Wie umgehen mit Transidentität bei Kindern?
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Was ist zu tun, wenn sich Kinder und Jugendliche im falschen Körper fühlen: abwarten oder eingreifen? Der Deutsche Ethikrat hat in Berlin zu einer kontroversen Diskussion zu diesem Thema geladen.
"Wann kommt die Fee und macht mich endlich zu einem Mädchen?" Felizia Weidmann erzählt an diesem Abend die Geschichte ihrer Kindheit. Wie sie schon sehr früh, als kleines Kind, sich selbst als weiblich wahrnahm und nicht als Junge – das Geschlecht, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde.
"Der erste Moment, wo mir bewusst wurde: Ok, für uns alle steht jetzt die Pubertät an und für mich wird nicht die richtige kommen. Was mich in Panik versetzt hat, weil ich wusste, ich werde mich nicht so entwickeln, wie ich das eigentlich von mir denken würde, wie ich das als richtig empfinde. Sondern auf mich wartet eine Pubertät, die nicht meine ist."
Immer mehr Minderjährige entscheiden sich für Behandlung
Im falschen Körper geboren zu sein, genauer - in einem Körper mit dem falschen Geschlecht zu stecken, dieses Gefühl, diese Selbstwahrnehmung macht eine Transidentität aus, medizinisch: Geschlechtsdysphorie. Wird das Leiden an einem Körper, der nicht zur eigenen Selbstwahrnehmung passt, zu groß, ist ein Ausweg die medizinische Behandlung: hormonell und/oder operativ.
Felizia Weidman litt unter Essstörungen, depressiver Verstimmung, Suizidgedanken. Mit 14 Jahren dann bekam sie ihre erste Hormonbehandlung, sogenannte Pubertätsblocker, die stoppen sollten, was sie nicht wollte: zum Mann zu werden. Ein Weg begann, der, wie sie sagt, sie heute als glücklichen Menschen, als Frau hier stehen lässt.
Seit einigen Jahren steigen die Zahlen insbesondere auch Jugendlicher, die sich für eine solche Behandlung entscheiden, sehr stark an. Das hat eine Kontroverse ausgelöst, wie und ab welchem Alter Kinder und Jugendliche behandelt werden sollen.
Ist es richtig, im Jugendalter medizinisch einzugreifen?
Der Kinderpsychiater Alexander Korte nannte dies in einem Spiegel-Interview (Bezahlangebot) ein "Zeitgeistphänomen", Transgender einen Medienhype, mit in seinen Augen fatalen Folgen, wie er auch auf der Veranstaltung des Ethikrates wiederholte: "Jetzt ist zu sagen, dass die Idee einer angeborenen Geschlechtsidentität und die Figur des Transgender-Kindes - trotz fehlender wissenschaftlicher Evidenz - medial momentan extrem stark verbreitet sind. Und diese vermeintlichen Wahrheiten reproduzieren Geschlechterrollenstereotypien. Das suggeriert den Betroffenen, sie seien trans, also im falschen Körper, und allein die Körpermedizin könne das Problem, das Unbehagen, lösen, während die Nichtbehandlung automatisch in die Suizidalität führen würde."
Abwarten ist keine neutrale Option
Eine Behandlung, die die Pubertät aufhält, hält Korte ethisch für bedenklich. Anders sieht es sein Kollege Georg Romer. Er hält sie in bestimmten Fällen sogar für geboten: "Und an dieser Stelle möchte ich herausarbeiten, dass unsere therapeutische Kontroverse in einem ethischen Dissens begründet ist. Wenn wir uns an den medizinethischen Prinzipien der Förderung der Autonomie sowie am Grundsatz des Nichtschadens orientieren, dann besteht neben der unstrittigen Begründungslast für eine somato-medizinische Behandlung bei Minderjährigen, eine ebenso ernstzunehmende ethische Begründungslast hinsichtlich einer Entscheidung, diese gewünschte Behandlung aufzuschieben. Ein Abwarten ist keine neutrale Option."
Ethisch-philosophisch gibt es also zwei Schwierigkeiten. Erstens ein Dilemma: Nicht nur die Behandlung hat weitreichende und letztlich irreversible Folgen, auch eine Nichtbehandlung hat weitreichende und irreversible Folgen, denn: Die Pubertät schreibt das als falsch wahrgenommen Geschlecht des Körpers stärker fest, der Körper vermännlicht oder verweiblicht.
Das Kindeswohl lässt sich nicht objektiv bestimmen
Und zweitens: Sind Kinder- und Jugendliche in der Lage, solche weitreichenden Entscheidungen wie die einer Geschlechtsangleichung zu treffen? Philosophisch gefragt: Ab wann ist ein Mensch vernünftig genug?
Aus rechtsphilosophischer Sicht erklärte das die Juristin Friederike Wapler: "Nicht möglich ist, das Wohl eines Kindes rein objektiv zu bestimmen. Ich muss das Kind immer einbeziehen. Im Familienrecht spricht man davon, dass die Einbeziehung zwei Funktionen haben kann. Das kann die Funktion haben, dass das Kind als Experte seiner selbst befragt wird. Dass man überhaupt rausfindet, wie fühlt sich das Kind? Damit man besser einschätzen kann, wie die Lebenssituation und die Interessenlage des Kindes ist. Und das Zweite ist eben dieser Selbstbestimmungsaspekt: Dass man dem Kind einen Einfluss geben möchte auf seine eigenen Lebensumstände, und dass man etwas wissen muss darüber, wie das Kind sich die Dinge vorstellt und gerne hätte."
Worauf es ankommt: Sensibilität für die Betroffenen
Letztlich wurde an diesem intensiven Abend eines klar: Eindeutige Lösungen für alle gibt es nicht. Behandlung und Nichtbehandlung, beide Optionen haben weitreichende Folgen, beide Optionen können sich später als falsch herausstellen oder gar bereut werden. Trotzdem müssen alle Betroffenen sehr früh eine Entscheidung fällen. Starke Thesen zur eigenen fachlichen Profilierung sind bei diesem Thema falsch. Letztlich kann nur eine empathische, individuelle und sorgfältige Begleitung und Beratung der betroffenen Personen bei der Entscheidungsfindung helfen.
Denn Kinder und Jugendliche müssen hier mit ihren Eltern und Behandelnden eine Entscheidung fällen, die sich auf das gesamte weitere Leben auswirkt. Das wurde nochmals deutlich, als Georg Romer Felizia Weidmann auf dem Podium direkt ansprach: "Wenn Sie mit 14 Jahren zu Herrn Korte gekommen wären und hätten keine Pubertätsblocker bekommen, dann würden Sie heute mit breiten Schultern und einer tiefen Stimme und männlicheren Gesichtszügen hier sitzen. Und ich frage Sie, wie es Ihnen heute wohl damit gehen würde?" Die Antwort: "Ich glaube, dass ich dann nicht hier sitzen wollen würde. Oder irgendwo sitzen wollen würde."