Rapper Torch spendet Gegenstände für Heidelberger Hip-Hop-Archiv
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Ein Projekt "von internationaler Strahlkraft" sei das geplante Hip-Hop-Archiv in Heidelberg, sagt Torch. Der Rapper von der Heidelberger Kultformation "Advanced Chemistry" hat dem Archiv zahlreiche persönliche Gegenstände überlassen.
Töne wie den Song "Wunderschön" von Torch kann man nicht archivieren, man muss sie hören und genießen. Archivieren kann man aber den Tonträger, auf dem der Song gepresst ist. Genau dies geschieht jetzt im Hip-Hop-Archiv der Stadt Heidelberg, das gerade im Entstehen ist.
"Einen Teil der Schallplatten haben wir bereits erfasst", sagt Berndt Güntzel-Lingner. Er ist Archivar im Stadtarchiv Heidelberg. "Hier ist eine alte Scheibe von Advanced Chemistry, also die Band, die Torch, Toni L. und Linguist gemacht haben. Und auch ‚Blauer Samt‘ haben wir als Vinyl da."
Seit einigen Wochen ist Güntzel-Lingner dabei, sich durch Tausende Objekte zu wühlen, die der Rapper Torch aus seiner persönlichen Sammlung nach Heidelberg geschickt hat: "Zu den wertvollen Dingen gehört zum Beispiel ein Schulranzen von Toni L. Genauso zu den Raritäten gehört hier der Tourkoffer von Torch, natürlich mit Heidelberg-Aufkleber."
Die Objekte bilden den Grundstock des Hip-Hop-Archivs, des ersten seiner Art in Europa. Denn was viele nicht wissen: Die beschauliche Stadt am Neckar ist die Geburtsstadt deutscher Hip-Hop-Kultur. Frederick Hahn aka Torch gilt gemeinhin als Erfinder des Deutschrap.
"Heidelberg ist jetzt, glaube ich, bereit für den jüngsten Teil seiner Kulturgeschichte und erkennt, was für eine immense Chance es hat, das zusammen mit den Protagonisten zu schaffen", sagt er. "Das Projekt ist von internationaler Strahlkraft. Das ist ein großes Projekt."
Heidelberg als Mekka des deutschen Hip-Hop
Ein Hip-Hop-Archiv, an dem offiziell dokumentiert und wissenschaftlich erforscht wird, wie das damals mit dem deutschen Hip-Hop seinen Anfang nahm.
"Heidelberg hat eine riesengroße Rolle für die Entwicklung der deutschen Hip-Hop-Szene in der Anfangszeit gespielt. Man kann auf jeden Fall sagen, dass es lange vor Berlin, Stuttgart und anderen Großstädten das Mekka des deutschen Hip-Hop war – oder das Zentrum", sagt der Musikjournalist Davide Bortot.
Doch was in der Szene eigentlich unumstritten ist, muss die Forschung nun belegen. Auch diesen Zweck soll das Hip-Hop-Archiv erfüllen.
"Inwiefern man dann zu dem Ergebnis kommt, es handelt sich nicht nur um eine lokale Gründung, sondern um eine von nationaler oder gar internationaler Tragweite, auch das muss dann herausgearbeitet werden", erklärt Andrea Edel vom Kulturamt Heidelberg.
Die nächsten zwei Jahre wird die Stadt noch brauchen, um alle Objekte zu digitalisieren und Gelder zu budgetieren. Wenn alles nach Plan läuft, könnte das Archiv 2023 öffnen. Vielleicht wird daraus ein Museum, vielleicht eher ein soziokulturelles Begegnungszentrum. Vielleicht wird es Hip-Hop-Archiv heißen, vielleicht auch anders. Über all diese Punkte muss die Stadtpolitik noch entscheiden.
"Fremd im eigenen Land" – migrantische Identitäten
Es scheint, als müsse die Stadt erst noch überlegen, wie sie mit diesem eher neuen kulturellen Erbe, der Hip-Hop-Kultur, umgehen soll. Doch wie kommt es überhaupt dazu, dass Hip-Hopper eine dermaßen herausragende Bedeutung für die Erinnerungskultur Heidelbergs haben?
Ein Blick zurück: Alles beginnt Mitte der 80er-Jahre. Hip-Hop als Subkultur war vor wenigen Jahren in der New Yorker Bronx entstanden. Genau neben dem Gebäude des Stadtarchivs liegt die IGH, die Internationale Gesamtschule Heidelberg.
