Gescheiterte Großprojekte

Zwischen Größenwahn und Bauchgefühl

Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg (BER)
Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg (BER) in Schönefeld (Brandenburg) am 8.12.2017. © picture alliance/dpa/Foto: Patrick Pleul
Von Max Thomas Mehr · 28.12.2017
Mehr als sechs Jahre ist es her, dass der neue Hauptstadtflughafen eröffnet werden sollte, und die konkrete Inbetriebnahme des Airports ist weiterhin offen. Für den Publizisten Max Thomas Mehr zeigt der BER, dass der Staat mit vielen Projekten und Aufgaben überfordert ist.
Das Jahr ist um, und wieder mal wurde ein Eröffnungstermin für den neuen Berliner Flughafen BER gerissen und wieder wurde ein neuer in Aussicht gestellt. Nach dem 30. Oktober 2011, dem 3. Juni 2012, dem 17. März und dem 27. Oktober 2013 und dem "zweiten Halbjahr" 2017 soll er nun im Oktober 2020 an den Start gehen.

Verzweifelte Versuche der Politik

Es hat etwas von einer Obsession, wie die Politik seit sechs Jahren mit immer neuen Einweihungsterminen versucht, die Oberhand auf der Baustelle zu gewinnen. Es erinnert an Fünfjahrespläne aus längst vergangenen realsozialistischen Zeiten, wenn jetzt in Monatsberichten der Baufortschritt schriftlich fixiert und mit roten, gelben und grünen Ampelphasen markiert wird. Irgendwie Realsatire.
Macht eigentlich auch nichts, wird der Berliner einwenden, dessen Erwartungshaltung an die Politik eh äußerst gering ist und der jüngst gegen den Willen der rot-rot-grünen Stadtregierung in einer Volksabstimmung für die Offenhaltung des Flughafens Tegel gestimmt hat – auch wenn der neue mal fertig sein sollte.

Allmachtsphantasien von Politikern sind Grenzen gesetzt

Vielleicht wird der BER, diese zeitweilig größte Baustelle Europas vor den Toren der Hauptstadt einmal in die Annalen der Geschichte der Bundesrepublik als das Großprojekt eingehen, an dem auch linke Regierungen, wie die in Berlin und in Brandenburg wieder mal mühsam lernen konnten, dass der Staat nicht alles "besser" kann, dass den Allmachtsphantasien von Politikern und Parteien Grenzen gesetzt sind. Misstrauen gegenüber dem Kapitalismus, wo die "Privaten" – hier die Bauunternehmen – eh nur Profit machen wollen, reicht offensichtlich nicht aus, um ressourcenschonend mit öffentlichen Mitteln, also mit Steuergeldern, einen Airport zu bauen. Haben sich doch die Baukosten zwischenzeitlich verdreifacht und ein Ende ist nicht abzusehen.

Über den Ottomotor wird in Peking entschieden

Das Desaster, das sich hier zeigt, lässt sich auch auf andere Felder der Politik übertragen. Ob es um den Verbrennungsmotor geht oder um die Mieten. Der grüne Delegierte, der hierzulande brav den Arm auf dem Parteitag für einen Ausstieg aus dem Ottomotor bis 2030 hebt, ist weder ingenieurtechnisch, noch ökologisch, noch ökonomisch in der Lage, über so ein Datum zu entscheiden. In der globalisierten Welt wird vermutlich eher in Peking darüber entschieden. Noch nicht einmal in Wolfsburg. Auch wird die Stadt, also der Staat, nicht so viele Mietshäuser in Berlin oder München bauen oder kaufen können, wie nötig wären, um die Mieten wenigstens auf das Niveau der Nuller Jahre senken zu können. Alles Illusionstheater in dem es eher um Gefühle geht als um politische Lösungen.

Der Staat muss besser sein als der gewiefteste Unternehmer

Was Politik und Verwaltung, also der Staat können muss? Er muss die Wissensherrschaft haben. Nur so kann er auf Augenhöhe mit der Wirtschaft verhandeln – um Bauprojekte genauso wie um klimaschädliche Abgaswerte in der Autoindustrie. Der Staat muss als Vertragsführer besser sein als der gewiefteste General- oder Subunternehmer auf der Baustelle eines Flughafens oder der hungrigste Immobilienhai. Dafür müssen Politik und Verwaltung sorgen. Er sollte weder Motoren bauen noch Flughäfen und er sollte auch nicht das Gros der Mietshäuser in den Metropolen besitzen.
Die Gesellschaft insgesamt würde dadurch ärmer. Was der grüne Delegierte oder der linke oder der sozialdemokratische hat, ist ein Bauchgefühl. Und das sagt ihm: Alles Lüge – irgendwie interessengeleitet. Die machen eh was sie wollen. Was er nicht bemerkt, ist, dass dieses Amalgam aus Dünkel, Misstrauen und Anti-Politik – Bauchgefühl eben – sich kaum von dem unterscheidet, was die Wähler zur AfD treibt.
Wenn es gelänge, dass Politik und Verwaltung sich als lernende Organisationen begreifen und den Gestus, der Staat kann es besser, ablegen würden, dann könnten sie die antipolitischen Ressentiments zurückdrängen. Auch in den eigenen Reihen. Vor allem aber würde so der AfD der Nährboden entzogen.

Max Thomas Mehr, Jahrgang 1953, ist freischaffender politischer Journalist und Fernsehautor. Er hat die Tageszeitung "TAZ" mitbegründet. Für das Drehbuch des Films "Sebnitz: Die perfekte Story" (produziert von Arte/MDR) wurde er mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.


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