"Wir können sofort damit anfangen"
Einen 50-Prozent-Anteil bei Aufträgen, Fördergeldern und Rollen fordern Deutschlands Filmfrauen. Ohne Quote wird das wohl nicht gehen - der Anteil an Regisseurinnen bei ARD und ZDF ist laut der Regisseurin Bettina Schoeller noch erschreckend niedrig.
Die Filmfrauen in Deutschland wollen mehr Gleichberechtigung in der Branche durchzusetzen. Seit 2014 gibt es den Verein "Pro Quote Regie", der ab jetzt "Pro Quote Film" heißt und einen 50-Prozent-Anteil bei der Vergabe von Aufträgen, Fördergeldern und Rollen fordert. Eine Quote sei der beste Garant gegen Machtmissbrauch, sagte die Regisseurin und Produzentin Bettina Schoeller im Deutschlandfunk Kultur, auch mit Blick auf den Fall Dieter Wedel und die #metoo-Debatte.
Dass noch viel zu tun, erläuterte Schoeller mit einigen Zahlen. Nach ihren Angaben wurden im Jahr 2013 rund elf Prozent aller fiktionalen Sendeminuten in der ARD von Frauen in Szene gesetzt, beim ZDF waren es sogar nur magere acht Prozent. Der Anteil ist seitdem gestiegen, liegt in der ARD aber laut Schoeller immer noch unter 20, und im ZDF unter 15 Prozent.
Das liege auch an einer "Risiko-Aversion" der Sender, sagte Schoeller. Gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen werde immer nur - mit Blick auf die Einschaltquote - auf das Altbewährte gesetzt. Deswegen würde das deutsche Fernsehen mit mehr Geschlechtergerechtigkeit auch interessanter werden, betonte die Produzentin. Schließlich hätten die Öffentlich-Rechtlichen auch den Auftrag, gesellschaftliche Diversität abzubilden. "Wir können sofort damit anfangen", sagte sie. Die Gesellschaft sei viel diverser als das, was im Fernsehen zu sehen sei.
Einerseits werde gesagt: "Wir leben hier in der westlichen Welt. Frauen dürfen alles machen und alles werden." Und dann gebe es aber andererseits doch wieder strukturelle Behinderungen. "Die müssen wir einfach aus dem Weg räumen", sagte Schoeller. Die Gesellschaft sei dafür bereit. (ahe)
Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Nach der Enthüllung sexuellen Missbrauchs zunächst einmal vor allen Dingen durch den US-Filmproduzenten Harvey Weinstein hat in den USA schnell eine Diskussion eingesetzt nicht nur unmittelbar darüber, sondern auch über die Bedingungen, die solchen Sexismus bis hin zu Vergewaltigungen ermöglichen, und die es jahrzehntelang ermöglicht haben, dass darüber geschwiegen wurde. Es wurde auch sofort darüber geredet, dass eine wichtige Rolle dabei die Tatsache betrifft, dass Frauen kaum wichtige Positionen haben im amerikanischen Filmgeschäft.
Das ist im deutschen Film- und Fernsehgeschäft nicht wesentlich anders, und deshalb wird diese Diskussion jetzt auch in Deutschland genauso geführt. Wobei das auch nicht brandneu ist, darüber zu reden und darauf zu reagieren. Bereits Anfang 2014 gründete sich auf der Berlinale die Interessengemeinschaft Pro Quote Regie. Jetzt widmet und benennt sie sich um, ab heute heißt sie offiziell Pro Quote Film. Im Vorstand von Pro Quote Film sitzt die Regisseurin, Produzentin und auch Autorin und Journalistin Bettina Schoeller. Schönen guten Morgen, Frau Schoeller!
Bettina Schoeller: Schönen guten Morgen!
Kassel: Bevor wir über die Zukunft reden und diese noch größere Aufgabe, die jetzt vor diesem Verein, das ist er ja von der Rechtsform her, liegt: Vier Jahre lang ungefähr gab es jetzt Pro Quote Regie. Was hat das eigentlich gebracht? Ist der Anteil von Frauen im Regiebusiness gestiegen in Deutschland?
92 Prozent Männer in der Regie
Schoeller: Ja, er ist tatsächlich gestiegen, es hat sehr viel gebracht. Als wir an die Öffentlichkeit gegangen sind 2013, gab es Zahlen, elf Prozent aller fiktionalen Sendeminuten in der ARD wurden von Frauen inszeniert, acht im ZDF. Das heißt, es gab 92 Prozent Männer in der Regie.
Wir sind an die Öffentlichkeit gegangen, und jetzt hat der Bundesverband Regie neue Zahlen in seinem Diversitätsbericht vorgelegt, und da sind tatsächlich 19,4 Prozent Frauen in der ARD für Regie verantwortlich und 14,9, glaube ich, im ZDF. Also es hat sich schon einiges getan.
