Geruchlos geronnen
Die Kunst als Erlebnis - das Credo des Hermann Nitsch. Er schüttet seine Bilder, anstatt sie zu malen. Er veranstaltet Orgien-Mysterien-Theater benannte Festspiele, die berühmt-berüchtigt sind für ihren Reichtum an Blut und Gedärmen.
"Der Zuschauer, oder ich nenn ihn gar nicht Zuschauer, ich nenn ihn Spiel-Teilnehmer. Der muss ganz intensiv empfinden. Das verlang ich von ihm. Er selbst muß sich ereignen! Also nicht jemand tanzt vor ihm herum, sondern er soll riechen, schmecken, tasten, schauen, hören. Das ist ganz wichtig!"
Die Kunst als Erlebnis - das Credo des Hermann Nitsch. Er schüttet seine Bilder, anstatt sie zu malen. Er veranstaltet Orgien-Mysterien-Theater benannte Festspiele, die berühmt-berüchtigt sind für ihren Reichtum an Blut und Gedärmen. Dieses "Erlebnis Kunst" versucht man im Martin-Gropius-Bau dementsprechend in den Mittelpunkt zu stellen.
Bilder aus Nitschs Dramen flimmern über eine meterhohe Großbildleinwand und kleine Monitore rund um den Lichthof des Museums. Bilder aus dem Wiener Burgtheater, wo er im vergangenen Jahr sein Theater inszenierte. Und vom Sechstagespiel, indem 1998 erstmals vollkommen die 1700 Seiten starke "Idealpartitur" des Künstlers verwirklicht wurde - auf seinem Schloß Prinzendorf in Niederösterreich.
Es ist eine Mixtur sich wiederholender Bilder eines sakralen Spiels: Zu Glockengeläut und mal sphärischen, mal atonal, schrägen Klängen zieht die Prozession der Teilnehmer zum Ort des Rituals. Stiere werden geschlachtet, Säue ausgeweidet. Unmengen von Blut werden ganz real über symbolisch Gekreuzigte gegossen, Trauben von Menschen wühlen in kiloweise auf dem Boden verteilten Trauben. Videos, Fotos, die dem Betrachter eine Ahnung von all dem verschaffen, das Hermann Nitsch mit seiner Kunst bietet - von Abgestoßen bis fasziniert sein, von Ih bis Oh, von Ekstase bis Ekel.
"Das ist die so genannte Ekelschranke. Die fangt beim einen früher an und beim anderen später. Nur ein Beispiel: Wenn man in München ins Oktoberfest geht, da kommt man zuerst in einen Saal hinein. Das ist Sägespäne und Erbrochenes. Verschüttetes. Bier! Dann kommt das erste Maß, und plötzlich geht die Ekelschranke zurück. Und statt dem kommt eben der Rausch und die Erfahrung des Rausches. Das ist auch wieder eine Form von Theater."
So berauschend allerdings kann man das bewegte Gesamtkunstwerk Nitsch nicht im Museum ausstellen – oder gar erleben. Es gibt zwar ein Geruchslabor und einen Musikraum. Aber das Blut auf den Bildern, die Nitsch in seinem riesigen Atelier auf seinem österreichischen Schloß schüttet, statt zu malen - es ist längst geruchlos geronnen.
Und dennoch hat der Aktionskünstler ganz selbstbewusst kein Problem damit, museal zu sein
"Ich meine, dass große Kunst tatsächlich immer aktuell bleibt. Und sich ins Museale nicht abschieben lässt."
Im Unterschied zu anderen Künstlern, von deren Aktionen kaum etwas übrig blieb, gibt es bei Hermann Nitsch mehr als genug, wie die Kuratorin Britta Schmitz erläutert. Wenig sei improvisiert, vieles bis ins Detail geplant. Perfekt für eine umfassende Dokumentation – einengend vielleicht für die Freiheit der Kunst. In jedem Fall aber passt es zu Hermann Nitsch, der sich seit dem Ende der 50er Jahre mit einer an Akribie grenzenden Genauigkeit seinen zeitlosen Kosmos geschaffen hat, in dem alles immer wieder um die Themen Religion, Mythos und Tiefenpsychologie kreist.
