Hoffnungszeichen von draußen
Der Weihnachtsmann hat auch die Gefängnisinsassen in Bremen nicht vergessen: Dort bekommen die Häftlinge jedes Jahr Pakete von fremden Menschen von außerhalb mit Geschenken. Für viele nicht nur ein materieller Wert, sondern ein Symbol der Akzeptanz.
Seit 7:30 Uhr in der Früh lädt Gefängnisseelsorger und Diakon Richard Goritzka Geschenktüten in einen gemieteten Kleintransporter. Dafür fährt er zehn katholische und evangelische Kirchen in Bremen ab. Seit Anfang Dezember haben Bremer Bürger Geschenktüten für Inhaftierte der JVA Bremen Oslebshausen in ihren Gemeinden abgeben. Alle Geschenke sollen den gleichen Inhalt haben, ungefähr im Wert von zehn Euro, erklärt Goritzka:
"Wir bitten eigentlich um zwei Mal 100 Gramm Kaffee, um ein Päckchen Tee, um eine Tüte Lebkuchen, um ein Marzipanbrot und Süßstoff. Darüber hinaus freuen sich natürlich alle Insassen über eine Grußkarte und man kann wohl sagen, dass in nahezu jeder Tüte eine Grußkarte enthalten ist."
Seit Wochen werden die Tüten abgegeben
Bei den letzten beiden Stationen, die Goritzka auf seiner Tour ansteuert, warten jeweils weit über 100 Geschenktüten. Anja Wedig, Gemeindereferentin der Atrium Kirche in der Bremer Innenstadt, hat die Tüten entgegengenommen:
"Es ist so herrlich, seit Wochen gefühlt kommen morgens und abends hier die Leutchen rein und haben diese Tüten gepackt und da sind viele dabei, die das Jahr für Jahr schon praktizieren und die sagen 'Ich hab' heute wieder 13 dabei' und man denkt 'Wow, was?' Und wir müssen immer schon umbauen, wo packen wir die alle hin und, wo lagern wir die alle?"
Aus allen Gesellschaftsschichten kämen die Spender, erzählt sie. Eine Frau hat sogar 50 Tüten auf einmal gebracht. Der kleine Transporter des Diakons quillt über: "Und wenn man die jetzt in diesem Bulli da sieht, wenn man da reinguckt, ein buntes explodierendes Etwas von Geschenktüten und da guckt dann das Pralinenpaket raus, oder das Kaffeepaket, das ist ganz, ganz toll."
Mit diesem Bulli geht es dann in die Justizvollzugsanstalt und hier beginnt eine aufwendige Fleißarbeit: Jede einzelne Tüte wird im Besuchereingang, wie am Flughafen, auf ein Fließband gelegt, durchleuchtet, untersucht und dann vom Drogenhund beschnüffelt.
Schnapspralinen sind nicht erlaubt
"Wir gucken auch in die Pakete rein, weil ja alkoholhaltige Bonbons, alkoholhaltige Kekse hier verboten sind und wir achten darauf, dass die Pakete auch dieser Norm entsprechen," erklärt einer der Justizvollzugsbeamten, der aufmerksam die Inhaltstoffe einer Tafel Schokolade studiert.
Während die einen Geschenktüten durchleuchtet werden, stapeln sich die anderen in den Gängen der JVA. Es sieht aus, als würde Weihnachten sich langsam aber sicher in dem strengen Backsteinareal breit machen. Der Glitzerstaub, der auf manchen Tüten war, sitzt inzwischen auf der Nase eines JVA-Beamten.
Es dauert insgesamt vier Stunden, bis alle Tüten durchleuchtet sind. Für Diakon Goritzka lohnt sich der Aufwand: "Manchmal denke ich es geht weniger um das Materielle, was die Insassen bekommen, sondern sehr viel mehr um das Ideelle, also um das Zeichen, dessen der etwas schenkt und die innere Rührung die ausgelöst wird, bei dem der etwas bekommt."
Denn Weihnachten im Gefängnis sei besonders für die Gefangenen schwer, an die keiner mehr denkt und deren Familien sie nicht mehr besuchen kommen. "Es bedeutet für die Gefangenen in der Regel eine Konfrontation mit ihrem eigenen Leben. Mit vergeblichen Sehnsüchten, mit enttäuschten Hoffnungen und mit der Zerbrechlichkeit dessen, was sie vielfach auch vergeblich versucht haben zu Wege zu bringen."
Die Geschenktüten seien ein Hoffnungszeichen von draußen, sagt Goritzka: "Wenn 350 Bremerinnen und Bremer bereit sind eine Tüte abzugeben, damit sie bei Gefangenen landet, dann ist das ja der Ausdruck: ‚Hör mal, wir geben dir auch eine neue Chance, du bist in der Gesellschaft nicht vergessen, von uns aus möchten wir ein Zeichen setzen, dass du in der Gesellschaft wieder willkommen bist'."
So kommt die Nachricht der Tüten auch bei den Insassen an. Nassar sitzt zum wiederholten Male im Gefängnis, seine Kinder und seine Frau feiern dieses Weihnachten ohne ihn: "Obwohl wir eigentlich der Gesellschaft so heftig geschadet haben und man belohnt uns noch damit. Einfach die Geste, dass man, obwohl wir so viel Mist gebaut haben noch an uns denkt, dass man nicht so von der Gesellschaft fallen gelassen wird, diese Geste einfach - das ist was Schönes."
Gefängnisseelsorger als Anker
Timo nickt heftig. Der junge Mann sagt, er habe "LL", so nennen sie hier eine lebenslange Haftstrafe. Es ist sein drittes Weihnachten im Gefängnis. Er freut sich über die Tüte, aber ihm ist vor allem der Kontakt zu Gefängnisseelsorger Goritzka wichtig:
"Man kann im Knast mit Leuten nicht offen reden, oder so. Wenn du sagst, dies und das macht traurig, oder du weinst, dann bist Du ein Schwächling. Dann bist du ein Opfer. Dann wirst du rasiert von den Leuten. Und alles runterschlucken geht nicht, du brauchst jemanden mit dem du reden kannst."
Er freut sich auch auf den Gottesdienst, den Goritzka an Heiligabend in der Gefängniskirche hält. Dann kommt ein Bläser-Ensemble von außerhalb, erzählt der Seelsorger, dabei geht es ihm nicht nur um die schöne Musik, sondern vor allem die Botschaft, für die die Besucher von außerhalb stehen: "Du kannst letztlich dein Leben noch in eine Richtung hinein bringen, die es zu leben lohnt. Die Straftat darf nie das letzte Wort in einem Leben sein."