Hassan Blasim: Der Verrückte vom Freiheitsplatz und andere Geschichten über den Irak
Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich
Verlag Antje Kunstmann, München 2015
256 Seiten, 19,95 Euro
Zermürbtes Land voller traumatisierter Menschen
Der irakische Autor Hassan Blasim bekam im vergangenen Jahr den britischen Foreign Fiction Prize - dabei hat er bisher nur zwei Kurzgeschichten-Sammlungen veröffentlicht. Rezensent Stefan Weidner kritisiert, dass Gewalt in seinen gefeierten Stories zum Selbstzweck wird.
Es kommt selten vor, dass die britische Literaturkritik ein arabisches Buch feiert, doch dem Iraker Hassan Blasim ist im letzten Jahr genau dies passiert. Er erhielt den renommierten Foreign Fiction Prize und gilt seither als einer der herausragenden Vertreter der irakischen Literatur. Tatsächlich hat der 1973 geborene Filmemacher jedoch erst zwei Kurzgeschichten-Sammlungen veröffentlicht. Beide sind jetzt in einem Band gesammelt unter dem Titel "Der Verrückte vom Freiheitsplatz" auf Deutsch erschienen.
Blasims makabre, von großer Zerrissenheit zeugende Geschichten über die Brutalitäten und Verrohungen in Irak und die Leiden von Flucht und Exil reihen sich ein in eine ganze Serie von Büchern aus der irakischen Literatur, die in den letzten Jahren auf Deutsch erschienen sind. Sie alle präsentieren uns ein von ständiger Gewalt zermürbtes Land voller traumatisierter Menschen.
Für Autoren sind diese Erfahrungen ein unerschöpflicher Schatz an Geschichten – und zugleich eine große Bürde. Denn wie kann man von solchem Leid erzählen, ohne den Voyeurismus der Leser zu bedienen, ohne auf billige Weise die Traumata der Figuren auszubeuten? Blasims Prosa ist ganz besonders von diesem Dilemma geprägt, aber anders als vielen anderen Autoren gelingt es ihm leider nicht, eine schlüssige Lösung dafür zu finden.
Viel Blut und viel obszöne Sprache
Selten haben wir in der irakischen Literatur so viel Blut spritzen sehen, so viel obszöne Sprache gelesen, so viele Tote reden gehört. Blasim versucht, möglichst nah am Grauen der irakischen Wirklichkeit zu bleiben, liefert dann aber einen Horrorfilm, in welchem der Schrecken zum Selbstzweck wird. Blasim ahnt diese Gefahr, aber er weiß nicht, wie ihr mit literarischen Mitteln zu begegnen wäre. Stattdessen versieht er seine Geschichten mit Kommentaren.
So heißt es an einer Stelle, nachdem eine schlüpfrige Anekdote über das Geschlechtsteil einer Selbstmordattentäterin dargeboten wurde, welches nach der Explosion auf dem Stand eines Fischhändlers landet: "Diese Art Geschwafel ist das Resultat einer langen Geschichte von Gewalt, Unterdrückung und Zerstörung. Es ist primitives, tribales Gesabber, das sich hinter geschmacklosem, irrwitzigem Gelächter versteckt."
Überdrehter magischer Realismus
Es scheint, als traute sich der Autor nicht, den Leser entscheiden zu lassen, wie er diese Anekdote findet. Blasims etwas hilflose Mischung aus Moral und Faszination für das Böse erinnert an die Erzählungen von "Tausendundeine Nacht". Er fällt damit weit hinter die Errungenschaften der arabischen Literatur der Gegenwart zurück.
Man kann diese vierundzwanzig Stories als expressionistische Darstellung der irakischen Wirklichkeit lesen. Aber die permanente Verwandlung dieser Wirklichkeit in einen überdrehten magischen Realismus führt dazu, dass man dem Autor bald nicht mehr traut. Statt einen Einblick in die Traumata von Irakern und von Flüchtlingen zu gewinnen, ertrinkt man in Effekthascherei. Wer an einer Splatterästhetik Vergnügen hat, die sich am Leiden der anderen entzündet, mag hier auf seine Kosten kommen. Alle anderen dürfen sich ärgern, dass es ausgerechnet diesem Buch gelungen ist, sich auf dem Markt und bei den Kritikern durchzusetzen!