Geschlechtervielfalt im Verein

Wie sich der Sport von seinen binären Strukturen lösen kann

Spieler Nils Kozonek von Hessen Massenheim mit Regenbogen-Kapitänsbinde beim Spiel beim SV Kilianstädten
In den Vereinen brauche es eine Willkommenskultur, meint Heidi Scheffel, Queerbeauftragte beim Landessportbund Nordrhein-Westfalen. © Imago / Patrick Scheiber /
Von Maike Strietholt |
In kaum einem Bereich wird so strikt nach Frauen und Männern getrennt wie im Sport. Oft bleiben deshalb nichtbinäre Personen dem Vereinssport fern. Was muss sich ändern?
„Ich mache Volleyball - und da bin ich tatsächlich als einziger Ort noch nicht out! Weil das da als Thema schwierig ist ..."

Lucas ist 17 Jahre alt, hat kurze blonde Haare - und ist nichtbinär. Das heißt, er fühlt sich weder als Junge noch als Mädchen. Für Lucas ist es ok, mit weiblichen oder männlichen Pronomen benannt zu werden - also „er“ oder „sie“.

Früher hatte Lucas einen weiblichen Namen - bis er sich in der Schule und innerhalb der Familie vor gut zwei Jahren outete.

In Lucas' Volleyballverein ist aber noch alles anders:

Ich glaube, es liegt vor allem daran, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll - also bei wem. Ich spiele in zwei Teams. Wir sind viele Leute - und mit meinem Trainer ist manchmal die Kommunikation schwierig. In der Schule war das klar - ich fange bei den Lehrern an und dann breitet sich das aus.

Lucas

In Vereinen fehlen Diversitätsbeauftragte

Eine Ansprechperson zum Thema Diversität innerhalb des Vereins würde helfen - die gibt es Lucas‘ Wissens nach aber nicht. Auch ist ungewiss, wie es nach Lucas' Outing weitergehen könnte:
Zwar gibt es im Volleyball auch Mixed Teams - in die er als Person, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnet, ja noch am ehesten passen würde. Aber auf Wettkampfebene stellt Lucas' Verein nur reine Damen- oder Herrenteams: 
"Das ist da sehr geschlechtszuordnungsmäßig. Ich möchte an Wettkämpfen teilnehmen, deshalb spiele ich im weiblichen Team mit. Das finde ich eigentlich nicht so toll!"
Eine unbefriedigende Situation, die gar nicht so selten vorkommt - sagt Heidi Scheffel. Sie ist Queerbeauftragte beim Landessportbund Nordrhein-Westfalen und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Nichtbinären und Transpersonen im Sport:

"Die Leistungsklasse im Sport ist in der Regel das Geschlecht - das heißt, wir kennen Männer und Frauen im Sport. Umkleidekabinen, Duschen, Wettkämpfe sind nach Männern und Frauen sortiert. Und da heißt es für Trans-, Inter- und nonbinäre Sportler:innen: Wo komme ich da vor, und komme ich überhaupt vor? Das heißt, ich oute mich vielleicht nicht. Ich gucke, dass ich da irgendwie durchkomme."

Queerbeauftragte fordert Willkommenskultur

Oder Personen aus dem nichtbinären Spektrum bleiben dem Vereinssport gänzlich fern. Den Vereinen fehlt oft die Erfahrung mit dieser Personengruppe - und viele halten es dann nicht für nötig, sich darauf einzustellen.
Dabei brauche es eine Willkommenskultur, betont Heidi Scheffel:

Da kommt es auf die Vereine an, signalisieren sie Offenheit? In dem Verein ist vielleicht ein Regenbogenbutton auf der Website oder ich habe einen Aushang zu einer queeren Veranstaltung gelesen. Das heißt, ich bin in dem Verein willkommen - und der Verein denkt mich mit!

