Nikolaus Wachsmann: KL: Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager
Siedler Verlag, München
992 Seiten, 39,99 Euro
"Es gab keinen typischen Täter"
Die Deutschen haben einst die Bürokratie des Tötens perfektioniert - das bezeugen die Konzentrationslager, die sie auf europäischem Boden verteilt haben. Der Historiker Nikolas Wachsmann beweist mit seinem Buch "KL", dass über diese Zeit noch nicht alles geschrieben wurde.
Zwölf Jahre lang haben die Nationalsozialisten auf Europas Boden ihre Konzentrationslager betrieben. Darin wurden die Gegner der Diktatur – und diejenigen, die dafür gehalten wurden - wegsperrt, interniert, als Sklaven ausbeutet und ermordet. Die Deutschen haben damals, so scheint es, die Bürokratie des Tötens perfektioniert. Und heute haben viele den Eindruck, über diese Zeit sei alles gesagt und geschrieben. Wie sehr dieser Gedanke täuscht, macht der Historiker Nikolas Wachsmann in seinem monumentalen Buch: "KL. Die Geschichte der Nationalsozialistischen Konzentrationslager" deutlich. In der Lesart spricht er über seine Erkenntnisse.
Die Überraschung fängt schon mit dem Buchtitel an: "KL" – und nicht "KZ" – lautete die damals gängige Abkürzung der Lager. "Ich will mit dem Titel klar machen, dass man eben doch noch nicht alles über die Konzentrationslager weiß", sagt Wachsmann, "und das fängt eben mit dieser Abkürzung an." Es gebe eine ganze Reihe von Mythen, die sich um die Lager rankten. Etwa, dass die Lager wie unsichtbar gewesen seien und die meisten Deutschen nicht gewusst hätten, was in den Lagern vor sich ging. "Alleine in Berlin gab es schon 1933 über 170 so genannte frühe Lager. Und Anwohner hören und sogar sehen können, wie dort die Gefangenen gefoltert werden."
"KL" und nicht "KZ"
Aus heutiger Sicht sehe es wie eine zwangsläufige Entwicklung der Lager hin zum Massenmord aus. Doch die Nationalsozialisten hätten die Lager "selbst erst erfinden" müssen: "Die Lager ändern sich immer wieder im Laufe dieses kurzen Zeitraums. Es gibt kein typisches Lager." Und es habe immer wieder ganz erstaunlichen Mut und große Solidarität unter den Gefangenen gegeben. "Man muss sich die Konzentrationslager nicht als ein System vorstellen, in dem die SS absolut hundertprozentig immer alles unter Kontrolle hatte."
Wachsmann greift in seinem Buch "KL" sowohl die Perspektive der Opfer auf als auch die der Zuschauer als auch die der Täter. Dazu hat er bislang unbekannte Akten von SS und Polizei ausgewertet. Eine zentrale Frage sei, wie die Täter sich binnen kürzester Zeit derart radikalisieren und verrohen konnten. Wachsmann sagt: "Es gab keinen typischen Täter."
Sadismus und psychische Anomalien
Einige Täter seien von Sadismus und psychischen Anomalien getrieben, doch die seien eine relativ kleine Minderheit gewesen. Andere seien von SS-Ideologie durchdrungen gewesen, wieder andere wollten bei der SS Karriere machen. "Es gibt aber auch sehr viele Täter, die nicht viel nachdenken, scheinbar nur ihre Arbeit machen und sich sehr schnell anpassen." Wachsmann berichtet von einem Arzt, der nach seinem ersten Einsatz bei der Selektion zusammenbrach und sich betrank und sagte, er könne diese Arbeit nicht tun. "Nach einer relativ kurzen Zeit tut er es aber dennoch."
Und Wachsmann räumt im "Lesart"-Gespräch mit dem Mythos auf, die Geschichte der Konzentrationslager sei mit der Befreiung beendet. "Es hat sich in den Köpfen das Bild eines gewissen Happy Ends eingenistet." Doch das Leiden der Gefangenen sei nach der Befreiung oft weitergegangen." "Die Überlebenden hatten schrecklich zu kämpfen: um Anerkennung und um sich ihr Leben wieder aufzubauen."