Wo Manuel Neuer und Mesut Özil die Schulbank drückten
Als Talentschmiede des Deutschen Fußballs gilt die Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen, aus der einige Nationalspieler hervorgegangen sind. Zum Erfolgskonzept gehört gesellschaftliche Bodenhaftung, sagt der frühere Leiter Georg Altenkamp.
Nationalspieler wie Manuel Neuer, Mesut Özil und Julian Draxler waren Schüler der Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen, die als Talentschmiede des Deutschen Fußballs gilt. Fußballer, die immer nur im eigenen Saft schmorten und nur mit ihresgleichen zusammen seien, seien kein guter Rahmen, sagte der frühere Schulleiter Georg Altenkamp im Deutschlandfunk Kultur. Deshalb würden Fußballer und Nicht-Fußballer zusammen unterrichtet.
Abbild der Gesellschaft
Es sei wichtig, die Gesellschaft abzubilden und die gesellschaftliche Bodenhaftung erfahrbar zu machen. Das sei für diese Kinder und Jugendlichen eine ganz wichtige Rahmenbedingung, um zu einem guten Erziehungsergebnis und Ausbildungsergebnis zu kommen. "Die Fußballer, die Leistungssportler müssen sich in der Schule verankert fühlen, genauso wie die übrigen Schülerinnen und Schüler", sagte Altenkamp.
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Manuel Neuer, Mesut Özil und Julian Draxler haben mehr als eines gemeinsam: Sie alle tragen das Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft, sie alle müssen heute dafür sorgen, dass Deutschland nicht vorzeitig ausscheidet bei der WM in Russland. Und sie alle haben die Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen besucht, die eng mit Schalke 04 zusammenarbeitet, und Berger Feld gilt als Eliteschule des deutschen Fußballs, lange Jahre geleitet von Georg Altenkamp. Guten Morgen, Herr Altenkamp!
Georg Altenkamp: Guten Morgen, Frau Welty, nach Berlin!
Welty: Wenn Deutschland heute rausfliegt, überlegen Sie dann, was Sie falsch gemacht haben bei Neuer, Özil und Draxler?
Altenkamp: Was ich falsch gemacht habe? Nee. Das überlege ich nicht. Erst mal ist Pädagogik immer von bestimmten Risiken bestimmt, und bei denen ist es ja nun wirklich sehr gut gelaufen. Und wir haben auch nicht das Ziel, immer Topleute zu entwickeln mit unserem Konzept gemeinsam mit Schalke, sondern wir haben das Ziel, gute Sportler zu schulen bei uns, zu erziehen, auszubilden und beim Sportverein dann zu trainieren. Das ist das Profil, das wir seit vielen Jahren zusammen mit dem DFB für diese Region hier in Gelsenkirchen entwickelt haben, ich glaube, sehr erfolgreich inzwischen.
Welty: Wobei Sie ja Fußballer und Nichtfußballer unter einen Hut bringen müssen.
Altenkamp: Genau. Das ist ja genau auch Kern des Konzeptes. Fußballer, die immer nur im eigenen Saft schmoren, die immer nur mit ihresgleichen zusammen sind – Sie kennen das Problem, das ist ja hinlänglich auch öffentlich diskutiert worden –, das ist kein guter Rahmen, Gesellschaft abzubilden. Wie mal mein albanischer Freund und Fußballtrainer bei uns an der Schule, der die Fünfer, Sechser, also die Kids trainiert, immer sagte, als er zu Anfang zu uns kam: "Mit die Füße im Boden bleiben." Er meint damit die Bodenständigkeit, die gesellschaftliche Bodenhaftung erfahrbar zu machen für diese Kinder und Jugendlichen, ist, glaube ich, eine ganz wichtige Rahmenbedingung, um zu einem guten Erziehungsergebnis, Ausbildungsergebnis zu kommen.
Gesellschaftliches Miteinander
Welty: Aber muss da nicht so zwangsläufig etwas entstehen wie eine schulische Zweiklassengesellschaft, weil es eben die einen gibt, die Fußball spielen, und die anderen spielen eben nicht?
Altenkamp: Ja. Ich sagte ja, gesellschaftliches Abbild. Wir haben das in der Gesellschaft auch. Und hier zu einem verträglichen Miteinander, vielleicht sogar zu sehr motivierenden, attraktiven Situationen für beide Seiten zu kommen, das ist letztlich das Geheimnis. Wir haben das durch ein paar Regeln – und der Sport, nicht nur der Fußball, auch andere Sportarten sind ja von Regelsystemen bestimmt – eine große Schulgemeinde von 1.600, 1.400 Schülern heute, braucht diese Regelsysteme auch, wenn es gut laufen soll. Das zu vermitteln war und ist unsere Aufgabe. Das hat geklappt, und die Ergebnisse, denke ich, sprechen für sich.