Kassel: Es fing ja damals an, weil Sie alle gemerkt haben, es ist so in unserer Branche wie leider in vielen anderen Berufen auch, es sind viel weniger Frauen, und sie verdienen zum Teil auch weniger als die Männer. Jetzt ist die Diskussion ja eine viel größere geworden. Wie offensichtlich ist denn der Zusammenhang für Sie zwischen sexuellem Missbrauch, Alltagssexismus bis hin zu Vergewaltigungen, und der allgemeinen Rolle von Frauen im Film- und Showbusiness?
Schoeller: Ich meine, wenn man da eine Parallele zieht, dann ist es ganz klar, es gibt einfach einen strukturellen Sexismus, der auch sich schon allein in der Alltagssprache bemerkbar macht. Die "Süddeutsche Zeitung" hat da sehr interessante Sachen zu geschrieben.
Lange das männliche Genie gefördert
Letztendlich ist es klar, dass die Gesellschaft auch das männliche Genie sozusagen auch lange gefördert und gewollt hat. Ein Mensch, der sich über alles hinwegsetzen darf, was andere Menschen nicht dürfen. Und da werden halt viele Grenzen überschritten, und das kann in alle Richtungen gehen. Ich denke, eine Quote oder gemischte, diverse Arbeitsverhältnisse sind der beste Garant gegen Machtmissbrauch und damit auch gegen sexuellen Missbrauch.
Kassel: Gestern hat sich hier in Deutschlandfunk Kultur der Schauspieler und Regisseur Simon Verhoeven geäußert über die Causa Dieter Wedel, sich über Wedel sehr aufgeregt, aber auch wörtlich gesagt: "99,9 Prozent der Branche in Deutschland ist nicht so." 99,9 Prozent – würden Sie dem zustimmen?
Schoeller: Da hat Simon Verhoeven wahrscheinlich einen besseren Einblick. Ich würde das jetzt nicht in Zahlen fassen wollen. Ich denke, wir erleben alle, also alle Frauen erleben sexuelle Diskriminierung, die oft einfach subtil funktioniert.
Wir haben uns schon dran gewöhnt, das ist schon so ein Standard geworden. Aber es verhindert eben Frauen in kreativen Schlüsselpositionen, weil da geht es ganz klar um Stereotype und Vorurteile Frauen gegenüber, die letztendlich ihre Arbeit und auch ihre Person oft an entscheidenden, empfindlichen Stellen abwerten.
Dagegen wollen wir einfach angehen, und wir denken, dass es wichtig ist, dass sich unsere Kultur verändert in dem Sinne, dass es Versprechungen gibt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, dass wir sozusagen auf gleicher Ebene uns begegnen. Und solche Fälle verhindern das. Sie sind sozusagen die Spitze des Eisbergs, wo man sieht, es gibt eben strukturelle Diskriminierung, die Gleichberechtigung oder Gleichstellung zwischen Menschen verhindert.
Kassel: Diese strukturelle Diskriminierung hat, glaube ich – Sie dürfen mir da gern widersprechen –, auch was mit Netzwerken zu tun, mit den Strukturen zwischen Männern, die in diesem Business wichtig sind. Müssen Frauen da mit den gleichen Waffen zurückschlagen? Also mal ganz praktisch: Wünschen Sie sich, dass eine Produzentin grundsätzlich nur eine Regisseurin und eine Autorin beschäftigt?
Altbewährtes und ein entmischtes System
Schoeller: Nein, das wäre ja auch Quatsch. Jeder sollte mit den Leuten arbeiten können, mit denen er will. Nur, das Problem ist, dass am Ende .... gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sehen wir, dass man immer wieder auf das Altbewährte setzt. Das ist nicht nur bei der Zusammenstellung der Teams der Fall, sondern auch bei dem, was wir vor der Kamera sehen.
Es gibt einen Erfolg, der wird dann versucht, zu wiederholen. Man hat einen guten Regisseur, und dann fragt man den halt immer wieder an. Dadurch entsteht ein entmischtes System, was dazu führt, dass immer die gleichen Fernsehinhalte und die gleichen Stoffe sich oft wiederholen.
Und da gibt es halt wenige Rollen für Frauen, wenn 89 Prozent der Sendeminuten von Männern gedreht werden, die haben natürlich einen anderen Blick auf ihre weiblichen Mitmenschen, und dann ist es natürlich ganz klar, dass viele Themen oder das, was sozusagen uns beschäftigt, von innen heraus, also aus der Ich-Perspektive sozusagen, nicht erzählt wird.
Kassel: Aber das ist jetzt natürlich hochinteressant auch für mich als Mann. Nicht, dass für mich als Mann jetzt der Rest nicht interessant gewesen wäre, Frau Schoeller, aber was Sie da gerade gesagt haben, heißt auf Hochdeutsch, wenn wir das schaffen – ich meine mit wir uns alle, nicht nur Ihre Initiative –, dass wir wirklich so einen ungefähr 50-prozentigen Anteil beider Geschlechter haben, dann – ich spitze es zu – wird das deutsche Fernsehen auch besser und interessanter.