So ist es nur konsequent, dass die Retrospektive bis auf wenige Ausnahmen keiner Chronologie folgt. Gewissermaßen ohne Anfang und Ende ist. Die Räume erinnern gleichermaßen an die sakrale Festspiel-Atmosphäre des Nitsch Theaters, bestückt mit Altären, Priestergewändern, Skalpellen und anderen Reliquien. Die teils aus Privatsammlungen und dem Museum Ludwig entliehenen großformatigen, oft mehrteiligen Bilder hängen nach Motiven, nicht nach Daten geordnet an den Wänden. Nur die frühen Schüttbilder werden gemeinsam gezeigt. Angeregt durch das amerikanische Action Painting und die informelle Malerei ließ Hermann Nitsch Anfang der 60er erstmals die Farbe fließen, spritzen, tropfen ...
"Und da hab ich gesagt: Um Gottes Willen, diese Maler, die machen ja das Gleiche, als was ich am Theater machen möchte. Und hab dann sofort begonnen, wieder zu malen. Und habe Farbe und Blut auf Leinwände geschüttet. Und gespritzt. Und diese Aktionsmalerei hatte bereits dramatischen Charakter und dann war es ein Kurzes, aus dem Raum auszusteigen und die Aktionen zu verwirklichen."
Sein vor 46 Jahren geschaffener "Existenzaltar" aus in Kreuzform angeordneten Bildern fasziniert in seiner abstrakten Plastizität. Beeindruckend sind auch andere Arbeiten des 1938 in Wien geborenen Künstlers: Wenn herunter geronnene Flüssigkeit wie ein Vorhang aus Farbe und Blut wirkt, wenn mit dem Besen statt dem Pinsel gemaltes wie ein dunkles Blütenmeer daherkommt, wenn pechschwarze Farbberge mit hellgelben Flächen kontrastieren.
Doch die davor postierten Altäre, die eincollagierten pastoralen Malhemden, die Fotos, auf denen nackten Menschen tierisches Gedärm wie Geschwüre ums Geschlecht gelegt wird - sie wirken aufgesetzt, dazugestellt und -gehängt. Als dürfe das Label OMT, das Zeichen der Zugehörigkeit zum Orgien-Mysterien-Theater des Hermann Nitsch, keinesfalls fehlen.
So ist man am Ende des Rundgangs zwiegespalten: Zwischen der Kraft einzelner Bilder, und der Frage, ob sich wirklich die Wirklichkeit umso mehr auftut, je ekstatischer man lebt - wie Hermann Nitsch sagt. Oder ob seine performte Ekstase nicht zur erstarrten Auseinandersetzung mit Religion und Mythos geworden ist. Das Ritual zur perfekt organisierten Routine.
Die Kunst als Erlebnis - das Credo des Hermann Nitsch. Er schüttet seine Bilder, anstatt sie zu malen. Er veranstaltet Orgien-Mysterien-Theater benannte Festspiele, die berühmt-berüchtigt sind für ihren Reichtum an Blut und Gedärmen. Dieses "Erlebnis Kunst" versucht man im Martin-Gropius-Bau dementsprechend in den Mittelpunkt zu stellen.
Bilder aus Nitschs Dramen flimmern über eine meterhohe Großbildleinwand und kleine Monitore rund um den Lichthof des Museums. Bilder aus dem Wiener Burgtheater, wo er im vergangenen Jahr sein Theater inszenierte. Und vom Sechstagespiel, indem 1998 erstmals vollkommen die 1700 Seiten starke "Idealpartitur" des Künstlers verwirklicht wurde - auf seinem Schloß Prinzendorf in Niederösterreich.
Es ist eine Mixtur sich wiederholender Bilder eines sakralen Spiels: Zu Glockengeläut und mal sphärischen, mal atonal, schrägen Klängen zieht die Prozession der Teilnehmer zum Ort des Rituals. Stiere werden geschlachtet, Säue ausgeweidet. Unmengen von Blut werden ganz real über symbolisch Gekreuzigte gegossen, Trauben von Menschen wühlen in kiloweise auf dem Boden verteilten Trauben. Videos, Fotos, die dem Betrachter eine Ahnung von all dem verschaffen, das Hermann Nitsch mit seiner Kunst bietet - von Abgestoßen bis fasziniert sein, von Ih bis Oh, von Ekstase bis Ekel.
