Geschichte eines mathematischen Rätsels

Die Poincaré-Vermutung, vor gut 100 Jahren formuliert, galt als eines der größten Rätsel der Mathematik. Erst 2002 gelang einem russischen Mathematiker der Beweis. Leider ist es dem Autor George G. Szpiro, selbst Mathematiker, nicht gelungen, eines der kniffligsten Probleme der Mathematik in einem verständlichen Sachbuch darzulegen.
Die gute Nachricht vorweg: In diesem Buch über Mathematik kommt nicht eine Formel vor und die häufigsten Zahlen in diesem Werk sind Seitenzahlen. Die schlechte Nachricht hinterher: Auch der formelfreie Text vermittelt Laien nicht, was genau das mathematische Welträtsel ist, um dessen wechselvolle Geschichte und Lösung es in diesem Buch geht.

Der französische Mathematiker Henri Poincaré hatte Anfang des vergangenen Jahrhunderts eine Vermutung formuliert, bei der es um die Geometrie höherer Dimensionen ging, also etwa darum, wie eine Kugeloberfläche in einem vierdimensionalen Raum aussehen könnte. Die Poincaré-Vermutung galt als eines der größten Rätsel der Mathematik. Ganze Generationen von Forschern haben sich vergeblich an ihrem Beweis versucht, bis im Jahr 2002 der russische Mathematiker Grigori Perelman endlich Erfolg hatte.

Für den Autor George Szpiro ist Grigori Perelman der Held des Poincaré-Abenteuers. Ihm hat er sein Buch gewidmet. Perelman hat das mathematische Welträtsel gelöst, so der Untertitel des Buches. Damit aber wurde er zu einem der Stars der heutigen Mathematik. Aber er ist sicher auch einer ihrer unkonventionellsten Vertreter. Für den Beweis der Poincaré-Vermutung sollte ihm die Fields-Medaille verliehen werden, eine Art Nobelpreis der Mathematik. Perelman lehnte ab. Für die Lösung des Problems hatte eine Stiftung ein Preisgeld von einer Million Dollar ausgelobt. Perelman will es nicht haben. Seine Stellung am Institut in Sankt Petersburg hat er gekündigt. Er hat sich völlig zurückgezogen und lehnt Gesprächsanfragen von Journalisten stets ab.

So bleibt Perelman auch für George Szpiro ein Schemen. Zwar zeichnet der Autor konkret nach, wie Perelman gearbeitet hat. Aber sobald es um den Menschen Perelman geht, muss er sich vor allem auf die Gerüchte verlassen, die über diesen offenbar ebenso genialen wie bescheidenen Forscher kursieren.

Das Buch beginnt noch sehr flott mit Perelmans sensationeller Ablehnung der Fields-Medaille und der darüber konsternierten Mathematiker-Schar. Dann geht es zurück ins 19. Jahrhundert des Henri Poincaré. Szpiro schildert die Ausbildung und den beruflichen Werdegang Poincarés, der keineswegs geradlinig verlief. Der begabte Mathematiker hätte beinahe eine große Karriere als Bergwerksingenieur gemacht. Aber er blieb bei der Mathematik und formulierte im Laufe der Jahre seine berühmte Vermutung. Fast die Hälfte des Buches dreht sich dann um die verzweifelten Lösungsversuche dieses Welträtsels im 20. Jahrhundert, die manche Forscher geradezu in den Wahnsinn getrieben haben. Die vielen Anekdoten und Insider-Informationen aus dem manchmal von Eitelkeiten und Intrigen geprägten Mathematiker-Betrieb macht das Buch fast zu einem Abriss eines Teils der modernen Mathematik-Geschichte.

Dass der Autor George Szpiro selbst Mathematiker ist, merkt man dem Buch an. Das ist nicht immer gut. Für Szpiro ist der Beweis der Poincaré-Vermutung ein grandioses Abenteuer. Aber der Versuch, eines der kniffligsten Probleme der Mathematik in einem halbwegs verständlichen Sachbuch darzulegen, ist misslungen. Vielleicht musste es misslingen, schließlich geht es um höchste Mathematik, die Laien nun einmal nicht zugänglich ist. An manchen Stellen streicht sogar Szpiro die Segel und räumt ein, etwas sei schwierig zu verstehen und er verzichte daher auf den Versuch, es zu erklären. So liefert Szpiro auch ohne Formeln sehr harte Kost. Wem Begriffe wie Topologie, Mannigfaltigkeit, Tensor oder Matrix nichts sagen, der wird allenfalls ahnen können, worin die Faszination des Poincaré-Abenteuers liegt.

Rezensiert von Dirk Lorenzen

George G. Szpiro:Das Poincaré-Abenteuer - Ein mathematisches Welträtsel wird gelöst
Aus dem Englischen von Thomas Bertram
Piper 2008
347 Seiten, Preis 19,90 €