James B. MacKinnon: „Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen: Wie ein Ende der Konsumkultur uns selbst und die Welt rettet“
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer
Penguin, München 2021
480 Seiten, 20 Euro
Geschenketipps
Sachbuchtipp der Lesart-Redaktion. © imago / fStop Images / Malte Müller
Die besten Sachbücher für den Gabentisch
31:20 Minuten
Ob mysteriöse Stadtgeschichte, prächtiges Kunstbuch, kluge Kulturgeschichte oder aufrüttelnde Sozialreportage: Unser Sachbuchteam hat die besten Weihnachtsgeschenke 2021 ausgewählt. Und ganz vorneweg natürlich ein Buch über den Wahnsinn des Shoppens.
Heute kommt das ganze Sachbuchteam von Deutschlandfunk Kultur zusammen, alle auf der Suche nach dem perfekten Weihnachtsgeschenk. Herausgekommen ist eine Liste mit spannenden, überraschenden und intelligenten Sachbüchern.
Für Shopping-Gestresste: ein kluges Buch gegen den weihnachtlichen Konsumwahnsinn
"Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen" von James B. MacKinnon
11.12.2021
05:46 Minuten
Kim Kindermann sagt: „Dieses Buch hat es in sich. Keine Seite lässt unberührt, viele Sätze möchte man auswendig lernen, denn James Bernard MacKinnon legt den Finger in die Wunde aller – vor allem nordamerikanischen und europäischen – Konsumenten, die immer mehr Gegenstände in ihrem Leben anhäufen, ohne sie wirklich zu brauchen; auch weil sie glauben, damit ihrem Leben einen Sinn zu geben und damit ihren sozialen Status und finanziellen Erfolg widerzuspiegeln.
Allerdings mit fatalen Folgen für die Umwelt und das Klima durch Luftverschmutzung, Abholzung, Artensterben und das Anhäufen riesiger Müllberge. Wie können wir das ändern? Indem wir aufhören einzukaufen? In 21 in sich abgeschlossenen Kapiteln spürt der kanadische Journalist dieser Frage nach. Er präsentiert Zahlen und Fakten und zeigt, was dieser Konsum für die Wirtschaft bedeutet. Er lässt Experten zu Wort kommen, zitiert aus Studien, spricht mit Psychologen, diskutiert Werbestrategien und fragt: Was ist Glück?
MacKinnon sucht nach Alternativen, stellt Menschen vor, die konsumreduzierter leben. Dabei wird mehr als deutlich: Die Missstände ändern können nur wir Konsumenten. Das bedeutet auch, endlich aus der Komfortzone rauszukommen. Eine ungemütliche Lektüre für allzu gemütliche Zeiten!"
Für Kunstbegeisterte: Ein Luxusgeschenk für alle, die Michelangelo begreifen wollen
"Michelangelo" von Horst Bredekamp
11.12.2021
05:23 Minuten
Maike Albath sagt: „Wer Italien liebt und immer wieder hingerissen ist von den Skulpturen, Fresken und Bauten des florentinischen Künstlers Michelangelo, sich die Wirkung aber nie erklären konnte, findet hier endlich Antworten. In elegant formulierten, weit ausgreifenden Kapiteln, die wunderbar bebildert sind, durchmisst Bredekamp Leben und Werk Michelangelos, beleuchtet das zeitgeschichtliche Umfeld um 1500 und schildert, wie der Künstler beim Sezieren von Leichen das Spiel der Muskeln unter der Haut begriff, von Anfang an eine große künstlerische Autonomie pflegte und wagemutig die Möglichkeiten seines Materials ausreizte.
Fast wirkt es, als sei Michelangelo mit einer ähnlichen selbstgewissen Entschlossenheit ausgestattet gewesen wie sein berühmter David. Für die Deckenbemalung der Sixtinischen Kapelle handelte er enorme Honorare aus und litt während der Arbeiten an Nackenstarre. Seine Fertigkeiten als Bildhauer sind in der verblüffenden Plastizität der Figuren erkennbar. Ob die Erläuterung der Scheinarchitektur oder der gequälten Bronzewesen, als Leserin gerät man in einen herrlichen Erkenntnistaumel. Eine berückende Schule des Sehens.“
Horst Bredekamp: „Michelangelo“
Wagenbach, Berlin 2021
810 Seiten, 89 Euro
Für Krimifreunde: eine spannende Berlingeschichte abseits des bekannten Narrativs
"Gezeiten der Stadt. Eine Geschichte Berlins" von Kirsty Bell
11.12.2021
05:47 Minuten
Shelly Kupferberg sagt: „Alles beginnt mit einer Pfütze in der eigenen Wohnung: Was hat es mit dieser Pfütze auf sich? Das will Kirsty Bell herausfinden. Hängt sie mit der Geschichte des Hauses zusammen?
Bei ihrer Recherche blickt die Kunstkritikerin auch aus dem Fenster ihrer Kreuzberger Wohnung, direkt auf den Landwehrkanal. Das Fenster wird zu einem Rahmen für ein Bild. Sie fängt an, sich zu fragen, was sie eigentlich genau auf diesem Bild sieht. Zunächst: den Kanal.