Die Fußballer, die Leistungssportler müssen sich in der Schule verankert fühlen, genauso wie die übrigen Schülerinnen und Schüler. Wir haben ja nicht nur Leistungssport, wir haben auch andere pädagogisch wichtige Programme heute in der Schule. Die übrigen Schülerinnen und Schüler müssen sich ebenfalls in der Schule verankert fühlen, mit den Leistungssportlern – ich sage bewusst, nicht trotz, sondern mit den Leistungssportlern. Und diese Gemeinschaft in gegenseitiger Transparenz von Stärken und Schwächen – auch Leistungssportler haben andere Schwächen, die für Jugendliche erfahrbar sein müssen. Und dieses Miteinander bringt letztlich das, was wir so mit sozialem Gefüge, mit Menschlichkeit und so weiter verbinden.
Welty: Das klingt nach einer ziemlichen Herausforderung, Herr Altenkamp, für die Lehrer. Und was ich mich auch frage, ist, welches Standing haben die Lehrer, wenn die Schüler ahnen oder sogar wissen, dass sie in absehbarer Zeit als Profifußballer das 20- bis 30-fache verdienen?
Altenkamp: Genau, ja. Es hat ja auch solche Argumente gegeben, die muss man aufgreifen, also von Schülern, von Leistungsfußballern an Lehrerinnen und Lehrer. Das ist nicht immer einfach. Aber dafür werden wir ja nun bezahlt, und dafür haben wir ein gutes Konzept. Wir beraten uns gegenseitig, wir haben ein Personalmanagement allein im Leistungssport an der Schule von ungefähr zehn, zwölf Leuten, die sich ausschließlich mit diesen Fragen – das sind Beratungslehrer, das sind Mentoren, das sind Trainer, die in der Schule auch mitarbeiten, die auch unterrichten.
Also diese Verzahnung zwischen Sport und Schule muss gut funktionieren, und dafür garantiert dieses System, diese Kooperation zwischen Schalke 04 und der Gesamtschule Berger Feld seit Jahren. Wir mussten unsere Lernerfahrungen machen in diesem Projekt. Das haben wir anfangs sehr gründlich mit Unterstützung des DFB gemacht, sodass man heute sagen kann, das ist ein gutes Beispiel.
Nicht alle Träume gehen in Erfüllung
Welty: Nicht jeder wird ja in Berger Feld aufgenommen, und nicht jeder schafft Bundesliga und schon gar nicht Nationalmannschaft. Wie können Sie helfen, wenn Träume platzen?
Altenkamp: Das gehört mit zur pädagogischen Verantwortung, dass Träume nicht in Erfüllung gehen, vielleicht sogar auch plötzlich dann platzen. Und hier müssen Schüler, Leistungssportler begleitet werden, müssen betreut werden. Wenn einer in der Landesliga oder in der Regionalliga landet anstatt in der Bundesliga, ist das zunächst mal kein freudiges Ereignis. Das Ganze muss dann aber auch bereits innerhalb des Systems aufgefangen werden.
Wir machen nicht nur sportliche Ausbildung, wir machen auch eine Berufsorientierungsmaßnahme für jeden dieser Leistungssportler, sodass er neben seiner sportlichen Karriere und seiner schulischen Laufbahn sich auch beruflich orientiert, vorbereitet genau für diesen Fall. Sportverletzung, aber durchaus auch Fälle, dass es eben mit sportlichen Leistungen nicht so weitergeht wie gewünscht.
Das alles sind Verantwortungspunkte, die wir natürlich sehr ernst genommen haben und die auch im System verankert sind, sodass auch in der menschlichen Betreuung dann Eltern dieser jungen Männer dann, aber auch sie selbst, gut beraten werden, gut betreut werden durch uns. Das ist die Aufgabe eines Sportmentors – das ist einmalig hier bei uns in Deutschland und heiß begehrt –, der sich ausschließlich um die persönlichen Belange von jungen Leistungssportlern beschäftigt.
Welty: Der ehemalige Schulleiter der Fußball- und Gesamtschule Berger Feld, der heißt Georg Altenkamp, und ich danke für dieses "Studio-9-Gespräch"!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.