"Die IGH ist eine multikulti-internationale Gesamtschule. Ich glaube, da gibt es 40 verschiedene Nationen und es war eine Multikulti-Sache", erinnert sich Martin Stieber zurück, ein früher Wegbegleiter von Torch, der später mit dem Duo Stieber Twins auch ein Stück Heidelberger Hip-Hop-Geschichte schrieb. "Wir waren schon die Exoten, wie gesagt: Da war Metall in aller Munde. Das war schon so eine andere Sache."
Anführer der IGH-Clique wird Torch, bürgerlich: Frederick Hahn, Sohn eines ostpreußischen Vaters und einer haitianischen Mutter. Seine Bandkollegen: Linguist, ein Junge mit ghanaeschen Wurzeln; der Chilene Gee-One und der italienischstämmige Toni Landomini, genannt Toni L. Sie nennen sich Advanced Chemistry und werden die erste deutsche Hip-Hop-Crew überhaupt. 1992 veröffentlichen sie den Song "Fremd im eigenen Land", der migrantische Identität thematisiert.
"Ich glaube, man muss verstehen, dass Hip-Hop zu diesem Zeitpunkt eine identitätsstiftende Kultur war, mehr noch als ein Genre der Popmusik. Und Hip-Hop hat vielen Leuten, die diese Möglichkeit nicht hatten, die Möglichkeit gegeben, sich auszudrücken. Das beste Beispiel hierfür ist glaube ich der Song ‚Fremd im eigenen Land‘. Das hatte am Anfang einen sehr politischen Anspruch. Da gab es ja dann auch die Öffnung Ost und Hoyerswerda und so Sachen waren da auch grad."
Erst Exoten, dann Mainstream
Der Song trifft den Puls der Zeit – und läuft als deutscher Song im englischen MTV-Programm. Angefacht von Advanced Chemistry entsteht ein Lauffeuer, das ganz Deutschland erfasst. Die Rapperin Cora E. veröffentlicht 1993 die Single "Könnt ihr uns hören?", die Stieber Twins 1996 "Fenster zum Hof" – und Torch schließlich 2000 sein bis heute einziges Solo-Album "Blauer Samt" – extrem lyrisch, fast schon poetisch.
Auch Torch reflektiert den Einfluss, den er und Heidelberg auf deutschen Hip-Hop hatten, lange bevor dieser im Mainstream angekommen ist.
"Da ist irgendwas, und gleichzeitig haben sich auch die Künstler aus der Szene dazu bekannt, Heidelberg als großen Einfluss zu nennen, also Stieber Twins und Advanced Chemistry. Blauer Samt, das Album, ist ja die Konzept-Blaupause im deutschen Hip-Hop."
In den 2000ern wird Hip-Hop unter Aggro Berlin, Samy Deluxe, Azad, Kool Savas oder den Beginnern zur Jugendkultur und Mainstream, der auf Schulhöfen und in der Bravo stattfindet. Heute spielen Künstler wie Haftbefehl oder Marteria Konzerte vor Zehntausenden Menschen und dominieren die Charts.
"In jeder Werbung taucht es auf. Es ist halt industriell vermarktet und ausgeschlachtet. Und das hat eigentlich mit der Sache von damals relativ wenig zutun."
Ist Hip-Hop also verkommen? Er hat sich zweifelsohne geändert. Doch ohne Torch und die Pioniere aus Heideberg wäre es so weit nie gekommen.
"Ich glaube, Heidelberg ist genau der richtige Ort für so ein Hip-Hop-Archiv. Und ich denke, Torch und Toni L sind auch die Figuren, die innerhalb der Stadt die größte Legitimation haben, ein solches Archiv zu erstellen, zu führen oder zu repräsentieren."
Alles wird bei 18 Grad gekühlt
Zurück in Heidelberg: Die ersten Gegenstände werden gerade in den massiven Metallschrank des Stadtarchivs gepackt.
"Wir sind hier im Bereich, in dem die Dinge dann unter 18 Grad Temperatur gelagert werden, und wir sind hier in der Abteilung, in der das Hip-Hop-Archiv seine Regale haben wird."
Poster, Kleidungsstücke, Hip-Hop-Magazine und natürlich die schwarzen Budapester, der Lederhandschuh und die Baskenkappe, die all die Jahre das Markenzeichen von Torchs Mitstreiter Toni L. blieben. Bei immer gleicher Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden sie jetzt wie andere, teils 1000 Jahre alte Dokumente der Stadtgeschichte verwahrt. Für die Ewigkeit.