Geschichte einer antiken Stadt
"Pompeji" von Joanne Berry zeigt die Geschichte des Vesuvausbruchs ebenso auf wie das Drama der untergehenden Stadt. Darüber hinaus geht das Buch auf die lange Ausgrabungsgeschichte ein und stellt die moderne Rekonstruktion einer antiken Stadt dar.
"Sonntag waren wir in Pompeji. Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, dass den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte. Ich weiß nicht leicht etwas Interessanteres."
So schrieb Johann Wolfgang von Goethe, Deutschlands berühmtester Italienreisender, im März 1787 über die damals noch frischen Ausgrabungen am Golf von Neapel. Die relativ kleine Stadt mit circa 20.000 Einwohnern, die am 24. August 79 nach Christi in Schutt und Asche versank, und durch deren Überreste heute jährlich über zwei Millionen Touristen spazieren, wurde ja erst Mitte des 18. Jahrhunderts (1748) wiederentdeckt.
Fast 1500 Jahre lag sie unter einer Kruste vulkanischer Asche und Bimsstein begraben. Reste der antiken Stadt Herculaneum hatte man bereits 1709 beim Ausschachten eines Brunnes 16 km von Pompeji entfernt gefunden. Das war das Vorspiel zu einer neuen Disziplin, die sich auf das Ausgraben, Konservieren und Kommentieren verschütteter Objekte spezialisieren sollte und bald auch auf andere Wissenschaftszweige ausstrahlte.
Mit Pompeji, so meint Joanne Berry in ihrem gerade erschienen Buch, nahm die Archäologie als moderne Wissenschaft ihren Anfang. Doch erst 1762 konnte Pompeji anhand von Inschriften eindeutig identifiziert werden; jener mondäne direkt am Meer gelegene Ort, dessen Untergang Plinius der Jüngere als Augenzeuge miterlebte und in zwei berühmten Briefen überliefert hat.
Schon am Vormittag beobachtete er kleinere Dampfexplosionen und einen feinen Ascheregen. Gegen Mittag passierte die erste Haupteruption. 16 Stunden später frühmorgens gab es noch eine weitere, schlimmere Explosion. Eine fast 30 Kilometer hohe pinienförmige Wolke überschattete die Region rund um den Vesuv. Noch in 100 Kilometer Entfernung regnete es Lavabrocken. Mit hoher Geschwindigkeit rasten mehrere Glutlawinen auf die umliegenden Orte. Überall hörte man, so Plinius,
"das Geheul der Frauen, der Kinder Gewimmer, das Schreien der Männer. Die einen suchten ihre Eltern, die anderen ihre Kinder"."
Viele Bewohner konnten fliehen, ein kleiner Teil kam ums Leben. Doch haben erstaunlicherweise gerade die Opfer der Katastrophe, deren Leichen als gipserne "Negativabdrucke" erhalten sind, zum Mythos Pompejis beigetragen. Anhand von Bildern, Karten und Tafeln zeigt Berry eindringlich die Entwicklung "der größten bekannte Stadtruine der Welt", wie der Ausgrabungsort kontinuierlich gewachsen ist, und auch zu einem immer größeren Kostenfaktor wurde.
Wie die meisten Pompeji-Darstellungen besteht auch dieser Band aus drei großen thematischen Blöcken. Da ist einmal die Historie des Vesuvausbruchs und das Drama der untergehenden Stadt, dann die lange Ausgrabungsgeschichte und ihrer Helden, und schließlich findet man detaillierte Beschreibungen und die moderne Rekonstruktion einer antiken Stadt; erfahren wir, wie die Menschen unter dem Kaiser Titus dort lebten, wie sie arbeiteten, sich vergnügten, woran sie glaubten und welche Vorlieben sie besaßen. Wir werden in die Ökonomie Pompejis eingeführt, lesen, wie man mit Weinbau und Wollverarbeitung Geschäfte machte, und staunen vor allem über den Luxus, die prachtvollen Mosaikböden und die unzähligen Wandgemälde in den reichen Villen, aber auch über die freizügigen öffentlichen Dekorationen.
