Geschichten über geplagte Kinder
In 17 berührenden Prosastücken erzählt die amerikanische Autorin Paula Fox von kindlichen Schrecken und Ängsten - und wie von der Traurigkeit und den Ängsten Erwachsener.
"Es ist nicht unzumutbar, in dieser Welt zu humpeln", zitiert Paula Fox den Direktor einer New Yorker Privatschule, an der sie Ende der 60er-Jahre lernschwache Kinder aufs College vorbereiten soll. Die Schüler haben ihre ehrgeizigen Eltern enttäuscht und nicht die Noten erreicht, die man von ihnen erwartete. Die amerikanische Autorin porträtiert diese Kinder, die nicht können oder wollen, was ihre Eltern für sie und von ihnen wollen. Sie erzählt außerdem von ihren Erfahrungen in einem Heim für verwahrloste Kinder zehn Jahre zuvor und von Begegnungen kurz nach dem Krieg mit Kindern, die das KZ überlebt haben. Diesen so verschiedenen und verschieden geplagten Kindern ist gemeinsam, dass sie von der Gemeinschaft ausgestoßen wurden. Und gerade deswegen verdient ihr Leben, genau und ernsthaft be¬schrieben und behandelt zu werden.
Den Ausgangspunkt für den Vortrag "Antworten ohne Fragen" (den Paula Fox 1988 hielt, und der hier – wie alle anderen Prosastücke in "Die Zigarette und andere Stories" – zum ersten Mal auf Deutsch erscheint) findet die Autorin in dem Gebrauch des Wörtchens "irgendwie". Dieses Füllwort vermeide die Konfrontation mit dem Wirklichen, verhindere Empathie und fördere Verlogenheit. Sie illustriert das an einer negativen Rezension eines ihrer Romane, in der es heißt, sie böte den kindlichen Lesern keine positiven Anleitungen zur Problembewältigung. Was Literatur, was Erziehung sein sollte und warum sozialwissenschaftlich gefärbte Sprache nicht allein ein stilistisches Grauen ist, das führt Paula Fox hier auf kluge Weise vor.
In den 17 Prosastücken vermischt sie immer wieder Fiktion und Biografie, macht das eigene Leben eindrucksvoll, aber niemals eindeutig zum Material der Literatur. Kindliche Erfahrungen und Em¬pfindungen spielen eine große Rolle, denn Paula Fox ist auch eine bedeutende Kinderbuchautorin. Von kindlichen Schrecken und Ängsten erzählt sie ebenso berührend wie von der Traurigkeit und den Ängsten Erwachsener. Da führt ein scheinbar emotionsloser Mann seine Exfrau und die gemeinsame Tochter nach der Beerdigung des Sohnes in ein Kino, wo er plötzlich laut zu schreien beginnt. Am Strand sehen Kinder fassungslos zu, wie einem Huhn, das sich gerade noch vertrauensvoll in den Arm seines Mörders schmiegte, der Hals umgedreht wird und verlieren bei diesem Anblick jedes Vertrauen in die Welt. Eine Zugehfrau, die sich in einen Sommergast verliebt hat, spürt zum ersten Mal dessen Hände auf ihrem Körper und danach "waren mir meine Kinder fremd, und der Name meines Mannes schmeckte im Mund wie Metall".
Paula Fox beschwört und beherrscht die Kraft der Literatur – in ihren Romanen ebenso wie in diesen kurzen Geschichten und Essays, die nicht zuletzt eine Studie der Genauigkeit sind: Im Umgang mit Gefühlen ebenso wie mit Wörtern.
Besprochen von Manuela Reichart
Paula Fox: Die Zigarette und andere Stories
Aus dem Amerikanischen von Karen Nölle und Hans-Ulrich Möhring,
C. H. Beck Verlag, München 2011
255 Seiten, 19,95 Euro
Den Ausgangspunkt für den Vortrag "Antworten ohne Fragen" (den Paula Fox 1988 hielt, und der hier – wie alle anderen Prosastücke in "Die Zigarette und andere Stories" – zum ersten Mal auf Deutsch erscheint) findet die Autorin in dem Gebrauch des Wörtchens "irgendwie". Dieses Füllwort vermeide die Konfrontation mit dem Wirklichen, verhindere Empathie und fördere Verlogenheit. Sie illustriert das an einer negativen Rezension eines ihrer Romane, in der es heißt, sie böte den kindlichen Lesern keine positiven Anleitungen zur Problembewältigung. Was Literatur, was Erziehung sein sollte und warum sozialwissenschaftlich gefärbte Sprache nicht allein ein stilistisches Grauen ist, das führt Paula Fox hier auf kluge Weise vor.
In den 17 Prosastücken vermischt sie immer wieder Fiktion und Biografie, macht das eigene Leben eindrucksvoll, aber niemals eindeutig zum Material der Literatur. Kindliche Erfahrungen und Em¬pfindungen spielen eine große Rolle, denn Paula Fox ist auch eine bedeutende Kinderbuchautorin. Von kindlichen Schrecken und Ängsten erzählt sie ebenso berührend wie von der Traurigkeit und den Ängsten Erwachsener. Da führt ein scheinbar emotionsloser Mann seine Exfrau und die gemeinsame Tochter nach der Beerdigung des Sohnes in ein Kino, wo er plötzlich laut zu schreien beginnt. Am Strand sehen Kinder fassungslos zu, wie einem Huhn, das sich gerade noch vertrauensvoll in den Arm seines Mörders schmiegte, der Hals umgedreht wird und verlieren bei diesem Anblick jedes Vertrauen in die Welt. Eine Zugehfrau, die sich in einen Sommergast verliebt hat, spürt zum ersten Mal dessen Hände auf ihrem Körper und danach "waren mir meine Kinder fremd, und der Name meines Mannes schmeckte im Mund wie Metall".
Paula Fox beschwört und beherrscht die Kraft der Literatur – in ihren Romanen ebenso wie in diesen kurzen Geschichten und Essays, die nicht zuletzt eine Studie der Genauigkeit sind: Im Umgang mit Gefühlen ebenso wie mit Wörtern.
Besprochen von Manuela Reichart
Paula Fox: Die Zigarette und andere Stories
Aus dem Amerikanischen von Karen Nölle und Hans-Ulrich Möhring,
C. H. Beck Verlag, München 2011
255 Seiten, 19,95 Euro