Tillmann Bendikowski, geboren 1965, ist Historiker und Journalist. Er ist Verfasser zahlreicher Sachbücher, betreut historische Ausstellungen und ist u.a. als historischer Kommentator im NDR-Fernsehen zu sehen. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Hitlerwetter. Das ganz normale Leben in der Diktatur: Die Deutschen und das Dritte Reich 1938/39" (C. Bertelsmann 2022).
Geschichtspolitik
Der permanente Vergleich mit Hitler kann dazu führen, dass dieser Diktator seinen tatsächlich unvergleichbaren Schrecken verliert, meint Tillmann Bendikowski. © picture alliance/dpa / Michael Heitmann
Warum historische Vergleiche hinken
Hitler, Versailler Vertrag, Napoleon - bei Russlands Angriff auf die Ukraine müssen oft historische Vergleiche herhalten. Dabei können solche geschichtlichen Analogien nur hinken und sogar Schaden anrichten, sagt der Historiker Tillmann Bendikowski.
Er ist wieder da: der historische Vergleich. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind geschichtliche Analogien gefragt wie lange nicht mehr. Dabei, das ist schnell deutlich geworden, wird für den öffentlich vorgetragenen Vergleich mit Vorliebe das grobe historische Werkzeug genutzt, sonst funktioniert es mit der gewünschten Aufregung oder sogar Empörung nicht.
Dafür liegen im Handwerkskoffer der Geschichtspolitik ganz obenauf immer die besonders klotzigen Exemplare: „Hitler“ natürlich, der geht immer, wenn es um moralische Empörung geht. Dicht daneben findet sich der „Versailler Vertrag“ (ein Klassiker, der nicht fehlen darf, wenn Friedensabkommen denunziert werden sollen), und rasch zur Hand ist auch immer noch der gute alte „Napoleon“, wenn es nämlich um kleinwüchsige Männer geht, die ihre Minderwertigkeitskomplexe mit Krieg und Brutalität kompensieren. Keine Frage, solche Vergleiche gehen immer.
Prima Ablenkungsmanöver
Sie zeigen übrigens auch, wie dieses Reden über Geschichte zugleich ein prima Ablenkungsmanöver sein kann. Der historische Vergleich verschafft nämlich in mancher Debatte zunächst etwas Luft, weil er zwangsläufig immer auch von der aktuellen Lage ablenkt: Dann geht es erst einmal um die Vergangenheit und ihre Geschehnisse, ehe dann die Analogien zum Heute hergestellt werden.
Wer angesichts des russischen Krieges lieber nicht von Mord und Deportation in dieser Klarheit sprechen will, versucht sich auf diese Art und Weise rhetorisch in die Büsche zu schlagen und so vor der Verantwortung zu drücken, Verbrechen auch Verbrechen nennen zu müssen: der historische Vergleich als Versteck.
Rhetorische Feinmechanik
Aber zurück zur Werkzeugkiste der Geschichte. Was dort unter den groben Exemplaren des Vergleichs liegt, ist dann eher etwas für die rhetorische Feinmechanik, da wird es dann kompliziert und etwas kleinteilig – für Talkshows ist das eher unbrauchbar. Denn das Publikum weiß ja nicht sofort, was bei diesen Vergleichen nun genau gemeint ist: So wird „Rapallo“ in jüngster Zeit manchmal zitiert – die einen denken dabei sofort an das folgenreiche deutsch-sowjetische Abkommen von 1922, die anderen hingegen womöglich an eine italienische Mondrakete. Rapallo – schwierig.
Oder nehmen wir die gewaltsame Annexion des Königreichs Hannover durch die Preußen im Jahr 1866. Erinnert das nicht frappierend an Wladimir Putin, als der sich 2014 die Krim einverleibte? Wie? Das lässt sich nicht vergleichen? Tja, vielleicht nicht.
Und überhaupt: Was zum Teufel ist eigentlich das Königreich Hannover – und was hat Gerhard Schröder damit zu tun? Und by the way: Hat der nicht, zumindest was die Ästhetik seines politischen Auftretens angeht, verfluchte Ähnlichkeit mit diesem komischen Pinkel-Prinzen aus der Dynastie der Welfen?
Gefahren von Vergleichen
Sie sehen: Alles gar nicht so einfach mit dem historischen Vergleich. Sein Hinken liegt in der Natur der Sache, weil die Geschichte eben nicht identisch ist mit unserer Gegenwart und weil sich die historischen Rahmenbedingungen nicht mit den gegenwärtigen decken.
Die Analogie erklärt dann nichts, aber sie richtet zuweilen Schaden an: So kann der permanente Vergleich mit Hitler dazu führen, dass dieser Diktator seinen tatsächlich unvergleichbaren Schrecken verliert, weil dann irgendwie alles irgendwie „Hitler“ ist. Zugleich kann das historische Argument auch zusätzlichen Schrecken geradezu herbeireden: Wer lange genug vom „totalen Krieg“ redet, bekommt ihn vielleicht dann auch.