Geschichte für junge Leute

Rezensiert von Andreas Baum |
Die meisten Jugendlichen setzen Geschichte mit langweiligen Zahlen und Fakten gleich. Dass Geschichte aus Geschichten besteht und auch für junge Menschen interessant dargestellt werden kann, verdeutlicht Peter Zollinger in seinem Band "Deutsche Geschichte von 1871 bis zur Gegenwart".
Im Handel wird man dieses Buch im Regal für Kinder- und Jugendliteratur finden. Dort könnte es unterbewertet sein, denn es ist zweifellos für Jugendliche geschrieben, aber auch Erwachsene können von ihm profitieren. Peter Zolling erinnert uns wieder daran, dass Geschichte aus Geschichten besteht. Von der ersten Seite an verfällt er in den Tonfall des Erzählers, nicht des Archivars oder des Lehrmeisters. Wann beginnt ein Buch über deutsche Geschichte schon mit dem Satz: "Strahlender Sonnenschein lag über Paris, aber die grimmige Kälte ließ die Bewohner frösteln."

Wenn wir außen vor lassen, ob der Autor wirklich in der Lage war, die meteorologischen Verhältnisse des 18. Januar 1871 zu recherchieren, so vermittelt dieser Satz doch ein Gefühl für die Zwiespältigkeit der deutschen Reichsgründung in Versailles - eine Nation fand ihre staatliche Einheit, eine andere wurde tief gedemütigt. Die Folgen haben das gesamte 20. Jahrhundert bestimmt.

Peter Zolling erzählt die Geschichte der deutschen Staatlichkeit, von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart in einer leicht verständlichen Alltagssprache, die aber nie oberflächlich oder allzu umgangssprachlich wird, vor allem aber - und das ist der Grund dafür, dass dies ein ernst zu nehmendes historisches Werk ist - bleibt er präzise.

Dabei ist die Lektüre auch für Erwachsene unterhaltsam. Wir lernen, dass der letzte deutsche Kaiser wegen seiner Impulsivität "Wilhelm der Plötzliche" genannt wurde und ein so schlechter Verlierer war, dass er Militär-Manöver, bei denen seine eigene Partei nicht gewann, abzubrechen pflegte.

Spätestens ab 1914 wird die deutsche Geschichte dann ernst, aber auch hier gelingt Zolling ein angemessener Stil. Der Massenmord im Zweiten Weltkrieg, der Holocaust und alle anderen Kriegsverbrechen werden ohne Voyeurismus geschildert, aber auch ohne Verharmlosung. Wichtig ist dem Autor immer wieder, die Aufmerksamkeit auf Fragen wie Schuld und Verantwortung, Gewissen und Pflicht zu lenken, wenn es darum geht, wie Deutsche damals und heute mit der Last der Geschichte umgehen.

In den Nachkriegsjahren wird es dann wieder heiterer, aus unverkennbar westdeutscher Perspektive führt uns der Autor über "Plisch und Plum", APO und "Schmidt-Schnauze" elegant in die achtziger Jahre, zum Wettrüsten und der Öffnung des Eisernen Vorhangs. Der Tag der Wiedervereinigung 1990 ist für Zolling offenbar eine Zäsur, mit der eine Entwicklung zu einem vorläufigen Ende gekommen ist, die 1871 begann. Die neunziger Jahre werden nur noch kurz und wenig verbindlich in Form einer Reflexion über "Deutschland in einer neuen Welt" besprochen. Aber es steht dem Autor gut an, dass er die allerjüngste Vergangenheit noch nicht endgültig bewerten will.

Es hätte dem Buch nicht geschadet, mehr Quellen zu zitieren und diese auch zu belegen, etwa Urkunden-Faksimiles abzubilden, denn das ist ebenfalls ein wichtiger Zugang zur Geschichte, auch für Jugendliche. Außerdem fehlt ein Register, um Namen, Orte oder Begriffe im Buch zu finden. Davon abgesehen aber ist dies ein uneingeschränkt empfehlenswertes Buch, das gute Aussichten haben dürfte, ein Standardwerk für Jugendliche zu werden.

Peter Zolling: Deutsche Geschichte von 1871 bis zur Gegenwart. Wie Deutschland wurde, was es ist
Hanser Verlag, München
368 Seiten, 19,90 Euro