Heidi Scheffel, Queerbeauftragte beim Landessportbund Nordrhein-Westfalen

Aus Scheffels Sicht ist es längst überfällig, dass der organisierte Sport über das binäre Geschlechtersystem hinausdenkt - nicht nur aus Gründen der Teilhabe:
                       
"Ich glaube, wir müssen uns von der Aussage verabschieden: Wenn wir in Frauen und Männer einteilen, dann ist das schon fair! Inzwischen kann man auch mit der Wissenschaft argumentieren, dass die beiden Geschlechter nicht so klar voneinander zu trennen sind, wie wir das im letzten Jahrhundert gedacht haben. Frauen und Männer, das ist ein Fluidum! Das heißt, die Überlappung ist sehr groß.“

Neue Leistungskategorien einführen - aber welche?

Eine Möglichkeit besteht darin, mehr Leistungskategorien als nur das Geschlecht einzuführen:

"Wir haben ja zum Teil auch Gewichtsklassen - ich kann ja auch anders einteilen! Dann hatten wir das Testosteron - aber auch beim Testosteron gibt es ganz unterschiedliche Untersuchungen, wie leistungssteigernd und für welche Sportarten das Testosteron wirklich leistungssteigernd ist."
           
Zu einem wirklich fairen Bewertungssystem sei es also wohl noch ein weiter Weg, sagt Heidi Scheffel.

Spielordnungen im Fußball und Hockey angepasst

Die Queerbeauftragte begrüßt aber, dass sich Sportverbände aktuell bemühen, erst einmal ganz grundlegende Regelungen für die Teilhabe aller Geschlechter zu finden:
"Da sei der Fußball- und der Hockeyverband angeführt: Die haben für den Breitensport in ihren Spielordnungen ermöglicht, dass Trans-, Inter- und nonbinäre Personen sich selbst zuordnen können. Das ist schon ein Schritt in eine Richtung, die wegweisend ist."

Der Deutsche Frisbeesport-Verband hat im vergangenen Jahr eine ganz ähnliche Regeländerung erwirkt. Maßgeblich daran beteiligt war Amelie Retzlaff, Genderbeauftragte des Verbands.

Genderworkshops beim Bremer Frisbeeverein

Der Bremer Ultimate Frisbee Verein, in dem Retzlaff trainiert, ist aber noch weiter gegangen:

„Dafür haben wir letztes Jahr Genderworkshops gemacht. Dann haben wir versucht, uns als Team von der Sprache und der Gruppendynamik her so aufzustellen, dass sich Trans- oder nichtbinäre Personen willkommener fühlen. Dass wir nicht die ganze Zeit - wie es ja beim Sport oft ist - aus der männlichen Form sprechen - also, dass wir sagen: 'Die Person mit der Scheibe, oder die Person, die cuttet.' Also - neutraler in der Sprache zu werden!"

Es folgten Infoplakate zu Geschlechtervielfalt auf Turnieren, geplant ist noch eine Social-Media-Kampagne zu Queerness im Sport.

Für gesonderte Trainings fehlt Zeit und Personal

Dennoch gab es auch in Bremen bislang nur wenig Besuch von Trans- oder nichtbinären Personen. Helfen würde aus Amelie Retzlaffs Sicht ein gesondertes Trainingsangebot für diese Zielgruppe, aber dafür fehlen dem Team aktuell Zeit und Personal. Und auch die Infrastruktur vor Ort passt noch nicht, es gibt ausschließlich Männer- und Frauenumkleiden.

"Wir wären gern dieses Team, bei dem viele queere Personen trainieren! Ich hoffe, dass in Zukunft allgemein der Sport etwas offener und nicht nur in den binären Strukturen gedacht wird."

Dafür müsse sich aber auch im Bereich Ausbildung noch einiges ändern, sagt Heidi Scheffel, die Queerbeauftragte des Landessportbunds NRW.
Bundesweit gibt es erst eine einzige Hochschulprofessur im Bereich Sport und Geschlechtervielfalt, und auch in der Breitensport-Trainer:innenausbildung ist das Thema noch nicht obligatorisch.

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