Geschichte des Elfmeterschießens

Die schönsten Momente des Scheiterns

Philipp Lahm vom FC Bayern München stürzt beim Elfmeterschießen im Pokalspiel gegen Borussia Dortmund am 28. April 2015.
Philipp Lahm vom FC Bayern München stürzt beim Elfmeterschießen im Pokalspiel gegen Borussia Dortmund am 28.4.2015 © dpa / picture alliance / Tobias Hase
Von Katrin Weber-Klüver |
Von Uli Hoeneß' Schuss in den Nachthimmel von Belgrad bis zu Philipp Lahms Ausrutscher im Pokal-Halbfinale: Die Geschichte des Elfmeterschießens ist eine des schaurigschönen Scheiterns. Vor allem, wenn Engländer mitspielen.
"Wir hoffen natürlich, verehrte Hörer, dass unsere Leitung, unsere Übertragung hier aus dem Stadion Roter Stern noch steht, dass sie bestehen bleibt, denn dieses Elfmeterschießen, das wollen wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten."
Belgrad, 20. Juni 1976. Erstmals in der Geschichte wird eine Fußball-Europameisterschaft im Elfmeterschießen entschieden. Schon die Premiere ist stilbildend für dieses Drama des schaurigschönen Scheiterns.
"Hoeneß läuft an und schießt – und jagt den Ball über die Querlatte."
Die CSSR wird Europameister, weil Antonin Panenka anschließend mit einem grandios lümmelhaften Lupfer trifft. Der wird legendär.
Uli Hoeneß verfolgt sein "Schuss in den Himmel von Belgrad" bis heute.
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Der Unglücksschütze von Belgrad, Uli Hoeneß, nachdem er den entscheidenden Elfmeter im EM-Finale am 20.06.1976 gegen die Tschechoslowakei verschossen hatte.© picture-alliance / dpa / Karl Schnörrer
1970, sechs Jahre vor der Premiere, hatte die Fifa entschieden, Wiederholungsspiele oder Losentscheide durch Elfmeterschießen zu ersetzen.

Bis zu 100 km/h schnell ist der Ball

Die Fallhöhe der Schützen ist groß. Denn objektiv ist der Torwart chancenlos.
Bei einer Torgröße von 7,32 Meter Breite und 2,44 Meter Höhe muss der Torwart knapp 18 Quadratmeter abdecken.
Das entspricht elf Zimmertüren.
Es ist unmöglich, elf Zimmertüren gleichzeitig zu schützen, auf die der Ball in knapp einer halben Sekunde und mit bis zu 100 Stundenkilometern treffen kann.
Es sein denn, der Schütze ist Engländer...
"Pearce hat sich den Ball zurechtgelegt. Der Linksfüßler geht bis zum Strafraum zurück, sechs, sieben Meter, läuft an, schießt. Illgner hält! Illgner hält!"
Turin, 4. Juli 1990, WM-Halbfinale. Niemand hat sich so verdient darum gemacht, den objektiven Vorteil des Schützen zur subjektiv untragbaren Bürde zu erklären wie englische Nationalspieler.
Torhüter Bodo Illgner (vorn) pariert den vom englischen Abwehrspieler Stuart Pearce getretenen Elfmeter. Damit ist die deutsche Fußballnationalmannschaft beim Stand von 3:3 im Elfmeterschießen mit England im Vorteil. Sie gewinnt am 04.07.1990 im Turiner Stadion delle Alpi das Halbfinalspiel der Fußball-WM am Ende mit 4:3. Nach der Verlängerung hatte es 1:1 gestanden.
Können Engländer keine Elfmeter? Stuart Pearce beim Elfmeterschießen gegen Deutschland im WM-Halbfinale 1990.© picture alliance / dpa / Frank Leonhardt
Bis heute haben die Engländer sechs ihrer sieben Elfmeterschießen bei Welt- und Europameisterschaften verloren – und dabei jeden dritten Schuss versemmelt.
"Viele Schützen versuchen, den Torwart mit verzögertem Anlauf aus dem Konzept zu bringen, Torhüter haben da ganz andere Möglichkeiten."

Jens Lehmann und der ominöse Zettel

Jens Supermann in Berlin. Juni 2006, WM-Viertelfinale Deutschland – Argentinien.
Jens Lehmann konsultiert immer wieder einen Spickzettel, bevor er zum Duell antritt. Einen Schuss hat der deutsche Torwart schon pariert, der nächste wird entscheidend.
Esteban Cambiasso gegen Jens Lehmann. Und er nimmt einen langen Anlauf, sieben Meter, Cambiasso, mit links, Lehmann hält, wir sind im Halbfinale.
Der Zettel mit den Vorlieben für die Ecken im Elfmeterschießen der argentinischen Spieler, den der Torwart der Fußball-Nationalmannschaft, Jens Lehmann, im Halbfinale der Fußball-WM 2006 während des Elfmeterschießens in seinem Stutzen trug, liegt seit Dienstag (19.06.2007) im Haus der Geschichte in Bonn. Der zuvor für einen wohltätigen Zweck ersteigerte Zettel wurde am Dienstag (19.06.2007) in Bonn im Beisein von Jens Lehmann dem Museum übergeben. Foto: Oliver Berg dpa +++(c) dpa - Report+++
Wer schießt gern wohin? Jens Lehmanns Spickzettel mit den Vorlieben der argentischen Spieler könnte entscheidend beim Elfmeterschießen im WM-Viertelfinale 2006 gewesen sein.© picture-alliance/ dpa / Oliver Berg
Ob der Zettel die Schützen wirklich verunsicherte, ob die Informationen Lehmann halfen oder er einfach Glück hatte – das wusste er selbst später nicht mehr zu sagen. Egal.
Behalt die Nerven! Er schießt. Abgewehrt. Nicht zu fassen...
Elfmeterschießen sind reine Nervensache.
Auch für die Zuschauer. Manche haben einen Heidenspaß, für andere ist es blanker Horror. Die einen lieben die Spannung: Einer wird scheitern. Was für ein Spektakel!
Die anderen leiden genau darum: Einer muss scheitern. Was für eine Tragödie!

Seit 1976 hat Deutschland kein Elfmeterschießen mehr verloren

Nach der verpatzten Premiere 1976 gewannen deutsche Nationalmannschaften alle ihre Elfmeterschießen bei Welt- und Europameisterschaften. Außer Hoeneß scheiterte nur Uli Stielike, bei der WM 1982. Die Trefferquote lag bei 93 Prozent. Bis zum Sommer 2016.
Bordeaux, 2. Juli 2016, EM-Viertelfinale Deutschland – Italien:
"Schweinsteiger, ein ganz kurzer Anlauf, Bastian Schweinsteiger, mach ihn rein Junge, ..., nein, drüber, nein. Herrje, das gibt’s doch nicht, dritter verschossener Elfmeter für Deutschland."
Nach Müller und Özil. Mehr Fehlschüsse als in sämtlichen sechs Elfmeterschießen zuvor – eine dramatische Tendenz. Dieses Mal ging es gerade noch gut aus. Mit dem 18. Schützen:
"Jonas Hector, rein damit. Jaaaa! Tor!"
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