Geschlechtergerechtigkeit

Neue Väter braucht das Land

07:20 Minuten
Ein Vater und sein Baby halten sich an den Händen.
Nur Kuscheln mit dem Nachwuchs reicht nicht. Die ganze Pflegearbeit bleibt zu oft noch immer an den Frauen hängen. © imago / fStop Images / Antenna
Von Günther Wessel |
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Es erscheint wie ein Naturgesetz: Wenn ein heterosexuelles Paar ein Kind bekommt, steckt die Frau meistens beruflich zurück und kümmert sich. Unser Autor hat es bewusst anders gemacht. Dabei ist er auf eine ungerechte Gesetzgebung gestoßen und auch auf Unverständnis.
"Wir sind immer noch ein Volk, welches absolut davon ausgeht, dass die Kinder zu den Müttern gehören. Erstens." Jutta Allmendinger, Soziologin und Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin. "Und zweitens, dass den Kindern etwas verloren geht, wenn Sie nicht über längere Zeit hauptsächlich von Müttern umgeben sind."
"Ich glaube, dass das was Besonderes ist, ist mir erst sehr viel später aufgefallen." Mein Sohn Jakob. Geboren im Jahr 2000 in Washington. Meine damalige Partnerin Petra und ich hatten uns lange gefragt, wann der Zeitpunkt für Kinder wäre – und ihn immer wieder vertagt. Das änderte sich, als ich erklärte, nach dem Mutterschutz die Alltagsbetreuung zu übernehmen.
"Es war für mich klar, ich werde meinen Beruf nicht aufgeben müssen, das war total entscheidend", sagt Petra.

Knapp zwei Monate nach Jakobs Geburt stieg sie wieder in ihren Job ein. Ungewöhnlich, laut Jutta Allmendinger: "Wenn wir heute Untersuchungen machen, sehen wir, dass eine Mutter mit einem zweimonatigen Säugling wieder zurück zur Arbeit kommt, sich erklären muss, in die Defensive gerät. Unter so einem Vorbehalt steht, das tut dem Kind nicht gut."

Wann ist ein Vater ein Vater?

Das Kind habe ja auch einen Vater, sagte meine Partnerin meist trocken dazu. Doch wann ist ein Vater ein Vater? Vor 50 Jahren war das noch klar: Der Vater war das Oberhaupt und der Ernährer der Familie. In den 1980er-Jahren entdeckte die Familienforschung den sogenannten "neuen Vater", der sich aktiv in Kinderbetreuung und Erziehung einbrachte.
In Umfragen sprachen sich damals viele Männer für eine egalitäre Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit aus. Doch ihr Verhalten änderten sie kaum: Der Beruf ging weiter vor, ihre Kinder sahen sie eine knappe halbe Stunde am Tag. Der Soziologe Ulrich Beck sprach von "verbaler Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre".
"Diese Formulierung würde ich nicht mehr als zutreffend begreifen." Michael Meuser ist Sozialwissenschaftler in Dortmund.
"Das ist keine Verhaltensstarre, das sind durchaus ernsthafte Interessen und Bemühungen, auch eine andere Rolle innerhalb der Familie zu praktizieren als nur die Ernährerrolle, aber es gibt vielfältige Hindernisse, Barrieren und Schwierigkeiten, die überwunden werden müssen."

Es gibt auch den Gender Care Gap

Die Mutter meines Sohnes stillte morgens und abends, radelte dann ins Büro. Hatte Termine. Außerhalb oder abends. Ich gab das Fläschchen, wickelte den satten Jakob, ging spazieren. Fläschchen, wickeln, spazieren. Und wieder von vorn.
Sozialwissenschaftler sprechen vom Gender Care Gap – und bezeichnen damit die geschlechtsspezifische Lücke im Zeitaufwand für unbezahlte Sorgearbeit. 2019 leisten Frauen durchschnittlich zwei Stunden und 30 Minuten täglich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Jutta Allmedinger:
"Wenn man junge Menschen fragt, dann besteht der große Wunsch, eine partnerschaftliche Ehe zu führen. Wenn dann die Kinder auf die Welt kommen, übersetzt sich dieser Wunsch nicht in entsprechendes Verhalten. Was wir sehen, fünf Jahre später, ist immer das Gleiche: Die Frau, die Mutter, war sehr lange aus dem Arbeitsmarkt draußen, im Durchschnitt sind das 13 Monate, der Vater hat im Durchschnitt drei Monate Elternzeit genommen zwischenzeitlich, der Vater steigt dann wieder Volltags, Vollzeit ein."
Auch wenn die Zahlen etwas älter sind, bleiben sie aussagekräftig: 2013 stellte das Institut für Demoskopie fest, dass Männer an sich höhere Erwartungen als Familienernährer richteten als bei der Familienarbeit. Knapp dreiviertel der Männer zwischen 18 und 34 Jahren glaubten, von ihnen werde erwartet, für das Familieneinkommen zu sorgen.

