Geschichte des israelischen Blitzkriegs
Im Juni 1967 schlug das israelische Militär in einem Blitzkrieg die Armeen Ägyptens, Jordaniens und Syriens. Im Sechs-Tage-Krieg veränderte Israel die geographische und politische Landkarte im Nahen Osten. Der israelische Historiker Tom Segev analysiert in seinem Buch "1967. Israels zweite Geburt" vor allem die Vorgeschichte und die bis heute andauernden Nachwirkungen des israelischen Feldzugs.
Israel war zu schwach, um den Sechs-Tage-Krieg von 1967 zu vermeiden, und dessen Folgen bestimmen bis heute die politische Situation im Nahen Osten - so lauten die beiden Thesen des israelischen Historikers und Journalisten Tom Segev. Nach seinen wegweisenden Werken über den Holocaust und Israels Politik der Erinnerung ("Die siebte Million", 1995) sowie die Geschichte Palästinas vor der Staatsgründung Israels ("Es war einmal in Palästina", 2005), legt Segev nun ein Buch vor, das wiederum das Zeug zum Bestseller hat.
Der Autor, 1945 in Jerusalem geboren, gehört zu jener Generation von Historikern, die sich kritisch mit zionistischen Mythen auseinandersetzen. Ein Mythos ist auch Israels Sechs-Tage-Krieg. Durch einen Präventivangriff vernichtete Israel im Juni 1967 innerhalb eines Tages nahezu die gesamte ägyptische Luftwaffe, schlug die Armeen dreier arabischer Staaten und erweiterte sein Territorium um mehr als das Dreifache. Israel eroberte den Gaza-Streifen, die Sinai-Halbinsel und die Golanhöhen, besetzte Ost-Jerusalem und das Westjordanland.
Der militärischen Meisterleistung waren massive Drohungen des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser gegenüber Israel vorausgegangen. Nasser hatte Truppen an der Grenze aufziehen lassen, den Knotenpunkt für Israels Wirtschaft, die Hafenstadt Eilat, blockiert und mit Syrien und Jordanien Beistandsabkommen geschlossen. Israel fühlte sich von Feinden umzingelt und in seiner Existenz bedroht. An sich nichts Neues, so Segev, doch verstärkten zu diesem Zeitpunkt Wirtschaftskrise und innenpolitische Depression die ohnehin vorhandenen Ängste der Israelis.
Die Gründe dafür erläutert der Historiker anschaulich und detailliert. Schilderungen der eigentlichen Kriegshandlungen nehmen dabei nur einen geringen Teil ein. Segev widmet sich in der ersten Hälfte seines Buches vielmehr einer ausführlichen Bestandsaufnahme der Kollektivpsyche Israels, dem Zustand des Landes in der ersten Hälfte der 60er Jahre. Aus dieser Bestandsaufnahme leitet er ab, warum die Situation im Mai und Juni 1967 von vielen Israelis als bevorstehender zweiter Holocaust empfunden wurde: Innenpolitisch traten viele Probleme zutage, die in der Aufbaueuphorie des vorangegangenen Jahrzehnts unberücksichtigt geblieben waren. Die Wirtschaft schwächelte, die Arbeitslosigkeit nahm zu, demographische Veränderungen wurden spürbar. Die Einwanderung ging zurück. Viele Einwohner verließen Israel sogar wieder. Der zionistische Konsens der Gründerjahre bröckelte. Ben Gurion, "Gründungsvater" des Staates, hatte sich aus der Politik zurückgezogen. Premierminister war der allgemein als führungsschwach und zögerlich verschriene Levi Eshkol, dem man eine Lösung der anstehenden Probleme nicht zutraute. Hinzu kamen ständige Scharmützel an der syrischen Grenze und in der ersten Hälfte des Jahres 1967 wöchentlich im Schnitt zwei Terroranschläge.
Im zweiten Teil seines Buches macht Segev klar, dass die Wurzeln für Krisen und Konflikte, die bis heute Israels Verhältnis zu seinen arabischen Nachbarn prägen, in der Politik des Landes nach dem Sechs-Tage-Krieg liegen. Patriotische Euphorie, Verklärung des Militärischen, messianisches Pathos und religiöser Eifer nahmen schlagartig zu. Die anhaltende Besetzung des Westjordanlandes und Ost-Jerusalems, sowie die ungeklärte Flüchtlingsfrage sind nur dessen offensichtlicher Ausdruck.
