Geschichte

"Ich fühle mich nicht als Opfer"

Schriftsteller Walter Kaufmann
Schriftsteller Walter Kaufmann © Picture-Alliance / DPA / Hubert Link
Von Peter Kaiser |
Das Leben des fast 90-jährigen Walter Kaufmann war und ist fantastisch: Jude, Emigrant, Pfirsichpflücker, Soldat, Hafenarbeiter, Reporter und Autor. Es ist mehr als nur ein Leben, das Kaufmann hat, es sind mehrere.
"Ich bin kein Opfer, und fühle mich nicht als Opfer. Werde es hoffentlich nicht mehr sein."
Walter Kaufmanns Blick, der über das Boddenschilf geht, bleibt an den alten Zeesbooten hängen. Die einstigen Segel-Fischereikähne, der Name kommt vom Zees, dem Netz, bringen heute Touristen, die das Fischland/Darss besuchen, von einem Ufer zum anderen. Von einem Ufer zum anderen zu kommen, von einem Leben in ein anderes, das ist dem Schriftsteller Walter Kaufmann bekannt:
"Ich habe am Hafen gearbeitet, ich bin auf Schiffen zur See gefahren, mehr als zweieinhalb Jahre lang. Ich habe als Straßenfotograf, als Hochzeitsfotograf, alles was ich probiert habe war mit dem Ziel, später mal darüber schreiben zu können."
Walter Kaufmann, der eigentlich Jizchak Schmeidler heißt, seine Mutter war eine jüdische Verkäuferin in Berlin, hatte bei den Adoptiveltern in Duisburg, einem Anwaltsehepaar, eine schöne Kindheit. Bis Anfang 1939.
"Ich bin an meinem 15. Geburtstag, also am 18. Januar 1939, aus Deutschland entkommen mit einem Kindertransport."
Eineinhalb Jahre ist er in Großbritannien, dann wird er als feindlicher Ausländer nach Australien gebracht wird, und dort erneut interniert. Doch der Aufenthalt im Lager und das Land Australien hinterlassen keine schlimmen Spuren.
"Ich habe im Internierungslager mehr gelernt als je auf einer deutschen Schule. Die klassische Grundbildung in englischer und deutscher Literatur kommt aus dem Lager, weil die Lehrer, die es dort gab, Universitätsprofessoren waren."
Walter Kaufmann siedelt in die DDR über
Walter Kaufmann bleibt 16 Jahre lang in Australien, seinen australischen Pass wird er nie abgeben. Er arbeitet auf Schiffen, Farmen, am Hafen und schreibt an seinem ersten Roman. Der Roman heißt "Stimmen im Sturm", und wurde in Australien und in vielen anderen Sprachen gebracht, und 1953 zum ersten Mal in Australien veröffentlicht. "Stimmen im Sturm" erzählt - so heißt es im Klappentext der deutschen Ausgabe von 1977 - "von Kaufmanns Eindrücken und Erfahrungen seiner eigenen Jugend, die er bis kurz vor Ausbruch des Krieges in Deutschland verbrachte." 1957 siedelt Walter Kaufmann sehr bewusst in die DDR über:
"Ich habe drei Gründe dafür gehabt. Zunächst einmal die klaren politischen Gründe in einem sozialistischen Deutschland leben zu wollen. Aber der Grund auch, warum ich nicht in Westdeutschland geblieben war, ist, weil ich in Duisburg die misslichsten Erfahrungen hatte. Ich hatte versucht wieder anzuknüpfen dort, wo ich hergekommen bin. Und in dem Haus in der Prinz-Albrecht-Straße, was meinen Eltern gehörte, wurde mir die Tür kaum geöffnet. Es war überall das Selbe. In der Praxis meines Vaters praktizierte ein deutscher Anwalt inzwischen, der den markanten Satz von sich gegeben hat: "Es war ja nicht nur eine religiöse Frage, doch wohl eine Rassenfrage, Herr Kaufmann."
Walter Kaufmann reist daraufhin als Journalist in der Welt umher. Er ist da, wo im wahrsten Wort "die Luft gerade brennt":
"Aus ganz klar abgesteckten Gründen habe ich Reportagen machen dürfen in Amerika. Die letzte war der Angela-Davis-Prozess in St. Francisco, die erste Reise war als Kennedy ermordet wurde. Am nächsten gekommen ist mir die Mississipi-Reise, als die drei Bürgerrechtskämpfer dort ermordet wurden. Ach so, als Martin-Luther-King ermordet wurde, war ich in Memphis/Tennessee."
Fast jedes Jahr erscheint zudem ein Roman von ihm. Noch heute gilt er als einer der am meisten gelesenen DDR-Schriftsteller, wie etwa Christa Wolff oder Stephan Hermlin. Die Stoffe seiner Erzählungen sind sein Leben selbst und sein Schicksal als jüdischer Emigrant. Vielfach ausgezeichnet, blickt er auf ein großes literarisches Oeuvre zurück. Und über den Bodden des Hauses am Darss. Auf die Frage, wenn er rückblickend im kommenden Januar zu seinem 90. Geburtstag ein Lebensfazit ziehen soll, sagt er:
"Das Leben war gut zu mir. Ich bin kein Opfer. Und fühle mich nicht als Opfer, und werde es hoffentlich nicht mehr sein. Mehr nicht."
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