Als Mann die eigene Rolle stärker infrage stellen

Wir sind umgezogen, als Jakob knapp anderthalb war. In eine andere Stadt, in ein anderes Land. Dort lernte ich, wie die école maternelle funktioniert, und saß in der musikalischen Früherziehung mit meinem Sohn. Arbeitete zwischendrin wieder etwas, als Journalist, bis 2004 Franziska geboren wurde. Und alles wieder von vorn begann: Fläschchen, Brei, wickeln, spazieren. Die Frau ging arbeiten.
"Der Vorteil, von dem, was wir gemacht haben, ist, dass man die eigenen Rollen doch immer stärker infrage stellt. Ich würde immer noch sagen, die Rollenaufteilung so rum ist die interessantere. Sie ist aber natürlich auch die anspruchsvollere", sagt Petra.
"Ich weiß nicht, ob irgendwie deine Karriereambitionen dadurch geschmälert wurden, wobei ich mich dann frage, inwiefern die Karriereambitionen, jetzt größer gedacht, eines Mannes mehr wert sind als die einer Frau."
Sagt meine 17-jährige Tochter heute. Und ja, ich haderte zwischendurch auch mit meiner Rolle. Ich weiß noch, dass ich jemandem auf einem Empfang erzählt habe, dass ich Vater und quasi Hausmann sei, und derjenige sich auf den Hacken rumdrehte und weggegangen ist. Weil ich wohl nicht interessant genug war. Doch wie schafft die Gesellschaft eine gerechtere Aufteilung der Sorgearbeit?

Die Gesetzgebung begünstigt Männer

Im Steuerrecht würde ein Ausstieg aus dem Ehegattensplitting hin zu einer Familienbesteuerung helfen. Gleicher Lohn für vergleichbare Erwerbsarbeit muss selbstverständlich werden, ebenso ein deutlich höherer Anteil von Frauen in Führungspositionen. Quoten sind nützlich.
Die Elternzeit sollte bei vollem Lohnausgleich verlängert werden, und vielleicht sollte der volle Anspruch darauf davon abhängig sein, dass ein Teil dieser Zeit von Mutter und Vater nicht parallel genommen wird. Denn der väterliche Anteil an der Kinderbetreuung wird auch hinterher größer, wenn der Vater seine Elternzeit alleine genommen hat. Auch eine generelle Arbeitsverkürzung ist im Gespräch.
"32 Stunden ist mehr als Frauen im Durchschnitt arbeiten, aber es ist deutlich weniger als Männer – es wäre also genau der Mittelwert. Die Wirtschaft würde dadurch nichts verlieren", sagt Jutta Allmendinger.
Vielleicht hätten Petra und ich unter solchen Voraussetzungen auch anders gehandelt. Hätten uns weniger entscheiden müssen. Denn eigentlich haben wir damals nur die Rollen getauscht. Ich wusste die Impftermine, die Namen der Klassenkameraden und Kameradinnen und die der Lehrerinnen und Lehrer, ich schaute nach den Hausaufgaben, ging zu den Elternabenden, füllte Kühlschrank und die Waschmaschine.
Ich war intellektuell oft unter-, emotional aber überfordert. Aber ich lernte, mit meiner und der Ungeduld meiner Kinder zu leben und nicht flüchten zu können. Und so viel über sie und mich zu lernen und sie zu lieben.
Inzwischen sind beide groß: Jakob studiert und lebt in London. Franziska macht gerade Abitur. Sie wohnt noch bei mir.
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