Geschichtsaufarbeitung

Der BND und die Schatten der NS-Zeit

Graues Schild mit blauer Aufschrift "Bundesnachrichtendienst" vor einer grauen Mauer und blauem Himmel
BND-Zentrale in Pullach © dpa/picture alliance/Stephan Jansen
Von Falk Steiner |
Eine unabhängige Historikerkommission hat die ersten vier Bände zur Geschichte des Bundesnachrichtendienstes vorgelegt. Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage: Wie NS-belastet war die Anfangszeit des BND?
Für Buchpräsentationen wird sie eigentlich nicht gebaut, die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes an der Chausseestraße in Berlin. Und noch ist sie längst nicht fertig, betont der neue Hausherr Bruno Kahl, und das gelte auch für die Aufarbeitung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes, der in diesem Jahr offiziell 60 Jahre alt wurde – allerdings nur, wenn man die zehn Jahre seiner unmittelbaren Vorläuferinstitution, der sogenannten Organisation Gehlen, deren Gründung von US-Seite sowohl geduldet als auch getragen wurde, herauslässt.
Die tatsächlichen ersten 23 Jahre des BND untersucht seit fünfeinhalb Jahren eine Historikerkommission. Unabhängig, wie die Wissenschaftler betonen – unabhängig, wie auch der Bundesnachrichtendienst und das Bundeskanzleramt betonen. Einmalig in der Welt, dass ein noch existierender Geheimdienst sich so durchleuchten lasse. Einmalig, dass die Wissenschaftler erst die Unterlagen sichten könnten und dann erst mit dem BND über möglichen Geheimschutz reden müssten, sagt Klaus-Dieter Fritsche. Und auch, so der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt:
"Einmalig ist dabei die Tatsache, dass sich dabei die Erforschung der Amtszeit eines Präsidenten inzwischen schon über die Amtszeit dreier Präsidenten erstreckt."

Kontinuitäten und Brüche

Doch um eben jenen ersten Präsidenten, Reinhard Gehlen, Namensgeber der Organisation Gehlen, geht es in den ersten 4 von geplanten 13 Bänden der frühen BND-Geschichte direkt und indirekt. Es geht um Kontinuitäten und Brüche in Biografien der Akteure in BND und Organisation Gehlen, um Interaktion mit Gegnern und Freunden und um Feindbilder. Solche, die sich teilweise aus der Historie der Akteure ergaben – und aus der Suche nach Aufgaben, Macht und Anerkennung für die Institution des früheren Wehrmacht-Ost-Spionage-Offiziers.
Der spätere Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Reinhard Gehlen, in Offiziersuniform auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1944.
Der spätere Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Reinhard Gehlen, in Offiziersuniform auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1944.© picture alliance / Ullstein
So widmet sich ein kompletter Band einer für die Organisation Gehlen überaus nützlichen Chimäre: der weltumspannenden, dem Kommunismus anhängenden "Roten Kapelle", die als Feindbild schon vor 1945 intensiv beschrieben und mit geheimpolizeilichen und nachrichtendienstlichen Mitteln verfolgt wurde. Die "Rote Kapelle" sollte ein Sowjetunions-Spionagering sein, tatsächlich aber war sie wohl eher ein nicht sonderlich fester Widerstandszusammenschluss gegen die Nazis. Nach dem Krieg hielt die Organisation Gehlen noch bis weit in die 1950er-Jahre am Feindbild Rote Kapelle fest, so der Autor des Bandes Gerhard Sälter:
"Also das ist so phantasiert, dass jeder, der seinen Verstand zusammen nimmt, sofort hätte sehen müssen, dass da irgendwas nicht in Ordnung ist. Also wenn man, Rote Kapelle, eine Geheimorganisation in Deutschland, mir angucke, und wenn dann gesagt wird, einer der Geheimführer sei Tito. Dann hat man eine Vorstellung davon, dass das irgendwie ein bisschen überdehnt ist, sag ich mal."

Eine "kaum glaubliche Inkompetenz"

Im Buch fällt Sälter noch härtere Urteil: neben dem festen Weltbild sei auch eine "kaum glaubliche Inkompetenz" der Pullacher für derartige Märchen verantwortlich gewesen. Selbst der dem BND und seinen Vorläufern wohlgesonnenene Hans Globke, erster Kanzleramtsminister unter Adenauer, wurde von Gehlen persönlich bei seinen US-Verbindungen als mögliches Mitglied der Roten Kapelle angeschwärzt, berichten die Historiker.
Doch derartige Vorgehensweisen, dass Spukgespenster verfolgt, Unschuldige beschuldigt werden, das soll der Vergangenheit angehören, so der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt Klaus-Dieter Fritsche:
"Der Bundesnachrichtendienst im Jahr 2016 hat mit der Tradition der sogenannten Organisation Gehlen nichts mehr gemeint. Seit der Gründung des BND 1956 ist außer dem Namen nicht mehr viel geblieben."
Die Arbeit der Historiker und die damit verknüpfte Debatte, die sei nun besonders willkommen: Es sei Zeit, dass sich die Deutschen, so der Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, mit ihrem Auslandsnachrichtendienst identifizierten. Die Historiker hingegen betonen, wie notwendig es sei, bald mit der Aufarbeitung der Geschichte des BND nach dem Jahr 1968 bis zum Mauerfall weiterzumachen. Denn eines sei klar geworden, so Christoph Rass, der den Band zum Sozialprofil des BND bis 1968 verfasst hat:
"Ihren größten Einfluss haben Personen mit einer NS-Vergangenheit ja weit hinter unserem Betrachtungszeitraum eingenommen."
Das Gros der Personen mit starker NS-Vergangenheit sei erst mit Pensionierung in den 1990er-Jahren aus dem BND verschwunden.
Mehr zum Thema