Auf der Suche nach dem Duft der DDR
Gerüche aus der Kindheit rufen oft wohlige Erinnerungen hervor. Doch was, wenn es das Land der eigenen Kindheit gar nicht mehr gibt - so wie im Fall der DDR? Lassen sich heute noch Geruchsspuren davon finden? Oder hat es sich buchstäblich verduftet?
Ich war elf Jahre alt, als es so langsam vorbei war mit der DDR. Ich erinnere mich an den Duft der Florena-Creme, die ich nach dem Schwimmunterricht auf mein Gesicht schmierte. Ein Duft, der den Chlorgeruch so lieblich überdeckte. Dann die Erinnerung an den üblen Geruch, wenn wir mit dem Auto auf dem Weg zu einer Tante nach Hoyerswerda am Gaskombinat Schwarze Pumpe vorbeifuhren. Fenster hochkurbeln, Luft anhalten.
Der säuerliche Duft der Schrankwand
Jürgen Danyel, Geschichtswissenschaftler am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, der auch in den 80ern schon ein erwachsener Mann war, erinnert sich so:
"Wenn Sie über eine DDR-Schrankwand, die mit Holztapete beklebt war, drüber gewischt haben, haben sie einen säuerlichen Geruch wahrgenommen. Das hängt mit den Bindemitteln, den Spanplatten oder dem Klebstoff zusammen."
Und meine Mutter Margitta erinnert sich: "Gewisse Waschmittel waren ja auch sehr scharf und nicht gerade schön im Geruch. Zum Beispiel IMI: Es gab viele Waschmittel, die scharf waren, mit denen man gut Arbeitssachen reinigen konnte, die aber nicht sehr angenehm im Duft waren"
Die Seife aus dem Westen
Das Deo meiner Mutter roch nach Apfel. Bei Freunden gab es Seife aus dem Westen, nicht zum Benutzen, sondern als Accessoire im Regal. Sie duftete trotzdem wunderbar intensiv.
Jürgen Dayel hat sich genauer mit den Gerüchen und Zuschreibungen für die DDR und auch die BRD beschäftigt. Für eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin vor drei Jahren mit dem Titel "Alltag Einheit" hat er eine Geruchsstation entwickelt, an der Besucher die DDR und die BRD noch einmal riechen konnten und gleichzeitig aufschreiben durften, welche Düfte sie mit den zwei deutschen Staaten verbinden, erklärt Brigitte Vogel, Sie leitet den Fachbereich Bildung und Vermittlung im DHM:
"Für den Ostgeruch hatten wir Soljanka und Badusan und für den Westen hatten wir Westpaket, die Lux-Seife und Kaffee. Und einen Wunderbaum. Wir hatten vorher eine Befragung von unseren circa 150 Mitarbeitern gemacht, von denen ja auch einige aus der DDR kommen und haben gefragt, woran könnt ihr Euch erinnern?"
47/11 - ein Sehnsuchtsduft
Soljanka: Wurstsuppe mit Tomaten und Paprika, Badusan: DDR-Schaumbad. Museumsbesucher erinnerten sich außerdem an die DDR-Kosmetikmarke Action. Deo, Duschgel, Haarspray. Das Produktdesign ungewöhnlich schrill für die Warenwelt der DDR. Süßlich verklebte Dauerwellen…
Andererseits: 47/11 ein Sehnsuchtsduft, den viele DDR-Bürger mit der BRD verbunden haben. Der Geruch bei den Großeltern oder der Kuchen am Sonntag ebenfalls niedergeschriebene Erinnerungen, die so individuell sind, dass sie kaum zu materialisieren sind.
Aber dann auch eine Erinnerung, die immer wieder auftaucht – unabhängig von der geografischen Biographie: Wofasept.
Wie riecht die Konsumgesellschaft?
Meine Mutter erinnert sich so: "In Krankenhäusern, medizinischen Einrichtungen oder auch in Kindertagesstätten wurde generell desinfiziert mit Wofasept. Und Wofasept hatte einen ganz spezifischen, strengen Geruch, den man nicht so schnell aus der Nase bekam."
