"Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen"
Viele Regisseure haben in ihren Werken das Ende des Zweiten Weltkriegs geschildert oder zumindest entscheidende Wendepunkte illustriert, die zum Ende führten. Ein Standardwerk zum Kriegsausbruch aber fehlt.
Eigentlich haben Kriegsfilme immer Konjunktur. Das Ende des Zweiten Weltkriegs wurde tausendfach in Szene gesetzt. Doch mit dem Kriegsbeginn tun sich die Filmemacher schwer. Auch wenn Ernst Lubitsch bereits 1942 in Hollywood seine Nazi-Parodie "Sein oder Nichtsein" drehte. Diese spielt in Warschau, wo eine Schauspieltruppe kurz vor Kriegsbeginn eine antifaschistische Komödie probt. Die Regierung jedoch möchte einen Konflikt mit dem Hitlerregime vermeiden. Das Stück wird abgesetzt und stattdessen Shakespeares "Hamlet" gespielt. Allerdings wird das Stück gestört, da sich die Frau des Hauptdarstellers mit einem jungen Fliegerleutnant verabredet. Dieser nutzt allabendlich die Monologstelle "Sein oder Nichtsein", um sich aus dem Zuschauerraum zu erheben. Als die Affäre aufzufliegen droht, überfallen die Nazis Polen.
"Bombengeräusche. Der Vorhang ist gefallen. Das Theater ist leer. Aber jetzt wird ein ganzes Land zur Bühne. Der Feind führt die Regie, und keine Zensur kann das Stück ablehnen. Und die Schauspieler? Sie werden wieder spielen. Aber jetzt werden sie spielen, weil sie müssen. Nicht um Geld, nicht um die Gunst des Publikums, sondern um ihr Leben."
Krieg und Humor
Noch vor Lubitsch reagiert Charlie Chaplin 1940 auf den Größenwahn Hitlers. Seine Satire "Der große Diktator" handelt von dem Diktator Hynkel - unverkennbar Adolf Hitler - der im fiktiven Tomanien die Invasion des Nachbarlandes vorbereitet. Wobei er davon träumt, die Welt zu beherrschen. Grandios sind vor allem Chaplins Rede vor dem Parteivolk sowie sein Tanz mit der Weltkugel zum Vorspiel von Wagners Lohengrin. Bis ihm die Weltkugel in den Händen zerplatzt.
Allerdings ist Humor ein gewagtes Mittel, um einen Kriegsbeginn zu beschreiben. Chaplin meinte später, er hätte den Film nicht machen können, wenn er von den Gräueltaten der Nazis gewusst hätte. Als Drama inszenierte die kürzlich verstorbene Helma Sanders-Brahms 1979 "Deutschland, bleiche Mutter" die Liebesgeschichte von Lene und Hans, gespielt von Eva Mattes und Ernst Jacobi. Die beiden lernen sich 1939 kennen und heiraten just als der Krieg beginnt. Das Eheleben der beiden hat noch gar nicht begonnen, da wird Hans zur Wehrmacht eingezogen. "Deutschland, bleiche Mutter" thematisiert den Anfang des Kriegs noch am deutlichsten. Und er bedeutet Eva Mattes bis heute sehr viel.
"Weil das ist ein Film, der ist exemplarisch für das, was in Deutschland passiert ist damals ... Es handelt von einer Frau, die durch diesen Krieg geht und ihr Leben meistert in diesem Krieg. Ganz unschuldig. Sie sind keine Nazis. ... Je schlimmer es wird, desto stärker wird sie. Und sie trägt ihr Kind auf den Schultern mit Stöckelschuhen durch Berlin. ... Helma spricht auch selber in diesem Film, ... weil es ist die Geschichte ihrer Mutter, ihrer Eltern und es ist die Geschichte von ihr als Kind."
Ernsthaft und episch
Ähnlich ernsthaft, aber episch ausschweifend, schuf Hans Jürgen Syberberg in den 70er-Jahren sein Opus Magnum "Hitler - Ein Film aus Deutschland". Syberberg formte mit einer gigantischen Collage ein Gesamtkunstwerk der deutschen Kultur: Bestehend aus Gemälden von Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge, Bildern von Winterlandschaften, Greta Garbo und der Reichskanzlei. Dazu hört man Wagners Musik, Gedichte von Heinrich Heine sowie Rundfunkaufnahmen. Allerdings geht der Kriegsbeginn selbst ziemlich unter. Zudem lässt Syberberg, der Bunkerfilme wie "Der Untergang" ablehnt, Hitler nur kurz und schemenhaft auftauchen oder als sitzende Puppe.
"Mir war klar, dass Hitler immer besser war als jeder Schauspieler. Ich meine, Bruno Ganz hat das wirklich annähernd sehr gut gemacht, auch artifiziell gut gemacht. Wenn man das will. Aber ich wollte das eben nicht. Ich wollte einen Hitler nicht mit sich selbst konkurrieren lassen. Also einen gespielten Hitler nicht mit dem uns bekannten."
Auch Rainer Werner Fassbinder vermied es, Hitler zu zeigen. Er erzählt vom Kriegsbeginn, in dem er frei die Geschichte der Sängerin Lale Andersen und des Liedes "Lili Marleen" schildert. Auch wenn die Protagonistin bei Fassbinder Willie Bunterberg heißt.
Die Orchesteraufnahme mit Lale Anderson entstand am 1. August 1939, ein Monat vor Kriegsbeginn, und wurde zum grenzenlosen Welterfolg. Fassbinders Film handelt vom Siegeszug des Liedes sowie der Liebe zwischen Willie Bunterberg, gespielt von Hanna Schygulla, und dem jüdischen Schweizer Komponisten Robert Mendelsson, der versucht, Juden zu retten. Während der Erfolg von Lili Marleen immer größer wird, vermischen sich die Klänge des Liedes mit den Bombenexplosionen. Doch ob Deutsches Kino oder Hollywood, eine filmische Abrechnung lässt sich mit Kriegstreibern deutlich schwieriger machen, wenn man vom Anfang erzählt. Noch ist die Zerstörung überschaubar, glauben viele Menschen an die Propaganda, den Sieg und hoffen auf bessere Zeiten. Am Ende gibt es keine Ausreden mehr.