Karl soll "der Große" bleiben
Er war ein gnadenloser Kriegsherr, ein großer Reformer, Lebemann und Kunstliebhaber: Karl der Große. Kunsthistoriker Horst Bredekamp meint, der Herrscher habe den Beinamen "Der Große" wegen seiner Bildungsreformen verdient. Es sei eine große Leistung für die Nachwelt.
Nana Brink: In den nächsten Minuten gehen wir mal 1.200 Jahre zurück, vielleicht noch ein bisschen länger, 814 nämlich starb Karl der Große in Aachen, der Frankenherrscher, der Kriege quer durch den Kontinent geführt hat und dessen Reich sich von den Pyrenäen bis zur Donau und von Süditalien bis zur Nordseeküste erstreckte, unwahrscheinlich in damaliger Zeit. Ein großer Herrscher also, ein ebenso großer wie gnadenloser Kriegsherr, aber auch ein großer Reformer.
Kunstbesessen, ein Lebemann mit fünf Ehefrauen, mehreren Mätressen und 18 Kindern. Eine Figur also wie geschaffen für die Mythenbildung. Und anlässlich seines Todesjahres widmet die Stadt Aachen ihrem Karl eine dreiteilige Ausstellung unter dem Titel: "Karl der Große. Macht, Kunst, Schätze". Und die eröffnet Bundespräsident Joachim Gauck heute.
Horst Bredekamp ist Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin und hat ein Buch über Karl den Großen und seine politische Inszenierung geschrieben, "Der schwimmende Souverän" heißt es. Schönen guten Morgen, Herr Bredekamp! Hallo, Herr Bredekamp? Schönen guten Morgen, Herr Bredekamp, hallo!
Horst Bredekamp: Ja, guten Morgen!
Brink: Ja, jetzt habe ich gedacht, ich hätte Sie fast verloren! Trägt Karl den Beinamen "Der Große" zu Recht?
Bredekamp: Ja, dieser Beiname ist umstritten, wird es möglicherweise immer sein. In der jüngeren Zeit gibt es die Tendenz, ihm diesen Beinamen wieder abzusprechen aufgrund vor allem seiner wohl militärischen Taten, sagen wir es so. Ich bin der Meinung, er sollte diesen Titel behalten, nicht allein aufgrund des riesigen Reiches, das er zusammengebracht hat, sozusagen territorial, sondern aufgrund seiner starken Bildungsreformen, die er eben auch initiiert hat. Von der Antike wüssten wir nur einen Bruchteil, wenn er nicht diese Reformen eingeleitet hätte. Und darin liegt eine gewaltige Leistung, nicht nur für seine Zeit, sondern auch die Nachwelt. Deswegen, für mich bleibt er der Große.
Brink: Es ist schon immer so schwierig mit diesen Etiketten, viele sagen ja auch, er ist der Vater Europas, obwohl der Gedanke Europas damals ja überhaupt gar nicht virulent war. Das ist ja so ein bisschen, wenn wir von heute darauf gucken!
"Er musste überzeugen"
Bredekamp: Ja, das ist ebenso umstritten und differenziert zu betrachten. Der Begriff Europa fällt mehrfach, in dem Paderborner Epos dieser wunderbare Begriff, das Bild vom Leuchtturm Europas. Das ist bereits zu Lebzeiten, also in diesem Fall wohl 801, vielleicht sogar anlässlich des Besuchs des Papstes bereits ... Europa war ein geistiger Begriff, kirchlich gemünzt, aber es wurde auch benutzt in Abgrenzung gegenüber Asien. Und für meinen Begriff ähnlich wie bei dem Beititel "Der Große": In dem Moment, in dem der Begriff abgegrenzt wird, hat er eine innere Berechtigung. Und in dem Punkt würde ich ihn doch als eine Größe Europas nach wie vor bezeichnen mögen.
Brink: Groß hat ja auch immer was mit Macht zu tun, genau darüber haben Sie ja Ihr Buch geschrieben. Wie hat Karl der Große denn seine Macht zelebriert?