So beginnt ihre Stadterkundung genau hier am Wasser. Welche Bedeutung hatte und hat dieser Kanal, wie sah er einst aus, wie wurde er begrünt. Sie beginnt, alte Stadt- und Baupläne zu suchen, findet diverse Unterlagen in Archiven und zieht von dort immer weitere Kreise in die Berliner Stadtgeschichte hinein, die in vielerlei Hinsicht auch Weltgeschichte ist.
Das eigene Wohnhaus wird zum Knotenpunkt für Überlegungen. Es entsteht eine facettenreiche Architekturgeschichte, Stadtplanungsgeschichte, politische Geschichte, Alltagsgeschichte. Immer wieder bringt die Autorin dabei auch ihr eigenes Wohnhaus mit ins Spiel, dessen Geschichte sie recherchiert und dabei auf durchaus verstörende Funde stößt. ‚Eine alte Wunde vermag nicht zu heilen, und es ist, als ob das Haus weinte.‘
Dieser so persönliche und kunstvolle Erzählmodus fächert sich in eine reichhaltige Lektüre auf, abseits eines bestehenden Master-Narrativs. Und am Ende wissen wir auch, was es mit der Pfütze auf sich hat.“
Kirsty Bell: „Gezeiten der Stadt. Eine Geschichte Berlins“
Aus dem Englischen von Laura Su Bischoff und Michael Bischoff
Kanon Verlag, Berlin 2021
320 Seiten, 28 Euro
Für Mütter und alle anderen: eine erstaunlich vergnügliche Geschichte der Hausfrau
"Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung" von Evke Rulffes
11.12.2021
05:52 Minuten
Catherine Newmark sagt: "Dass die bürgerliche Hausfrau ohne Brotberuf, dafür mit Waschmaschine und Eigenheim und einem Ehemann, der tagsüber außer Haus das Geld verdient, eine ziemlich neue Erfindung ist, das ist allgemein bekannt. Das hat man schon hier und da gelesen.
Aber gerade in einer Gegenwart, in der der Typus der 50er-Jahre-Hausfrau in der sogenannten Tradwives-Szene fröhliche Urstände feiert, ist es schön, sich die historische Entstehung der Figur nochmals vor Augen zu führen. Die Kulturhistorikerin Evke Rulffes führt den Bogen zurück ins ausgehende 18. Jahrhundert und liest genüsslich und minutiös die 'Hausmutter'-Ratgeberliteratur der Zeit.
Die Hausmutter war damals die Herrin im Haus. Rulffes fragt, wie aus dieser mächtigen Frau eine bloße Dienerin des Mannes werden konnte. Das ist keine Lektüre nur für Hausfrauen, Mütter und Gattinnen, sondern für Söhne, Väter und Ehemänner und überhaupt für alle, die verstehen wollen, wie die heutige gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Erwerbsarbeit und Hausarbeit entstanden ist. Denn die Folgen der 'Erfindung der Hausfrau' spüren wir bis heute.“
Evke Rulffes: „Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung“
HarperCollins, Hamburg 2021
288 Seiten, 22 Euro
Für die wahren Leistungsträger: ein Buch über all die Menschen, die systemrelevante Arbeit leisten
"Verkannte Leistungsträger:innen" von Nicole Mayer-Ahuja und Oliver Nachtwey
11.12.2021
05:51 Minuten
Catrin Stövesand sagt: "Das Buch versammelt 22 Fallgeschichten von Menschen, die engagiert wichtige Arbeit leisten. Da ist der Sozialarbeiter, der in Teilzeit natürlich mehr als Vollzeit arbeitet. Da ist die 24/7-Altenpflegerin in einem Privathaushalt, die fast wie eine Leibeigene auf Zeit lebt. Da sind die vielen Unsichtbaren: die Küchenhilfen, Bettenschieber, Fahrradkuriere.
Das Buch zeigt, was die Politik gegen diese Missstände tun muss. Warum Unternehmen in die Pflicht gehören. Dass wir selbst nicht unbedingt eine Pizza bestellen müssen, wenn wir wissen, dass der Fahrradkurier von seinem Lohn auch noch das eigene Fahrrad instand halten muss und unklar ist, was eigentlich bei einem Unfall passiert.
Arbeit soll eigentlich weder arm noch krank machen, hier sind aber Zusatzschichten, Überanstrengung und eher niedrige Einkommen an der Tagesordnung. Manche sind sogar faktisch rechtlos, wenn beispielsweise ihr Aufenthaltsstatus an der Arbeit hängt. Diese Menschen sind oft unsichtbar und völlig unterschätzt.
Das Buch erzählt trotzdem keine Opfergeschichten. Die Menschen, um die es hier geht, sind durch Interviews quasi im O-Ton eingebunden. Aber alle versuchen, ein würdiges und gutes Leben für sich zu schaffen. Was die Protagonisten sagen, wird nicht bewertet. Das finde ich sehr angenehm: Es wirkt alles für sich, man kann sich ein eigenes Bild machen und eine eigene Haltung finden. Das Buch ist übrigens sehr umfangreich, aber immer anschaulich und flüssig zu lesen."
Nicole Mayer-Ahuja und Oliver Nachtwey (Hrsg.): „Verkannte Leistungsträger:innen. Berichte aus der Klassengesellschaft“
Suhrkamp, Berlin 2021
556 Seiten, 22 Euro