Der neue Mann nimmt mittwochnachmittags frei
Vizekanzler Sigmar Gabriel hat den Mittwochnachmittag öffentlich zu seiner Papa-Zeit erklärt. Sie freue sich über die Entwicklung, dass Väter immer selbstverständlicher Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, sagt Christina von Braun. Dass daraus eine Schlagzeile wird, hält die Kulturtheoretikerin aber für problematisch.
Gabi Wuttke: Wow, auch Politiker sind lernfähig: Kirche und Küche bleiben zwar Geschmackssache. Aber fast 60 Jahre, nachdem die Gewerkschaft die Sechs-Tage-Woche mit "Samstag gehört Vati mir" forderte, erklärt SPD-Chef Sigmar Gabriel den Mittwochnachmittag zu seiner Papa-Zeit – nicht klammheimlich, sondern mit Schlagzeile. Mediale Männer finden das toll und nutzen die Gelegenheit, lobend über die Vorzüge der Elternzeit zu schreiben. Wir wollen wissen, was eine Frau von dieser neuen Masche hält, die Professorin Christina von Braun, Kulturtheoretikerin und Genderforscherin an der Humboldt-Universität. Einen schönen guten Morgen!
Christina von Braun: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Loben Sie einen Politiker, der sich in der Woche einen halben Tag Zeit für seine Tochter nimmt?
von Braun: Ich weiß gar nicht, ob er auf mein Lob angewiesen ist, aber natürlich finde ist es lobenswert, also ich finde, es ist ein Gewinn für einen selber, für den Vater, aber ich finde es auch einen Gewinn für die Gesellschaft, wenn es so selbstverständlich wird, dass ein Vater eben auch als Verantwortlicher für die Kinder gesehen wird. Also insofern – loben würde ich ihn nicht direkt, aber ich freue mich, wenn diese Entwicklung, wenn auch sehr, sehr langsam, vorangeht.
Wuttke: Man kann sich ja auch fragen: Was machen Tochter und Mutter die sechseinhalb Tage ohne ihn?
von Braun: Genau, genau das ist eben die Frage. Niemand stellt sich in so hoch emotionaler Weise diese ganze Frage. Das ist das viel größere Problem. Erregen müssten wir uns viel mehr über die vielen Frauen, die allein gelassen werden mit ihren Kindern und den finanziellen Problemen eben oft, weil diese Frauen auch oft an der Armutsgrenze sich bewegen.
Wuttke: Die Familie von Sigmar Gabriel hat sicherlich keine finanziellen Sorgen, aber auch seine Lebenspartnerin wird ja mit der Tochter alleine gelassen, und es wird andererseits dieser Mittwochnachmittag in eine Schlagzeile gepackt. Trotzdem ist das für Sie eine positive Entwicklung?
"Immer gibt es einen Grund zur Polemik"
von Braun: Na, ich finde die Schlagzeile keine positive Entwicklung. Eigentlich finde ich es sehr problematisch, dass wir solche Schlagzeilen überhaupt haben. Und da gibt es schon ein Problem, das speziell Deutschland betrifft, also es gibt kein anderes Land, wo diese ganze Frage derartig emotional hoch aufgeladen und polemisch behandelt wird wie in Deutschland. Egal, ob wir Kinder kriegen oder keine Kinder kriegen, immer gibt es einen Grund zur Polemik. Und ich finde, wir müssten uns darüber noch mal Gedanken machen, was eigentlich in diesem Land sowohl in der Paarbeziehung los ist als auch in der Tatsache, dass wir relativ wenig Kinder in die Welt setzen. Und hier scheint mir eigentlich ein Problem zu sein, das mit der deutschen Geschichte vielleicht zusammenhängt oder auch mit anderen Faktoren, die spezifisch deutsch sind, darüber sich Gedanken zu machen und warum das so viel Grund für Erregung ist.
Wuttke: Ich greife jetzt noch mal eine andere Schlagzeile auf, die heißt Ronald Pofalla. Sein Ausscheiden aus der Politik wurde mit Verweis auf seine – und ich zitiere – junge Frau begründet. Bin ich jetzt polemisch, wenn ich frage, ob eine gleichaltrige Frau nicht der Grund sein kann, weshalb ein Mann beruflich kürzertritt?
von Braun: Es hat durchaus Männer gegeben, die auch für ihre gleichaltrigen Frauen zurückgetreten sind und in der Politik kürzer getreten sind, ich denke zum Beispiel an Steinmeier und an andere. Also das sollten wir einerseits nicht vergessen. Aber es hat natürlich auch hier ein bisschen einen Showbusiness-Aspekt dabei, vor allen Dingen, wenn man weiß, dass er sich dann um einen anderen Job kümmert. Aber auch hier, ich muss wirklich sagen, hier ist irgendetwas schief in der ganzen Art, wie diese Fragen behandelt werden. Ich will nur mal eine interessante Untersuchung ... Da ich ja Kulturhistorikerin bin, gucke ich da manchmal auch mit historischer Perspektive drauf.
Und es gab Ende des 19. Jahrhunderts einen großen französischen Soziologen, der hat eine Untersuchung über den Suizid gemacht, und der hat festgestellt, dass in den Ländern, wo die Scheidungsraten rauf gingen, die Suizide von Frauen zurück und die von Männern hochgingen. Und er endet das Kapitel damit, dass er sagt, offenbar sei die Institution Ehe nicht zum Schutz der Frau, sondern zum Schutz des Mannes da. Und das ist etwas, wo ich finde, worüber man sich wirklich noch mal Gedanken machen muss. Ob nicht die Eheinstitution an sich viele Schieflagen hat und die Paarbeziehung als solche eben auch Probleme mit sich bringt und wir eigentlich immer um den heißen Brei herum reden, was hier eigentlich los ist.
Wuttke: Der heiße Brei, das ist ja nun eine sehr, sehr private Sache. Es ist aber trotzdem die Frage, wie wir – und das haben Sie ja eben gerade auch als sehr problematisch geschildert –, wie wir öffentlich damit umgehen. Also gibt es jenseits der Probleme, die Sie zu Recht geschildert haben, eine Instrumentalisierung der Politiker, oder lohnt es, mehr darauf zu schauen, inwiefern männliche Journalisten über auch ein Lob für die eigene Landsmannschaft das öffentliche Bild prägen, das ja lange noch nicht so ist, wie wir es gerne hätten?
Männerrollen unter Druck
von Braun: Mentalitätsgeschichtlich hat sich innerhalb der letzten 100 Jahre unglaublich viel ... Ich glaube, es hat keine andere Epoche der Geschichte gegeben, wo sich so viel verändert hat in den Geschlechterrollen in einer solchen Geschwindigkeit. Das vergessen wir manchmal. Und das hat sich natürlich vor allen Dingen für die Frauen viel verändert, mit der politischen Mündigkeit, der ökonomischen Mündigkeit und so weiter. Dass jetzt ganz allmählich auch die Männerrollen unter dem Druck dieser Veränderung sich ändern, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Aber gerade an solchen Begriffen wie Landsmannschaft können Sie schon erkennen, dass eben vieles von den Mentalitäten gar nicht so schnell sich bewegt, wie sich die juristische und die soziale Realität weiterbewegen. Und da ist, glaube ich, tatsächlich viel Arbeit noch zu leisten auf der Ebene dieser Begriffe und der Art, wie Mythen sich eben als viel langlebiger erweisen als die soziale Realität.
Wuttke: Christina von Braun in der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur, die Kulturtheoretikerin von der Humboldt-Universität. Ich danke Ihnen sehr!
von Braun: Bitte schön!
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