Bredekamp: Das ist ebenfalls nur in einer Art Ambivalenz zu sehen. Er hat für die Regierung dieses Riesenreichs nicht über einen Stab, eine Amtsgewalt verfügt, wie wir es von den modernen Staaten her kennen. Er musste überzeugen. Dazu gab es die jährlichen Versammlungen. Und er hat sehr stark durch seine körperliche Präsenz wie auch durch Inszenierung regiert und ein Vertrauen geschaffen und eine Verbindlichkeit des Zusammenlebens, Zusammenwirkens, natürlich auch durch seine militärische Macht, das ist überhaupt keine Frage. Aber jenseits des Militärs ein komplexes Zusammenspiel von körperlicher Präsenz mit visuellen und dann natürlich auch schriftlichen Inszenierungen.
Brink: Wenn Sie sagen, er musste überzeugen, er musste präsent sein, dann ist das ja etwas, was wir uns manchmal wünschen auch für die heutigen Politiker, oder die Inszenierung, die ja auch heute viele Politiker benutzen. Ihr Buch hat ja den ganz interessanten Titel "Der schwimmende Souverän". Was hat es denn mit dem Schwimmen auf sich?
Bredekamp: Ich habe das natürlich im doppelten Sinne gemeint, eben schwimmend in dem Sinne, dass er über keine staatlichen strengen Institutionen kannte, wie wir mit ihnen konfrontiert sind. Er hat geschwommen, sein Berater und Freund Einhard hat in der Biografie über Karl den Großen eben in vier markanten Sätzen davon berichtet, dass er regelmäßig schwamm, begeistert schwamm, dass er der beste Schwimmer seines Reiches war. Das aus diesem Grund, weil in Aachen eben die warmen Quellen das Schwimmen ermöglichten, Aachen überhaupt zur ständigen Pfalz wurde. Und dass er mit dem engsten Kreis seines Hofstaates gemeinsam, beginnend mit den Söhnen, eben regelmäßig schwimmen ging. Das war der Ausgangspunkt.
Religionspolitische Gespräche in den Thermen
Brink: Das hat das was zu tun wie diese Saunagänge, die wir ja auch von anderen Politikern kennen, dieses Gemeinschaftsgefühl?
Bredekamp: Ja, das wird berichtet durch Alkuin zum Beispiel, der wie die antiken Senatoren in Rom eben sehr tiefe Gespräche, theologische, aber auch politische, auch religionspolitische Gespräche mit Karl in den Thermen hat. Diese antike Tradition der Disputation, der Erörterung, der zugleich Gelassenheit, aber auch des Ernstes im Bad, das hat Karl offenbar ebenso inszeniert und eingesetzt wie das effektive Schwimmen, wie wir es kennen.
Brink: Auch die Inszenierung, dass er sich selbst inszeniert hat, auch als starker Mann, das kennen wir ja auch von heutigen Politikern.
Bredekamp: Ja, man braucht das kaum zu benennen, dass die beiden möglicherweise wichtigsten Herrscher dieser Welt sich sehr stark körperlich inszenieren, in erster Linie natürlich Putin, und wir kennen die Bilder auch, als wirklich guter Schwimmer, dasselbe aber auch Obama, der sich auch als Schwimmer mehrfach präsentiert hat. Die Präsenz benötigt neben der Sprache, neben der Rhetorik auch eine leibliche Darstellung, Darbietung, die eine gewisse Überzeugungskraft hat und die mit der Rede in Einklang stehen soll. Es gibt viele Beispiele einer geradezu politischen Ikonologie des Schwimmens zu unserer Zeit, Beppe Grillo, der Leiter der Fünf-Sterne-Bewegung, ist von Sizilien zum Festland geschwommen als Auftakt des Wahlkampfes, auch seine Bewegung überhaupt. Der wichtigste Schwimmer vermutlich der Neuzeit war Mao Zedong, der darüber seine Stärke inszeniert hat.
Brink: Herzlichen Dank, Horst Bredekamp, Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin. Also ab ins Schwimmbad, möchte man dann den Politikern zurufen! Schönen Dank, Herr Bredekamp, für das Gespräch! Und heute wird in Aachen die Ausstellung "Karl der Große. Macht, Kunst, Schätze" vom Bundespräsidenten eröffnet.
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