Geschichtswissenschaft als Roadmovie
Wer hat Amerika entdeckt? Natürlich Kolumbus ! So steht es in unseren Schulbüchern. Ganz anderer Meinung ist der amerikanische Journalist und Buchautor Tony Horwitz. So trägt sein neues Sachbuch denn auch plakativ den Titel "Es war nicht Kolumbus – Die wahren Entdecker der Neuen Welt".
Tony Horwitz, Jahrgang 1959, schrieb für den New Yorker, und er war lange Auslandskorrespondent in der arabischen Welt für das Wall Street Journal. 1995 wurde er mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Sieben Bücher hat Horwitz geschrieben, sein Buch über den Entdecker James Cook machte ihn zum Bestsellerautor und wurde als erstes auch ins Deutsche übersetzt. Jetzt also sein Zweites auf Deutsch: "Es war nicht Kolumbus", Untertitel "Die wahren Entdecker der Neuen Welt".
Sensationen aber darf man von diesem Buch vordergründig nicht unbedingt erwarten. Jeder Historiker weiß, dass die Wikinger schon 500 Jahre vor Kolumbus erste Siedlungen in Amerika gründeten. Und so kommen die Wikinger zwar auch bei Horwitz zu ihrem Recht, aber zu 95 Prozent meint der Untertitel, - also "die wahren Entdecker der Neuen Welt"-, jene uns vollkommen unbekannten Entdecker zwischen Kolumbus und den sogenannten Pilgervätern 1620. Das sind erstmal diverse Spanier, von denen man eigentlich noch nie gehört hat, de Vacas, de Soto, de Coronado usw., von der Gier nach Gold besessene Konquistadoren, brutale Massenmörder, die man in der Geschichte der USA verständlicherweise vollkommen verdrängt hat, - genauso wie man auch französische Siedlungsversuche verdrängt hat; und es hat in beiden Fällen nicht viel gefehlt und Nordamerika wäre spanisch bzw. französisch geworden, - während die offizielle Geschichtsschreibung der USA eben meist erst mit der Landung der christlich-fundamentalistischen Pilgerväter beginnt, also 1620. Was wiederum davon übrig geblieben ist, ist ein verkitschtes USA-Bild á la Disney-World. Horwitz' Kommentar: "Amerika, du großes Land der Idiotie".
Drei Jahre verbrachte Horwitz in Leihwagen und in Motels. Er begann in Neufundland auf der Spur der Wikinger, folgte denen von Kolumbus in der Dominkanischen Republik und bereiste große Teile der USA, den Südwesten, also u.a. Arizona und Texas, wie auch dessen Pendant, die Ostküste von Florida bis Maine und dazwischen auch noch Bereiche des Mittelwestens wie den Mississippi und die Prärie. Dabei bietet "Es war nicht Kolumbus" eine aberwitzige Blütenlese eigenwilliger Begegnungen mit sehr skurrilen Menschen, oft mit Außenseitern, u.a. auch mit vielen Indianern.
Was die Geschichte Mittel- und Nordamerikas betrifft, hat Horwitz exzellent, sehr detailliert und akribisch recherchiert, teilweise sogar echte historische Forschungsarbeit geleistet. Sobald er aber amerikanischen Boden verlässt, schleichen sich allerdings auch Unrichtigkeiten ein, zum Beispiel was die Navigation der Wikinger betrifft. Und die echten historischen Sensationen, - die Leichen im Keller der Geschichtsschreibung -, übergeht Horwitz sogar komplett: dass Chinesen und Portugiesen vor Kolumbus Amerika entdeckt hatten, dass Karten des Kontinents existierten, die Kolumbus aus dem portugiesischen Staatsarchiv gestohlen hatte usw.
"Es war nicht Kolumbus" ist ein episodischer Wissenschaftsthriller, einer den man "low pace" liest, wie man in den USA sagt, also langsam, Episode für Episode, man legt das Buch weg und freut sich dann irgendwann wieder, sich auf die nächste Reise begeben zu können.
Was das Buch wirklich spannend macht, sind die historischen Begebenheiten, die einen an die Alptraumbilder von Hieronymus Bosch erinnern. Was das Buch sehr unterhaltsam macht, das sind Horwitz' Reiserecherchen und Beschreibungen und vor allem sein Humor: Das Klima der Dominikanischen Republik erinnert ihn an warme Hühnerbrühe; in den USA überlegt ein Tourismus-Manager, die Folterkeller der Inquisition nachzubauen, um mehr Touristen anzulocken; oder es steht ein Warnschild an einer Straße: "Staatsgefängnis. Keine Anhalter mitnehmen!"
Das Bild, das Horwitz von den USA zeichnet, ist das eines Landes ohne historische Identität, wenn man von der Barbie-Disney-Welt-Legende der Pilgerväter absieht, die 1620 plötzlich amerikanischen Boden betreten und das ganze Land mit braven Menschen besiedeln, - während es sich dabei aber, wie Horwitz anmerkt, eigentlich um nichts anderes als Bootsflüchtlinge gehandelt hat. Groteske Gedanken geistern durch Horwitz' Kopf, zum Beispiel der, dass die Ausrüstung eines GIs im Irak genauso schwer ist wie die eines spanischen Konquistadors.
