsteht, sondern der wird mitgenommen durch diesen Flow. Da ist tatsächlich ein Flow in diesem Raum."

Woher kommen die wichtigsten Impulse in der Kunst?

Ganz anders der Skulpturengarten. Nein, nicht unter freiem Himmel und ringsum begrünt, sondern in einem einzigen Raum, zu allen Seiten gefasst von dunkelgrauen Wänden, über die sich eine vage Gitterstruktur zieht. Das schwache künstliche Licht bricht sich auf der creme-gold changierenden Glasur der fünf überlebensgroßen Porzellanskulpturen: rechts ist vage ein nach oben gestreckter Arm zu erkennen, links ein Fuß, weiter hinten vermutlich ein liegender Totenkopf. Deutet die Farbe des Raums also auf ein infernalisches Grau? Mutmaßungen führen in die eine Richtung, die Ideen, die sich Gert und Uwe Tobias aus der Geschichte der Kunst holen, in eine andere. Denn diesem Raum liegt eine sehr besondere Zeichnung Michelangelos zugrunde: sie befindet sich heute in der Grafischen Sammlung in München und wird am häufigsten von anderen Museen als Leihgabe angefragt. Der Grund: sie lieferte den Beweis dafür, dass Michelangelo anatomischen Studien mit Hilfe von Toten betrieben hat. Michael Hering:
"Gert und Uwe Tobias waren hingerissen von der Zeichnung und haben sich dann entschlossen, zu dem Thema, was sie eh interessiert, - klassische bildhauerische Fragen, was ist ein Finger, was ist eine Hand was ist ein Fuß? - sich dieser Zeichnung zu widmen und dann diesen Raum zu kreieren, wo die Maßästhetik sich auf den Lenden befindet, als ein Tribut an die italienische Rennaissance, weil Körperstudien tatsächlich an Menschen gemacht worden sind."
Die Schau rührt daher an ganz grundlegende Fragen: woher kamen und kommen die wichtigsten Impulse in der Geschichte der Kunst, damals und auch heute?
Vor diesem Hintergrund wirkt die Ausstellung der Tobias-Brüder wie ein Forschungsaufbau, die eigenen Mittel noch einmal zu überdenken und mit Hilfe des Grau zu präzisieren. Ein Versuch mit offenem Ausgang: in München ist er geglückt.
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