Noch Mitte der 1990er beschwerte sich der damalige Bundesbauminister Klaus Töpfer über seinen vorübergehenden Amtssitz, das ehemalige Staatsratsgebäude. Dieser "DDR-Geruch" sei einfach nicht rauszubekommen, fand der Poltiker. Die Aula, in der ich als Mädchen Chorprobe hatte, roch auch regelmäßig nach Wofasept. Mit leerem Magen war das nicht zu überstehen.
"Freunde aus West-Berlin, die uns damals immer besucht haben, fühlten sich auch sensorisch an ihre Kindheit und die frühen Nachkriegsjahre erinnert, auch durch bestimmte Gerüche", erklärt Jürgen Danyel. "Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die DDR, was ihre öffentlichen Räume betrifft, geruchstechnisch nicht so durchdrungen war wie der Westen, wo Parfümierung, wo angenehmer Geruch Teil der Konsumgesellschaft geworden ist."
Der unparfümierte Osten
Die DDR roch also ähnlich unparfümiert wie West-Berlin in den Jahren nach dem Krieg. Und wie roch es später, in der westdeutschen Konsumgesellschaft, wenn man all die Wohlgerüche, die Weichspüler oder Parfüm hinterlassen, mal beiseite lässt? Diese nimmt man schließlich gar nicht mehr wahr, wenn sie Alltag sind, sagt Brigitte Vogel vom Deutschen Historischen Museum. Sie ist als gebürtige Österreicherin vor über 30 Jahren zum ersten Mal in die Bundesrepublik gekommen.
"West-Berlin hat nach Braunkohle gerochen. Als ich in den 80ern hierhergekommen bin. Dann natürlich auch in Kreuzberg diese Mischung aus Alkohol oder Erbrochenem. Oder was für mich ja ganz, ganz neu war. Das Gras, das geraucht wird. Diesen Geruch kannte ich gar nicht. Ich fand das roch sehr gut."
Der alte DDR-Mief schlummert heute hinter Kacheln
Und heute 30 Jahre später, wo kann man denn noch Original-DDR riechen? Wiederbelebte Produkte – zu denen auch das berüchtigte Wofasept zählt, haben längst eine andere Rezeptur und so auch einen anderen Duft: Die Geruchsforscherin und Künstlerin Sissel Tolaas rät dazu, in Berlin den U-Bahnhof Jannowitzbrücke aufzusuchen und dort eine der gelben Fliesen zu entfernen, dahinter käme der typische DDR-Mief zum Vorschein.
Meine Schwester, die seit 20 Jahren in Baden-Württemberg lebt, findet dass es in der Kita meiner Kinder im Prenzlauer Berg sehr nach DDR riecht – Wofasept wird da schon lange nicht mehr benutzt.
"Diese klaren Geruchserfahrungen, die dann immer erzählt werden, sind Projektionen, entsprechen gar nicht einer realen Wahrnehmung", erklärt Jürgen Danyel. "Gerüche werden zu Trägern von Geschichten über das eigene Leben. Deshalb sind sie spannend aber man darf dem Phänomen auch nicht auf den Leim gehen."
Die Globalisierung der Geruchswelt
Auch wenn der Geruch der DDR weitgehend aus der realen Welt verschwunden ist, bedeute das im Umkehrschluss aber keinesfalls, dass es jetzt überall nach Westdeutschland rieche, erklärt der Historiker Jürgen Danyel am Beispiel von Berlin
"Ich glaube Berlin riecht heute auch anders als es in Ost- oder Westberlin gerochen hat", erklärt Jürgen Danyel. "Es wohnen neue Leute hier, in ganzen Vierteln hat ein Bevölkerungsaustausch stattgefunden. Wir haben eine andere Art zu kochen und zu essen. Wir sind da viel globaler geworden. Vielleicht ist die Frage eher: Gibt es eine Globalisierung der Geruchswelt?"