Schoeller: Auf jeden Fall, das ist klar.
Kassel: Aber ich meine das ganz im Ernst. Ich meine, es ist natürlich auch so, es sind ja nicht nur überwiegend Männer, es sind auch relativ wenige Männer, die da wirklich die wichtigen Sachen produzieren und verantworten. Das heißt, Sie wollen ja auch dafür sorgen, dass der Kreis insgesamt da größer wird, der beteiligt ist an diesen Produktionen.
Risikoaversion bei ARD und ZDF
Schoeller: Ja, weil es gibt sozusagen eine Risikoaversion, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich selbst auch bescheinigt hat in der Studie der Filmförderungsanstalt und der eigenen Studie, die sie in Auftrag gegeben hat beim Traumann-Institut.
Es ist leider der Fall, dass die Quote oft Risikoaversion begünstigt. Das bedeutet, Frauen nicht zu beschäftigen, weil man Angst hat, die Qualität könnte leiden. Und das ist natürlich absoluter Quatsch und absolut verheerend.
Es gibt seit Anfang der 90er-Jahre genauso viele oder 45 Prozent Frauen, die Regie studieren und auch abschließen. Und nur die Hälfte von denen arbeitet in ihrem Beruf, während viele männliche Quereinsteiger, die gar nicht Regie studiert haben, in diesen Beruf reinkommen.
Letztendlich ist es vielleicht nicht so entscheidend, ob jemand jetzt studiert hat oder nicht, aber es zeigt ganz deutlich, dass Frauen für viele Leute einen Risikofaktor darstellen, weil sie das Verhalten von Frauen einfach nicht gleich bewerten wie das von Männern.
Und das sieht man eben auch in dem, was dann vor der Kamera in den Filmen zu sehen ist. Da setzt man halt lieber auf das, was man schon kennt, wo man weiß, das könnte jetzt wieder ein Quotenhit werden. Aber diese Erfolge sind halt nicht zu klonen.
Kassel: Aber offiziell sagt jetzt natürlich jeder, das ist toll, das haben wir längst gebraucht, eine solche Initiative, das muss in diese Richtung ja auch wirklich gehen. Wie sieht es denn hinter den Kulissen aus, auch in einer gewissen Generation, die im Moment noch viele Fäden in der Hand hält? Wird das komplett, was Sie sich wünschen, sich alles erst verwirklichen lassen, wenn der eine oder andere auch altersbedingt nicht mehr in Verantwortung ist, oder kann man die Männer wirklich verändern?
Auftrag: Diversität abbilden
Schoeller: Ich glaube nicht, dass man jetzt so lange warten muss. Wir können einfach sofort damit anfangen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat einen Bildungsauftrag, aber hat auch den Auftrag, die Gesellschaft in ihrer Diversität abzubilden. Die Gesellschaft ist relativ viel diverser als das, was wir oft im Fernsehen zu sehen bekommen.
Das ist natürlich klar, dass dann die Leute abwandern und auch durch die neuen privaten Netzbetreiber, die ganzen Fernsehprogramme, die jetzt dazugekommen sind seit Netflix oder Amazon, oder die Telekom, die jetzt auch noch einen eigenen Sender macht, bricht das immer weiter auf in so ein Spartenfernsehen. Und ich glaube, dass gerade das öffentlich-rechtliche Fernsehen sehr wichtig ist auch für unsere Demokratie, wo ein unabhängiger Journalismus stattfinden kann, gerade auch in diesem Bereich – Männer erklären die Welt, Männer sind diejenigen, die als Experten eingeladen werden. All das führt zu einem öffentlichen Bild, dem wir ja eigentlich gar nicht mehr entsprechen wollen und was auch gar nicht mehr unsere Gesellschaft ist.
Wir sagen, wir leben hier in der westlichen Welt, Frauen dürfen alles machen und alles werden, und dann gibt es eben doch strukturelle Behinderungen. Die müssen wir einfach aus dem Weg räumen, und ich glaube, die Gesellschaft ist dazu bereit. Wir sind ja schon mit diesem Selbstverständnis groß geworden, dass wir gleichberechtigt sind. Da ist es dann natürlich umso schmerzhafter zu erfahren, dass das gar nicht unbedingt immer der Fall ist. Aber ich denke, es ist von der Mehrheit der Menschen auch gewollt, dass diese Veränderung stattfindet, jetzt, und nicht irgendwann, wenn irgendwelche Leute weggestorben sind.
Kassel: Die Regisseurin Bettina Schoeller. Sie sitzt im Vorstand von Pro Quote Film. So heißt ab sofort die Interessenvereinigung, die bereits seit 2014 unter dem Namen Pro Quote Regie aktiv ist. Frau Schoeller, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Schoeller: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.