Der Flaggenstreit in Oberstdorf
Max Bolkart aus Bayern und Helmut Recknagel aus Thüringen, zwei der erfolgreichsten deutschen Skispringer, traten mitten im Kalten Krieg immer wieder gegeneinander an - bei der Vierschanzentournee vor 55 Jahren allerdings durfte einer nicht mitmachen.
Schwarz-rot-gold, in der Mitte das Staatswappen aus Hammer und Zirkel im Ährenkranz: beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee am 30. Dezember 1959 will das Team aus der DDR seine neue Flagge präsentieren. Es kommt zum Eklat. Der Deutsche Skiverband West untersagt dem deutschen Skiverband Ost, die so genannte "Spalterflagge" hissen zu lassen. Die DDR-Delegation reist ab. Mit dabei: Titelverteidiger Helmut Recknagel. Nicht zum ersten Mal ist er Opfer diplomatischer Verwicklungen. Im März 1958, bei der Internationalen Skiflugwoche in Oberstdorf, ist allerdings nicht die Flagge Stein des Anstoßes, sondern die Hymne.
"Passiert ist, dass der Helmut, der Recknagel das Skifliegen gewonnen hat. Wo eigentlich niemand gerechnet hat mit dieser Ehrung, dass er eben Sieger wurde."
Max Bolkart – damals der große Rivale Recknagels.
"Mein Vater hat die Blasmusik geleitet, dann kam er ganz aufgeregt zu mir: 'stell dir vor, einer aus der DDR, der Helmut, der Recknagel hat das Skifliegen gewonnen. Ich habe keine Noten für die DDR-Hymne. Was soll ich machen?' – 'Na, da spielst halt das Deutschlandlied.' (lacht) Und fertig. Und der war ganz nervös, gell. Und so ergab sich das einfach, weil: eine Hymne muss man ja spielen, und da hat er das Deutschlandlied gespielt."
"Ich habe das gar nicht mitgekriegt."
Anschließend entschuldigt sich der Bürgermeister
Helmut Recknagel – von der West-Presse als "Skisprung-Sputnik" gefeiert.
"Ich stand vorne auf dem Podest. Ich wusste nur: 'wir rufen den Sieger Helmut Recknagel Deutsche Demo ..., DDR.' Und die sagen: 'Helmut Recknagel aus Thüringen', und dann kam mir zu Ehren das Deutschlandlied, da stand ich vorne, habe das gar nicht mitgekriegt in der Aufregung, wenn sie ausgerufen werden zum Sieger, vielleicht bei ein paar Tausend Zuschauern auf dem Marktplatz in Oberstdorf, da hören Sie gar nichts, wenn die Trommel schlägt. Verstehen Sie?"
"Und plötzlich rege Aufregung, für die DDR waren Trainer und Funktionäre, alle da, plötzlich habe ich gehört: 'hat schon angerufen aus Berlin'. Irgendwie ist was durchgesickert oder hat man nach Berlin telefoniert?"
"Und ich habe ein Signal bekommen von meiner Mannschaftsleitung. 'runter kommen, das Podest verlassen, das ist eine Provokation, wir sind DDR-Leute, auch Deutsche, aber DDR, wir wollen unsere Deutschland-, unsere DDR-Hymne haben'."
"Aber wir hatten sie nicht, gell. Und da haben wir ja schon ein bissel dumm aus der Wäsche geschaut, aber wir konnten ja auch nix ändern, und Null Komma nix war die Siegerehrung vorbei."
Der Bürgermeister von Oberstdorf entschuldigt sich anschließend, den Siegerpokal lehnt Helmut Recknagel demonstrativ ab. In seinem "heiligen jugendlichen Zorn", wie er später in seiner Biografie schreibt.
"Pokal zurück, keine Urkunde, keinen Preis, die Preise waren immer klein, aber jeder wollte doch einen Preis. Also ich war ganz schön traurig, muss ich sagen."
Eineinhalb Jahre danach, im Dezember 1959, ist seine Enttäuschung sehr viel größer, als er wegen des Flaggenstreits bei der Vierschanzentournee nicht starten darf. Das Auftaktspringen in Oberstdorf gewinnt Max Bolkart, anschließend auch die gesamte Tournee.