""Phalli waren als Symbole des Wohlstands überall zu finden, vor allem an Türen und Straßenecken. Berühmt ist das Terrakotarelief eines Phallus vor der Bäckerei in der Via delle Terme mit der Inschrift »Hier wohnt das Glück«."
Aber "Pompeji", erinnert Berry
"ist keine perfekte Zeitkapsel des antiken Lebens; die gefundenen Zeugnisse sind mit Problemen behaftet". "Die meisten organischen Stoffe sind zerfallen". Wenn sie nicht während der Eruption verbrannten, zersetzten sie sich im Laufe der Jahrhunderte."
Plünderungen und unsachgemäß durchgeführte Ausgrabungsarbeiten gehören ebenso zur wechselvollen Geschichte der Stadt. Dieser neue Pompeji-Band ist mit vielen ganzseitigen Fotos, Schaukästen und Tabellen reich ausgestattet. Das geht - ein Dilemma vieler moderner Sachbücher - auf Kosten des Textes, der - wie es scheint - den Abbildungen hauptsächlich nur noch als Begleitinformation dient.
So kommen unfreiwillig Überschneidungen und Verdoppelungen zustande, obwohl man sich kurz fassen will. Aber auch Fehler schmuggeln sich so ein. So behauptet die Archäologin (der Swansea University/Wales) an einer Stelle, der Vesuv sei nach der berühmten Pompeji-Eruption 700 Jahre lang nicht mehr ausgebrochen. An anderer Stelle wird in einem Bildkommentar deutlich auf zwei große Vulkanausbrüche in diesem Zeitraum hingewiesen.
Als "aktuellste und umfassendste Darstellung" preist der Verlag sein Produkt. Doch statt der eh kurzlebigen Besucherinformationen am Ende des Bandes, wie sie heute in jedem Reiseführer stehen, hätte man sich lieber einen Ausblick auf die akuten Probleme der "größten bekannten zusammenhängenden Stadtruine der Welt" gewünscht. Raubgrabungen und Verfall bedrohen bekanntlich das antike Weltkulturerbe. Erst vor kurzem hat die italienische Regierung Pompeji zum Notstandsgebiet erklärt.
Rezensiert von Richard Schroetter
Joanne Berry: Pompeji,
Deutsche Erstausgabe. Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff.
256 Seiten. 318 Illustrationen, davon 275 Farbbilder, 19,90 €
So schrieb Johann Wolfgang von Goethe, Deutschlands berühmtester Italienreisender, im März 1787 über die damals noch frischen Ausgrabungen am Golf von Neapel. Die relativ kleine Stadt mit circa 20.000 Einwohnern, die am 24. August 79 nach Christi in Schutt und Asche versank, und durch deren Überreste heute jährlich über zwei Millionen Touristen spazieren, wurde ja erst Mitte des 18. Jahrhunderts (1748) wiederentdeckt.
Fast 1500 Jahre lag sie unter einer Kruste vulkanischer Asche und Bimsstein begraben. Reste der antiken Stadt Herculaneum hatte man bereits 1709 beim Ausschachten eines Brunnes 16 km von Pompeji entfernt gefunden. Das war das Vorspiel zu einer neuen Disziplin, die sich auf das Ausgraben, Konservieren und Kommentieren verschütteter Objekte spezialisieren sollte und bald auch auf andere Wissenschaftszweige ausstrahlte.
Mit Pompeji, so meint Joanne Berry in ihrem gerade erschienen Buch, nahm die Archäologie als moderne Wissenschaft ihren Anfang. Doch erst 1762 konnte Pompeji anhand von Inschriften eindeutig identifiziert werden; jener mondäne direkt am Meer gelegene Ort, dessen Untergang Plinius der Jüngere als Augenzeuge miterlebte und in zwei berühmten Briefen überliefert hat.
Schon am Vormittag beobachtete er kleinere Dampfexplosionen und einen feinen Ascheregen. Gegen Mittag passierte die erste Haupteruption. 16 Stunden später frühmorgens gab es noch eine weitere, schlimmere Explosion. Eine fast 30 Kilometer hohe pinienförmige Wolke überschattete die Region rund um den Vesuv. Noch in 100 Kilometer Entfernung regnete es Lavabrocken. Mit hoher Geschwindigkeit rasten mehrere Glutlawinen auf die umliegenden Orte. Überall hörte man, so Plinius,
"das Geheul der Frauen, der Kinder Gewimmer, das Schreien der Männer. Die einen suchten ihre Eltern, die anderen ihre Kinder"."