Segevs Buch ist spannend und höchst anschaulich geschrieben. Der Autor zitiert zahlreiche Briefe und Tagebücher von Privatpersonen, stützt sich auf Interviews und neues Archivmaterial. Geschickt arbeitet er Protokolle von Verhandlungen und Kabinettsgesprächen ein und gibt dem Leser, ohne dabei den Raum historischer Analyse und Distanz zu verlassen, das Gefühl, "live" dabei zu sein. Ein Geschichtsbuch von höchster Qualität.
Rezensiert von Carsten Hueck
Tom Segev: 1967. Israels zweite Geburt
Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Hans Freundl und Enrico Heinemann
Siedler Verlag, München 2007
796 Seiten, 28 Euro
Der Autor, 1945 in Jerusalem geboren, gehört zu jener Generation von Historikern, die sich kritisch mit zionistischen Mythen auseinandersetzen. Ein Mythos ist auch Israels Sechs-Tage-Krieg. Durch einen Präventivangriff vernichtete Israel im Juni 1967 innerhalb eines Tages nahezu die gesamte ägyptische Luftwaffe, schlug die Armeen dreier arabischer Staaten und erweiterte sein Territorium um mehr als das Dreifache. Israel eroberte den Gaza-Streifen, die Sinai-Halbinsel und die Golanhöhen, besetzte Ost-Jerusalem und das Westjordanland.
Der militärischen Meisterleistung waren massive Drohungen des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser gegenüber Israel vorausgegangen. Nasser hatte Truppen an der Grenze aufziehen lassen, den Knotenpunkt für Israels Wirtschaft, die Hafenstadt Eilat, blockiert und mit Syrien und Jordanien Beistandsabkommen geschlossen. Israel fühlte sich von Feinden umzingelt und in seiner Existenz bedroht. An sich nichts Neues, so Segev, doch verstärkten zu diesem Zeitpunkt Wirtschaftskrise und innenpolitische Depression die ohnehin vorhandenen Ängste der Israelis.
Die Gründe dafür erläutert der Historiker anschaulich und detailliert. Schilderungen der eigentlichen Kriegshandlungen nehmen dabei nur einen geringen Teil ein. Segev widmet sich in der ersten Hälfte seines Buches vielmehr einer ausführlichen Bestandsaufnahme der Kollektivpsyche Israels, dem Zustand des Landes in der ersten Hälfte der 60er Jahre. Aus dieser Bestandsaufnahme leitet er ab, warum die Situation im Mai und Juni 1967 von vielen Israelis als bevorstehender zweiter Holocaust empfunden wurde: Innenpolitisch traten viele Probleme zutage, die in der Aufbaueuphorie des vorangegangenen Jahrzehnts unberücksichtigt geblieben waren. Die Wirtschaft schwächelte, die Arbeitslosigkeit nahm zu, demographische Veränderungen wurden spürbar. Die Einwanderung ging zurück. Viele Einwohner verließen Israel sogar wieder. Der zionistische Konsens der Gründerjahre bröckelte. Ben Gurion, "Gründungsvater" des Staates, hatte sich aus der Politik zurückgezogen. Premierminister war der allgemein als führungsschwach und zögerlich verschriene Levi Eshkol, dem man eine Lösung der anstehenden Probleme nicht zutraute. Hinzu kamen ständige Scharmützel an der syrischen Grenze und in der ersten Hälfte des Jahres 1967 wöchentlich im Schnitt zwei Terroranschläge.
Im zweiten Teil seines Buches macht Segev klar, dass die Wurzeln für Krisen und Konflikte, die bis heute Israels Verhältnis zu seinen arabischen Nachbarn prägen, in der Politik des Landes nach dem Sechs-Tage-Krieg liegen. Patriotische Euphorie, Verklärung des Militärischen, messianisches Pathos und religiöser Eifer nahmen schlagartig zu. Die anhaltende Besetzung des Westjordanlandes und Ost-Jerusalems, sowie die ungeklärte Flüchtlingsfrage sind nur dessen offensichtlicher Ausdruck.
Segevs Buch ist spannend und höchst anschaulich geschrieben. Der Autor zitiert zahlreiche Briefe und Tagebücher von Privatpersonen, stützt sich auf Interviews und neues Archivmaterial. Geschickt arbeitet er Protokolle von Verhandlungen und Kabinettsgesprächen ein und gibt dem Leser, ohne dabei den Raum historischer Analyse und Distanz zu verlassen, das Gefühl, "live" dabei zu sein. Ein Geschichtsbuch von höchster Qualität.
Rezensiert von Carsten Hueck
Tom Segev: 1967. Israels zweite Geburt
Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Hans Freundl und Enrico Heinemann
Siedler Verlag, München 2007
796 Seiten, 28 Euro