Geschichte des Bergsteigens

05.05.2008
Was bewegt den Menschen zum Bergsteigen? Und worin unterscheidet sich der Bergsteiger vom Wanderer? Trotz einer fast unüberschaubaren Fülle an Publikationen fehlt bislang eine umfassende Darstellung, die als historischer Überblick systematisch Antworten auf diese Fragen bietet. Peter Grupps Buch "Faszination Berg" will diese Lücke schließen.
Die Berliner Hütte im österreichischen Zillertal präsentiert sich, wenn man schnaufend das Plateau erreicht, auf dem sie steht, wie ein Schlosshotel am Berg. Große Empfangshalle, riesiger Speisesaal mit einem hölzernem Lüster in einer Größe, die ihresgleichen sucht, und, was für ein traumhafter Luxus, einzelne Zimmer und keine Matratzenlager, in denen die müden Bergsteiger wie Sardinen aufgereiht um die Wette schnarchen.

Dergleichen gibt es in den Alpen sonst nicht. Wie eine Alpenvereinshütte dermaßen aus dem Rahmen fallen kann, versteht nur, wer die Geschichte kennt. Deutsches Reich und die Donaumonarchie leisteten sich weit vor dem Ersten Weltkrieg eine gemeinsame Bergsteigerorganisation, den Deutsch-Österreichischen Alpenverein. Da lag es nahe, dass sich intern Deutsche und Österreicher den Rang abzulaufen versuchten und sei es mit so absurden Projekten, wer nun die größte "Hütte" weitab jeder Zivilisation in die Berge zu stemmen schaffte.

Der Alpinismus, so erfährt man in Peter Grupps lesenswertem Buch "Faszination Berg, Die Geschichte des Alpinismus", spielt sich nicht ganz nach eigenen Regeln weit draußen vor der Tür der europäischen Zivilisation ab, sondern spiegelt die jeweilige Gesellschaft in Trends, Ideologie und Zeitströmung exakt wider.

Das führt auch zu einigen Korrekturen bisheriger Einschätzungen. Als Alexander von Humboldt zum Beispiel mit seinem Begleiter Bonpland 1802 in Ecuador den Chimborazo bestieg, war das eine Pioniertat wohl im Sinne einer Erstbesteigung, aber nicht im Sinne eines alpinistischen Aufbruchs. Höchste Berge wie Mont Blanc, Großglockner und viele andere wurden schon viel früher bezwungen, oft von namenlosen Landvermessern, später dann von Menschen mit wissenschaftlichem Interesse. Grupp weist plausibel nach, dass schon damals, also in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts immer auch die sportliche Herausforderung die Menschen in Lederschuhen, Gehrock und steifem Kragen auf die Berge getrieben hat. Im Vergleich dazu waren die städtischen Wandervögel mit ihrem Naturtrieb hundert Jahre später nur noch Nachzügler.

Ungemein kenntnisreich geleitet der Historiker und Bergsteiger Peter Grupp seine Leser durch eine hoch detaillierte Geschichte des Bergsteigens von der Antike bis zum heutigen Massenauftrieb. Dabei ist auch immer wieder gute Gelegenheit, falsche Gewissheiten fallen zu lassen, etwa, dass bis vor wenigen Jahrhunderten die Berge nur als böse und daher unbetretbar gegolten haben. Gerade die abergläubischen Bauern waren seit Tausenden von Jahren in den Bergen unterwegs, ebenso Jäger - siehe Ötzi. Dass die Nationalsozialisten bei der Gleichschaltung mit dem Deutsch-Österreichischem Alpenverein leichte Hand hatten, stimmte wohl auf der höchsten organisatorischen Ebene. Weiter unten jedoch gab es genug eigenwillige Bergler, die sich dem aufgezwungenen Gleichschritt widersetzten.

Mit ungeheurem Fleiß ist Grupp, den bisher Zeitläufte und Figuren aus der Epoche rund um die Weimarer Republik interessiert haben, an sein Projekt Alpinismus herangegangen. Im Eilschritt geht es durch Kunst- und Kulturgeschichte, Ausrüstung, Organisationen und so fort. Einiges streift er dabei nur, um der Überfülle Herr zu werden. Wer aber eine Geschichte von Triumph und Niederlage, von Leid und Leidenschaft, von Körperkult und Kollaps, von Verrat und Intrige am Berg, mit anderen Worten eine Historie der großen Bergheroen lesen will, der ist hier falsch. Ob sich, wie vom Verlag angekündigt, Grupps neues Standardwerk zum Alpinismus durchsetzt, muss mit Blick auf bedeutende frühere Veröffentlichungen abgewartet werden.

Rezensiert von Florian Hildebrand

Peter Grupp: Faszination Berg, Die Geschichte des Alpinismus,
Böhlau Verlag Köln, Wien, 2008, 391 Seiten, 29,90 €