Melike Peterson ist Postdoktorandin am Institut für Geographie an der Universität Bremen. Ihre Forschung befasst sich mit Begegnungen im öffentlichen Raum und Fragen der Integration und multikulturellem Zusammenleben in der Stadt. Ihr aktuelles Forschungsprojekt untersucht Bibliotheken als zentrale öffentliche Orte in der heutigen Stadt und Gesellschaft.
Hinweis: Der Arbeitskreis Feministische Geographie hat unlängst das zum freien Download verfügbare Themenheft "Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft" veröffentlicht.
"Pinkeln ist politisch"
04:15 Minuten
Männer, Frauen, Obdachlose, transgender Menschen sind auf unterschiedliche Weise auf öffentliche Toiletten angewiesen. Für die Stadtgeografin Melike Peterson sind sie ein höchst politischer Ort, an dem es um Gerechtigkeit, Sicherheit und Teilhabe geht.
Im Gespräch mit der Leiterin einer Stadtbibliothek erwähnte diese mir gegenüber einmal, dass die Frage nach den kostenlosen Toiletten in Bibliotheken wohl die häufigste ist, die Bibliotheksangestellten am Empfang gestellt wird. Der Zugang zu öffentlichen Toiletten in der Stadt scheint also nicht selbstverständlich zu sein.
"Pinkeln ist politisch", schreibt der Soziologe Harvey Molotch in seinem Buch "Öffentliche Toiletten und die Politik des Teilens". Moltoch analysiert in dem Buch die Bedeutung öffentlicher Toiletten in der heutigen Stadt und Gesellschaft. Er beschreibt, wie wir öffentliche Toiletten nutzen, wie oft und wo sie im Stadtraum vorkommen, ebenso wie sie aussehen und nach welchen Werten eine Gesellschaft sich richtet und funktioniert.
Öffentliche Toiletten sind dafür ein guter Indikator. An ihnen lässt sich auch gut beobachten, wie Vorstellungen von Raum und Kultur ineinandergreifen. Der "stille Ort" ist höchst politisch.
Toiletten sind ein wichtiges feministisches Thema
Dies verdeutlicht das Beispiel Geschlecht und Stadt besonders gut, denn Toiletten sind ein wichtiges feministisches Thema. Räume der Sauberkeit und Reinigung sind gerade für Frauen ausschlaggebend, um sich in der Stadt wohlzufühlen.
Weibliche Anforderungen an Toilettenräume unterscheiden sich deutlich von männlichen. Einige dieser Anforderungen hängen mit biologischen und kulturellen Gegebenheiten zusammen, wodurch Frauen Toiletten anders nutzen als Männer.
Weibliche Anforderungen an Toilettenräume unterscheiden sich deutlich von männlichen. Einige dieser Anforderungen hängen mit biologischen und kulturellen Gegebenheiten zusammen, wodurch Frauen Toiletten anders nutzen als Männer.
So beschreibt die Stadtgeografin Leslie Kern in ihrem Buch "Feminist City", dass der Gang vieler Frauen zur Toilette länger dauert als bei Männern, verbunden ist mit Menstruation, dem An- und Ausziehen verschiedener Kleidungsteile sowie damit, dass Frauen mehr Toilettenpapier brauchen, Orte benötigen, an denen sie Bekleidung aufhängen können, und oft bei den Toilettenbedürfnissen von Kindern, Familienangehörigen oder anderen Menschen helfen.
Toiletten im öffentlichen Raum hängen also eng mit Fragen der Gerechtigkeit, Sicherheit und Teilhabe der Menschen an Öffentlichkeit und Gesellschaft zusammen. Orte wie öffentliche Bibliotheken, die sichere, saubere und barrierefreie Toiletten kostenlos zur Verfügung stellen, sind somit für eine geschlechtergerechtere Stadt von zentraler Bedeutung.
Toiletten im öffentlichen Raum hängen also eng mit Fragen der Gerechtigkeit, Sicherheit und Teilhabe der Menschen an Öffentlichkeit und Gesellschaft zusammen. Orte wie öffentliche Bibliotheken, die sichere, saubere und barrierefreie Toiletten kostenlos zur Verfügung stellen, sind somit für eine geschlechtergerechtere Stadt von zentraler Bedeutung.
Viele städtische Toiletten kosten inzwischen Geld
Die Abwesenheit von öffentlichen Toiletten kann dazu führen, dass bestimmte Gruppen vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden. Obdachlose haben in heutigen Städten zum Beispiel wenige Möglichkeiten, sich zu waschen oder sauberes Wasser zu trinken. Eine Stadt- und Raumgestaltung, die die unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen und anderen Gruppen berücksichtigt, kann gezielt eingesetzt werden, um Städte so zu strukturieren, dass sich mehr Menschen in ihnen willkommen fühlen.
Die Debatte um öffentliche Toiletten gewinnt zusätzlich an Bedeutung, da viele städtische Toiletten mittlerweile Geld kosten, was problematisch ist, weil so ein männliches Bild vom öffentlichen Stadtraum gestärkt wird. Männer können vielerorts immer noch kostenfrei Pissoirs nutzen, wohingegen Frauen und andere Stadtbewohner*innen, die genauso zahlreich in der Stadt vertreten sind, meist auf kostenpflichtige Sitztoiletten angewiesen sind. Dies stellt durchaus eine Form geschlechtlich-räumlicher Diskriminierung dar. Der Toilettengang ist ein Grundbedürfnis, das nichts kosten sollte.
Die Debatte um öffentliche Toiletten gewinnt zusätzlich an Bedeutung, da viele städtische Toiletten mittlerweile Geld kosten, was problematisch ist, weil so ein männliches Bild vom öffentlichen Stadtraum gestärkt wird. Männer können vielerorts immer noch kostenfrei Pissoirs nutzen, wohingegen Frauen und andere Stadtbewohner*innen, die genauso zahlreich in der Stadt vertreten sind, meist auf kostenpflichtige Sitztoiletten angewiesen sind. Dies stellt durchaus eine Form geschlechtlich-räumlicher Diskriminierung dar. Der Toilettengang ist ein Grundbedürfnis, das nichts kosten sollte.
Wahl der "richtigen" Toilette als Herausforderung
Die politische Brisanz öffentlicher Toiletten verdeutlicht auch die Wahl der "richtigen" Toilette. Für viele intergeschlechtliche oder transgender Menschen stellt der Toilettengang nämlich eine Herausforderung dar. Vielerorts dominieren noch stets nach Geschlecht getrennte Toiletten, die vortäuschen, dass sich die Vielfalt von Geschlecht nach einfachen Regeln ordnen lässt.
Geschlechtsneutrale Toiletten alleine reichen natürlich nicht, um Transphobie oder auf Geschlecht basierte Gewalt zu beseitigen. Dennoch sind Orte, die gewährleisten, dass möglichst viele Menschen, unabhängig von Geschlecht, Befähigung und Klasse, Toiletten sicher nutzen können, ein wichtiger Schritt in die Richtung einer gerechteren Stadt.
Geschlechtsneutrale Toiletten alleine reichen natürlich nicht, um Transphobie oder auf Geschlecht basierte Gewalt zu beseitigen. Dennoch sind Orte, die gewährleisten, dass möglichst viele Menschen, unabhängig von Geschlecht, Befähigung und Klasse, Toiletten sicher nutzen können, ein wichtiger Schritt in die Richtung einer gerechteren Stadt.