Viele Bewohner konnten fliehen, ein kleiner Teil kam ums Leben. Doch haben erstaunlicherweise gerade die Opfer der Katastrophe, deren Leichen als gipserne "Negativabdrucke" erhalten sind, zum Mythos Pompejis beigetragen. Anhand von Bildern, Karten und Tafeln zeigt Berry eindringlich die Entwicklung "der größten bekannte Stadtruine der Welt", wie der Ausgrabungsort kontinuierlich gewachsen ist, und auch zu einem immer größeren Kostenfaktor wurde.
Wie die meisten Pompeji-Darstellungen besteht auch dieser Band aus drei großen thematischen Blöcken. Da ist einmal die Historie des Vesuvausbruchs und das Drama der untergehenden Stadt, dann die lange Ausgrabungsgeschichte und ihrer Helden, und schließlich findet man detaillierte Beschreibungen und die moderne Rekonstruktion einer antiken Stadt; erfahren wir, wie die Menschen unter dem Kaiser Titus dort lebten, wie sie arbeiteten, sich vergnügten, woran sie glaubten und welche Vorlieben sie besaßen. Wir werden in die Ökonomie Pompejis eingeführt, lesen, wie man mit Weinbau und Wollverarbeitung Geschäfte machte, und staunen vor allem über den Luxus, die prachtvollen Mosaikböden und die unzähligen Wandgemälde in den reichen Villen, aber auch über die freizügigen öffentlichen Dekorationen.
""Phalli waren als Symbole des Wohlstands überall zu finden, vor allem an Türen und Straßenecken. Berühmt ist das Terrakotarelief eines Phallus vor der Bäckerei in der Via delle Terme mit der Inschrift »Hier wohnt das Glück«."
Aber "Pompeji", erinnert Berry
"ist keine perfekte Zeitkapsel des antiken Lebens; die gefundenen Zeugnisse sind mit Problemen behaftet". "Die meisten organischen Stoffe sind zerfallen". Wenn sie nicht während der Eruption verbrannten, zersetzten sie sich im Laufe der Jahrhunderte."
Plünderungen und unsachgemäß durchgeführte Ausgrabungsarbeiten gehören ebenso zur wechselvollen Geschichte der Stadt. Dieser neue Pompeji-Band ist mit vielen ganzseitigen Fotos, Schaukästen und Tabellen reich ausgestattet. Das geht - ein Dilemma vieler moderner Sachbücher - auf Kosten des Textes, der - wie es scheint - den Abbildungen hauptsächlich nur noch als Begleitinformation dient.
So kommen unfreiwillig Überschneidungen und Verdoppelungen zustande, obwohl man sich kurz fassen will. Aber auch Fehler schmuggeln sich so ein. So behauptet die Archäologin (der Swansea University/Wales) an einer Stelle, der Vesuv sei nach der berühmten Pompeji-Eruption 700 Jahre lang nicht mehr ausgebrochen. An anderer Stelle wird in einem Bildkommentar deutlich auf zwei große Vulkanausbrüche in diesem Zeitraum hingewiesen.
Als "aktuellste und umfassendste Darstellung" preist der Verlag sein Produkt. Doch statt der eh kurzlebigen Besucherinformationen am Ende des Bandes, wie sie heute in jedem Reiseführer stehen, hätte man sich lieber einen Ausblick auf die akuten Probleme der "größten bekannten zusammenhängenden Stadtruine der Welt" gewünscht. Raubgrabungen und Verfall bedrohen bekanntlich das antike Weltkulturerbe. Erst vor kurzem hat die italienische Regierung Pompeji zum Notstandsgebiet erklärt.
Rezensiert von Richard Schroetter
Joanne Berry: Pompeji,
Deutsche Erstausgabe. Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff.
256 Seiten. 318 Illustrationen, davon 275 Farbbilder, 19,90 €