"Das ist die so genannte Ekelschranke. Die fangt beim einen früher an und beim anderen später. Nur ein Beispiel: Wenn man in München ins Oktoberfest geht, da kommt man zuerst in einen Saal hinein. Das ist Sägespäne und Erbrochenes. Verschüttetes. Bier! Dann kommt das erste Maß, und plötzlich geht die Ekelschranke zurück. Und statt dem kommt eben der Rausch und die Erfahrung des Rausches. Das ist auch wieder eine Form von Theater."
So berauschend allerdings kann man das bewegte Gesamtkunstwerk Nitsch nicht im Museum ausstellen – oder gar erleben. Es gibt zwar ein Geruchslabor und einen Musikraum. Aber das Blut auf den Bildern, die Nitsch in seinem riesigen Atelier auf seinem österreichischen Schloß schüttet, statt zu malen - es ist längst geruchlos geronnen.
Und dennoch hat der Aktionskünstler ganz selbstbewusst kein Problem damit, museal zu sein
"Ich meine, dass große Kunst tatsächlich immer aktuell bleibt. Und sich ins Museale nicht abschieben lässt."
Im Unterschied zu anderen Künstlern, von deren Aktionen kaum etwas übrig blieb, gibt es bei Hermann Nitsch mehr als genug, wie die Kuratorin Britta Schmitz erläutert. Wenig sei improvisiert, vieles bis ins Detail geplant. Perfekt für eine umfassende Dokumentation – einengend vielleicht für die Freiheit der Kunst. In jedem Fall aber passt es zu Hermann Nitsch, der sich seit dem Ende der 50er Jahre mit einer an Akribie grenzenden Genauigkeit seinen zeitlosen Kosmos geschaffen hat, in dem alles immer wieder um die Themen Religion, Mythos und Tiefenpsychologie kreist.
So ist es nur konsequent, dass die Retrospektive bis auf wenige Ausnahmen keiner Chronologie folgt. Gewissermaßen ohne Anfang und Ende ist. Die Räume erinnern gleichermaßen an die sakrale Festspiel-Atmosphäre des Nitsch Theaters, bestückt mit Altären, Priestergewändern, Skalpellen und anderen Reliquien. Die teils aus Privatsammlungen und dem Museum Ludwig entliehenen großformatigen, oft mehrteiligen Bilder hängen nach Motiven, nicht nach Daten geordnet an den Wänden. Nur die frühen Schüttbilder werden gemeinsam gezeigt. Angeregt durch das amerikanische Action Painting und die informelle Malerei ließ Hermann Nitsch Anfang der 60er erstmals die Farbe fließen, spritzen, tropfen ...
"Und da hab ich gesagt: Um Gottes Willen, diese Maler, die machen ja das Gleiche, als was ich am Theater machen möchte. Und hab dann sofort begonnen, wieder zu malen. Und habe Farbe und Blut auf Leinwände geschüttet. Und gespritzt. Und diese Aktionsmalerei hatte bereits dramatischen Charakter und dann war es ein Kurzes, aus dem Raum auszusteigen und die Aktionen zu verwirklichen."
Sein vor 46 Jahren geschaffener "Existenzaltar" aus in Kreuzform angeordneten Bildern fasziniert in seiner abstrakten Plastizität. Beeindruckend sind auch andere Arbeiten des 1938 in Wien geborenen Künstlers: Wenn herunter geronnene Flüssigkeit wie ein Vorhang aus Farbe und Blut wirkt, wenn mit dem Besen statt dem Pinsel gemaltes wie ein dunkles Blütenmeer daherkommt, wenn pechschwarze Farbberge mit hellgelben Flächen kontrastieren.
Doch die davor postierten Altäre, die eincollagierten pastoralen Malhemden, die Fotos, auf denen nackten Menschen tierisches Gedärm wie Geschwüre ums Geschlecht gelegt wird - sie wirken aufgesetzt, dazugestellt und -gehängt. Als dürfe das Label OMT, das Zeichen der Zugehörigkeit zum Orgien-Mysterien-Theater des Hermann Nitsch, keinesfalls fehlen.
So ist man am Ende des Rundgangs zwiegespalten: Zwischen der Kraft einzelner Bilder, und der Frage, ob sich wirklich die Wirklichkeit umso mehr auftut, je ekstatischer man lebt - wie Hermann Nitsch sagt. Oder ob seine performte Ekstase nicht zur erstarrten Auseinandersetzung mit Religion und Mythos geworden ist. Das Ritual zur perfekt organisierten Routine.