Die New York Times nannte "Es war nicht Kolumbus" "lebendig und lustig", -und das ist es auch. Geschichtswissenschaft als grandioses Roadmovie.
Rezensiert von Lutz Bunk
Tony Horwitz: Es war nicht Kolumbus - Die wahren Entdecker der Neuen Welt
Übersetzt von Harald Stadler
marebuchverlag 2008
560 Seiten, mit 48 Abbildungen und Karten, 29.90 Euro
Sensationen aber darf man von diesem Buch vordergründig nicht unbedingt erwarten. Jeder Historiker weiß, dass die Wikinger schon 500 Jahre vor Kolumbus erste Siedlungen in Amerika gründeten. Und so kommen die Wikinger zwar auch bei Horwitz zu ihrem Recht, aber zu 95 Prozent meint der Untertitel, - also "die wahren Entdecker der Neuen Welt"-, jene uns vollkommen unbekannten Entdecker zwischen Kolumbus und den sogenannten Pilgervätern 1620. Das sind erstmal diverse Spanier, von denen man eigentlich noch nie gehört hat, de Vacas, de Soto, de Coronado usw., von der Gier nach Gold besessene Konquistadoren, brutale Massenmörder, die man in der Geschichte der USA verständlicherweise vollkommen verdrängt hat, - genauso wie man auch französische Siedlungsversuche verdrängt hat; und es hat in beiden Fällen nicht viel gefehlt und Nordamerika wäre spanisch bzw. französisch geworden, - während die offizielle Geschichtsschreibung der USA eben meist erst mit der Landung der christlich-fundamentalistischen Pilgerväter beginnt, also 1620. Was wiederum davon übrig geblieben ist, ist ein verkitschtes USA-Bild á la Disney-World. Horwitz' Kommentar: "Amerika, du großes Land der Idiotie".
Drei Jahre verbrachte Horwitz in Leihwagen und in Motels. Er begann in Neufundland auf der Spur der Wikinger, folgte denen von Kolumbus in der Dominkanischen Republik und bereiste große Teile der USA, den Südwesten, also u.a. Arizona und Texas, wie auch dessen Pendant, die Ostküste von Florida bis Maine und dazwischen auch noch Bereiche des Mittelwestens wie den Mississippi und die Prärie. Dabei bietet "Es war nicht Kolumbus" eine aberwitzige Blütenlese eigenwilliger Begegnungen mit sehr skurrilen Menschen, oft mit Außenseitern, u.a. auch mit vielen Indianern.
Was die Geschichte Mittel- und Nordamerikas betrifft, hat Horwitz exzellent, sehr detailliert und akribisch recherchiert, teilweise sogar echte historische Forschungsarbeit geleistet. Sobald er aber amerikanischen Boden verlässt, schleichen sich allerdings auch Unrichtigkeiten ein, zum Beispiel was die Navigation der Wikinger betrifft. Und die echten historischen Sensationen, - die Leichen im Keller der Geschichtsschreibung -, übergeht Horwitz sogar komplett: dass Chinesen und Portugiesen vor Kolumbus Amerika entdeckt hatten, dass Karten des Kontinents existierten, die Kolumbus aus dem portugiesischen Staatsarchiv gestohlen hatte usw.
"Es war nicht Kolumbus" ist ein episodischer Wissenschaftsthriller, einer den man "low pace" liest, wie man in den USA sagt, also langsam, Episode für Episode, man legt das Buch weg und freut sich dann irgendwann wieder, sich auf die nächste Reise begeben zu können.
Was das Buch wirklich spannend macht, sind die historischen Begebenheiten, die einen an die Alptraumbilder von Hieronymus Bosch erinnern. Was das Buch sehr unterhaltsam macht, das sind Horwitz' Reiserecherchen und Beschreibungen und vor allem sein Humor: Das Klima der Dominikanischen Republik erinnert ihn an warme Hühnerbrühe; in den USA überlegt ein Tourismus-Manager, die Folterkeller der Inquisition nachzubauen, um mehr Touristen anzulocken; oder es steht ein Warnschild an einer Straße: "Staatsgefängnis. Keine Anhalter mitnehmen!"
Das Bild, das Horwitz von den USA zeichnet, ist das eines Landes ohne historische Identität, wenn man von der Barbie-Disney-Welt-Legende der Pilgerväter absieht, die 1620 plötzlich amerikanischen Boden betreten und das ganze Land mit braven Menschen besiedeln, - während es sich dabei aber, wie Horwitz anmerkt, eigentlich um nichts anderes als Bootsflüchtlinge gehandelt hat. Groteske Gedanken geistern durch Horwitz' Kopf, zum Beispiel der, dass die Ausrüstung eines GIs im Irak genauso schwer ist wie die eines spanischen Konquistadors.
Die New York Times nannte "Es war nicht Kolumbus" "lebendig und lustig", -und das ist es auch. Geschichtswissenschaft als grandioses Roadmovie.
Rezensiert von Lutz Bunk
Tony Horwitz: Es war nicht Kolumbus - Die wahren Entdecker der Neuen Welt
Übersetzt von Harald Stadler
marebuchverlag 2008
560 Seiten, mit 48 Abbildungen und Karten, 29.90 Euro