Karin Schneider-Ferber: Aufstand der Pfeffersäcke. Bürgerkämpfe im Mittelalter
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2014
240 Seiten, 24,95 Euro
Wutbürger im Mittelalter
Dass es heute Wutbürger gibt, ist mitnichten ein modernes Phänomen: Schon im Mittelalter gab es Bürger, die sich nicht alles gefallen lassen wollten. Das waren vor allem die Wohlhabenden. Denen ging es oftmals vor allem um etwas ganz Bestimmtes: Die Sicherung ihrer Privilegien. Die Journalistin Karin Schneider-Ferber nimmt ihre Leser mit auf eine Reise durch die Jahrhunderte, leider hat sie dafür ein Buch geschrieben, dass es nur wenigen Lesern recht macht.
Wenn Bürger sich erheben, tun sie das meist in Städten. Seit Stuttgart 21 gibt es für Städter, die sich nicht alles gefallen lassen, ein neues Wort: "Wutbürger".
"Ein neuer gesellschaftlicher Trend? Von wegen. Zornerfüllt und waffenklirrend, lärmend und gewaltbereit – so standen aufgebrachte Bürger schon in den mittelalterlichen Städten vor ihrer Obrigkeit."
So neu das Wort, so alt das Phänomen, behauptet Karin Schneider-Ferber. In den Protestbewegungen der mittelalterlichen Städte meint sie das "Urbild des Wutbürgers" zu erkennen. "Aufstand der Pfeffersäcke" – der Titel ihres Buchs verrät, dass es vor allem die wohlhabenden Kaufleute und Handwerker waren, die sich auflehnten.
Die zehn Aufstände, die die Journalistin vorstellt, reichen vom Hochmittelalter um das erste Jahrtausend bis in die Reformationszeit, als in Münster radikale Täufer den religiösen Protest wagten.
"'Leipzig und sein Ringen gegen die Wettinischen Landesherren'
'Erfurts aufmüpfiger Handwerkerstand'
'Braunschweigs Konflikt mit der Hanse'"
'Erfurts aufmüpfiger Handwerkerstand'
'Braunschweigs Konflikt mit der Hanse'"
– so einige Untertitel der Kapitel. Meist ging es um Geld, das den Städten von ihren Machthabern abgepresst werden sollte. In Worms erregte etwa 1231 der Bischof Heinrich den Zorn der Bürger, weil er der Stadt die Reisekosten für seine Alpenüberquerung in Rechnung stellen wollte.
In Ulm wiederum wurde am 4. Juli 1376 der Schwäbische Städtebund gegründet: Die Städte setzten sich damit ursprünglich gegen Geldforderungen von Kaiser Karl IV zur Wehr – gut zehn Jahre später kam es dann zum verheerenden "Städtekrieg" gegen die bayerischen Herzöge.
Beispiele weit gestreut
Der früheste der dokumentierten Aufstände fand in Köln statt, wo die Bürger am selbstherrlichen Auftreten ihres Erzbischofs Anstoß nahmen: Anno II. hatte im Jahr 1074 kurzerhand ein Kaufmannsschiff beschlagnahmen lassen, als Rückfahrmöglichkeit für einen Gast.
Die Beispiele sind in Zeit und Raum weit gestreut. Eine These allerdings, welche die verschiedenen Stadtrevolten zu einem Narrativ bündeln könnte, findet sich erst im Nachwort.
"Für das Entstehen der modernen Zivilgesellschaft ist der Beitrag der mittelalterlichen Städte nicht zu unterschätzen."
So dünn wie diese These ist auch die Beweisführung. Wie die Autorin selbst eingesteht, ging es den Pfeffersäcken weniger um Demokratie, sondern vor allem um den Erhalt von Pfründen und Macht.
Von einer Zivilgesellschaft in unserem Sinn dürfte es in den Städten des Mittelalters noch kaum eine Vorstellung gegeben haben. Die Stadt war ein Schicksalsort, die Mehrheit der Bürger verbrachte in ihrer Geburtsstadt ihr ganzes Leben. Von den Beschlüssen der Ratsherren hingen daher Wohl und Wehe des ganzen Hausstandes ab.
