Geschichten der Liebe

Die Handlung in Torben Guldbergs "Thesen über die Existenz der Liebe" setzt im 16. Jahrhundert ein. Durch fünf Jahrhunderte treibt ihn die Frage, was Liebe ist. Er sammelt Geschichten über Liebende, deren Handeln an bestimmte Ereignisse gebunden ist.
Eine Sprache der Liebe muss subversiv sein, da ihr kein "sicheres Zeichensystem" zur Verfügung steht, schrieb der französische Philosoph und Semiotiker Roland Barthes 1977 in "Fragmente einer Sprache der Liebe". Klassische Liebesgeschichten wie "Romeo und Julia", "Tristan und Isolde" oder "Orpheus und Eurydike" tragen diesen Sprengsatz in sich. Denn Liebe lässt die bestehende Ordnung aus dem Takt geraten und entzieht sich jeder Herdengeselligkeit.

Das Romandebüt des Dänen Torben Guldberg (Jahrgang 1975) scheint an diese Überlegungen anzuknüpfen. Doch während sich Barthes’ Fragmente jeglicher Handlung verweigern, bildet in Guldbergs Roman die Liebe in Aktion das Zentrum. Und da die Liebe ein Jahrtausende altes Phänomen ist, scheint es angemessen, dass sein Erzähler bereits zu Romanbeginn über 500 Jahre alt ist. Er ist ein rastloser, unstet umherziehender Geschichtenerzähler, dem die Liebe eine "Vibration im Weltall" ist - eine Kraft, die stärker ist als der Mensch selbst.

Die Handlung setzt im 16. Jahrhundert, an der Schwelle zur Neuzeit ein. Guldbergs Erzähler fühlt eine Zeitenwende kommen. Die Menschen wollen ihm nicht mehr zuhören, und so beschließt er, sie selbst sprechen zu lassen. Indem er ihre Geschichten der Liebe sammelt, wird er zum Chronisten, denn mit der neuen Zeit kommt auch das Archivieren von Gedankengut in Mode.

Getrieben von der Suche nach der Liebe in einer "ungebundeneren, unpersönlicheren, allgemeinen Form" durchschreitet er mit riesigem Tempo fünf Jahrhunderte. Im Zentrum jedes Jahrhunderts stehen Liebende, deren Handeln an bestimmte Ereignisse gebunden ist. Für Frans und Amalie ist es die unio mystica in der Musik (16. Jahrhundert), während der Maler Gregarius vergeblich versucht, die Seele seiner Geliebten zu zeichnen (17. Jahrhundert).

Hans fiebert danach, das Wesen des Lichts zu erforschen und lässt dabei mit Hilfe Almas Kopenhagen in Flammen aufgehen (18. Jahrhundert), während der Philosoph Diderik Uffe Grønlev von der Gedankenwelt Kants, Schopenhauers und Nietzsches fasziniert ist, aber doch auf der Couch Freuds landet, um sich nach gründlicher Psychoanalyse zu fragen, ob er überhaupt gelebt hat (19. Jahrhundert). Henrik Øberg Pingmann schließlich ist ein moderner Liebender, der in der Jetztzeit lebt. Als "makroökonomischer Therapeut" rechnet er Pernilles Liebe in Aktienwert um.

Wie ein Magier jongliert Guldberg mit einer Fülle von Zeiten, Personen, Ereignissen. Er macht Fakten und Daten erzählbar, indem er sie mit Liebesschicksalen füllt. Hemmungslos fabuliert und erfindet er in einer Sprache, die von anrührender Sinnlichkeit ist.

Torben Guldbergs "Thesen" sind ein faszinierendes Plädoyer für das Erzählen in der Literatur. Oder wie es im Prolog des Erzählers heißt: "Ich war zornig über die Erkenntnis, dass es mich vierhundert Jahre gekostet hatte zu lernen, den Mund zu halten und ihnen zuzuhören. Und weitere 500 Jahre, um zuzuhören, wenn ich rede."

Besprochen von Carola Wiemers

Torben Guldberg: Thesen über die Existenz der Liebe
Roman, S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2010, Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg, 462 Seiten, 19,95 Euro