Vom Alltagsleben in den Städten des Mittelalters allerdings erfährt man in Karin Schneider-Ferbers sprödem und unübersichtlichem Text kaum etwas. Nur selten liest man Beschreibungen wie diese, über die Wohnverhältnisse der Armen, deren Anteil in der 8000-Einwohnerstadt Wismar Ende des 14. Jahrhunderts 60 Prozent betragen haben soll:
"Die Handwerker lebten und arbeiteten unter dürftigen Umständen in nur einem oder zwei Räumen und verkauften ihre Waren gleich vor Ort auf nach unten schlagbaren hölzernen Fensterläden, die als Verkaufstische dienten. Wer mittellos war, quartierte sich noch schlichter in einräumigen, dunklen Wohnkellern ein, die lediglich ein bescheidenes Nachtlager boten."
Das neue städtische Selbstbewusstsein der Widerständigen war eine Sache der Bessergestellten: der reichen Kaufleute also und der Zünfte.
"Für einen aus eigener Kraft zu Wohlstand gekommenen Händler oder Handwerker waren Formen der persönlichen Abhängigkeit nur mehr schwer erträglich."
Nicht jeder Aufstand ist gleich gut dokumentiert
Viele Aufstände folgten dem gleichen Modell:
"Dem bewaffneten Auflauf vor dem Rathaus folgte in der Regel die Bildung eines Ausschusses der Bürgergemeinde, der die Beschwerden der Obrigkeit vortrug und die Übergabe der Insignien der Macht – Siegel, Stadtkasse, Torschlüssel, Sturmglocke, Stadtbanner und Rechtsbuch – verlangte."
Oft erreichten die Aufständischen, dass sie in die Stadtregierung aufgenommen wurden, bisweilen wurde auch eine neue Stadtverfassung erstellt. Konnte jedoch keine Einigung erreicht werden, floss Blut: Missliebige Bürgermeister wurden geköpft, Rebellen erhängt, viele Bürger im Tumult erschlagen.
So interessant und dramatisch die einzelnen Fallgeschichten auch sind – ein historisches Tableau will sich aus den zehn Beispielen nicht ergeben. Nur teilweise ist dieser Mangel auf die Quellenlage zurückzuführen: Nicht jeder Aufstand ist in den Chroniken gleich gut dokumentiert, und über das Schicksal der Rädelsführer ist oft kaum etwas bekannt.
Das eigentliche Problem jedoch liegt in der Schreibweise von Karin Schneider-Ferber. Vergeblich sucht man ein Gespür für die Zeit, in der man sich als Leser gerade befindet. Auch der Umgang mit Quellen berührt eigenartig: Die Chroniken werden in einem altertümelnden Deutsch wiedergegeben:
"In der Jahrzahl unseres Herren, in dem 1368 Jahr am nächsten Montag nach Simonis und Juda, da kam ein groß Volk gewappnet auf den Perlach und sprach, sie wollten eine Zunft haben und wollten die haben mit gutem Frieden und sollte niemand fürchten weder Leibes noch Gut, sie wollten nun Recht tun."
- so in der Augsburger Chronik. Um wessen Übersetzungen aus dem Lateinischen oder Mittelhochdeutschen es sich bei solchen Zitaten jeweils handelt, erfahren wir nicht.
Zwischen die Schilderungen der einzelnen Aufstände sind Erklärungen eingeschoben, die als Ersatz für eine historische Systematik herhalten müssen. Doch die Texte zu Begriffen wie "Hanse", "Zünfte" oder "Ratsherren" sind zu oberflächlich, als dass sie ein Verständnis für die gesellschaftlichen Kräfte des Mittelalters ermöglichen würden.
Das Buch macht es keinem Leser Recht: Wer sich im Mittelalter auskennt, findet wenig Neues. Und wer das Buch aufschlägt, um etwas über das Leben in den mittelalterlichen Städten zu erfahren, verliert sich in den Details.