Geschütztes Schützenhaus

Von Martin Reischke · 13.04.2007
Vor wenigen Tagen wurde die thüringische Kleinstadt Pößneck bundesweit bekannt: Denn auf Antrag der Stadt entzog das Amtsgericht Jena dem Hamburger Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger die Verfügungsgewalt über das Schützenhaus der Stadt, das er vor drei Jahren ersteigert hatte.
Pößneck freut sich über den juristischen Coup gegen Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger. Doch genauso wichtig wie die Entscheidung des Gerichts ist die Basisarbeit vor Ort. Deshalb unterstützt die Stadt das lokale Aktionsbündnis Courage. Auch die Sparkasse zieht mit - und hilft dem Bündnis mit Büroräumen in der örtlichen Filiale. Nun wird Pößneck auch am neuen Bundesprogramm gegen rechts teilnehmen.

"Wir haben gedacht, wenn du das zuerst vorstellst und dann verabschieden wir dich dann, ja, gut, gut, wir haben gedacht so zehn Minuten, reicht ihnen das – ja,ja, kann auch kürzer sein."

Dienstagnachmittag in der Sparkasse im thüringischen Pößneck. Während im Erdgeschoss die Kontoauszugsdrucker rattern und Geldautomaten Euroscheine ausspucken, treffen sich drei Etagen höher die Honoratioren der Kleinstadt: Pfarrer und Bürgermeister sind gekommen, der Direktor des hiesigen Gymnasiums und ein Vertreter des örtlichen Sportvereins. Sie alle sind Mitglied im Begleitausschuss des lokalen Aktionsplans gegen Rechtsextremismus.

Der Pfarrer, der Schuldirektor, der Bürgermeister: Eine Stadt wehrt sich gegen rechts. Dieser Kampf hat in Pößneck ein Symbol. Es ist ein helles, großes Gebäude am Rand der historischen Altstadt – das Schützenhaus, erbaut vor mehr als 200 Jahren. Im Dezember 2003 hat die "Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited" mit Sitz in London das Haus gekauft. Damals ahnte niemand, wer sich hinter dem ominösen Namen verbergen könnte, erzählt Bürgermeister Michael Modde.

"Also zu Beginn wusste gar keiner, wer diese Tietjen-Stiftung ist und das ist dann durch die überregionale Presse bekannt geworden, und dann war es sehr ruhig um das Schützenhaus."

So interessiert sich zunächst kaum jemand dafür, dass hinter der Londoner Firma der Hamburger NPD-Anwalt Jürgen Rieger steckt. Denn nach außen ist von rechten Aktivitäten nichts zu sehen.

"Fast anderthalb Jahre war das so ruhig, wo man dachte, es wird gar nichts passieren, bis dann überraschenderweise der 2. April da war."

Ein gespenstisches Ereignis: Rund 1500 Neonazis treffen sich am 2. April 2005 in Pößneck. Kurzfristig und ohne Genehmigung haben sie den NPD-Landesparteitag in das Schützenhaus verlegt. Am gleichen Tag gibt der Sänger Michael Regener von der Neonazi-Band Landser dort sein Abschiedskonzert, bevor er eine mehrjährige Haftstrafe antreten muss. Die Polizei ist machtlos, erinnert sich Jörg Reichmann, Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Pößneck.

"Es war noch das Problem, dass an diesem Tag auch ein Stadtfest, eine Kneipentour in Pößneck war, also da hätte durchaus auch die Sache eskalieren können ohne weiteres und die Polizei hätte nichts machen können außer Schadensbegrenzung und das hat natürlich alle Offiziellen in der Stadt unglaublich aufgeschreckt."

Schon einige Tage später organisiert die Stadt gemeinsam mit dem Landkreis eine Gegendemo. Doch einige Pößnecker Jugendliche wollen mehr als die üblichen Betroffenheitsbekundungen. Auch für Sebastian Klauder ist die NPD-Veranstaltung Anlass für eine dauerhafte Initiative.

"Und das war eigentlich so die Initialzündung, dass sich Tage darauf Jugendliche aus verschiedensten Jugendkulturen zusammengefunden haben erstmal mit dem Ziel natürlich: Wir müssen was dagegen machen."

Zusammen mit einigen Jugendlichen gründet der 24-Jährige das Aktionsbündnis Courage, kurz ABC. Schnell organisieren sie Seminare zum Thema Rechtsradikalismus, Aufklärungsveranstaltungen oder Gespräche mit Neonazi-Aussteigern.

Der damalige Bürgermeister Michael Roolant dagegen setzt auf die Bürokratie, um den neuen Eigentümer des Schützenhauses auszubremsen.

"Intern sind behördenmäßig sehr viele Initiativen gelaufen und Aktivitäten. Manche Dinge müssen nicht offen auf dem Marktplatz ausgetragen werden, sondern intelligentere Lösungen werden auch in manchen Kammern erdacht und umgesetzt und die sind in Pößneck sehr wirksam gewesen, denn das Schützenhaus ist so nie zum Laufen gekommen, wie die rechte Szene sich das vorgestellt hat."

Tatsächlich gelingt es den Behörden, den offiziellen Betrieb des Schützenhauses als Rechten-Treff in der Region zu verhindern.

Doch schon bald zeigt sich, dass Bürgermeister und Jugendinitiativen nicht immer die gleiche Sprache sprechen. Im September 2005 plant das Aktionsbündnis Courage mit der Hamburger Initiative "Laut gegen Nazis" in Pößneck ein Konzert gegen rechts – ohne Erfolg, erzählt Sebastian Klauder vom Aktionsbündnis Courage.

"Als es dazu kam, dass wir es schaffen konnten, dieses Konzert hier nach Pößneck zu holen, war die Meinung unseres damaligen Bürgermeisters, dass Pößneck nicht über die notwendigen Veranstaltungsräume, um so ein Konzert stattfinden zu lassen, für diesen Tag verfügt."

Kein Raum für ein Konzert? Frank Hofmann, der als Ansprechpartner der Kontaktstelle für mehr Demokratie und Zivilcourage die Arbeit gegen rechts bis zum März diesen Jahres koordinierte, hat andere Erinnerungen.

"Damals bei dem Konzert 'Laut Gegen Nazis', das dann nicht in Pößneck stattgefunden hat, hatte der damalige Bürgermeister Michael Roolant Angst, dass es zu Straßenschlachten links gegen rechts kommen könnte."

Ex-Bürgermeister Michael Roolant wehrt sich gegen die Vorwürfe. Dem geplanten Konzert in der städtischen Shed-Halle habe er aus einem einfachen Grund nicht zustimmen können, sagt Roolant.

"Das war nicht möglich, weil ein anderer Veranstalter das schon langfristig gebucht hat."

Am Ende findet das Konzert doch statt – allerdings nicht in Pößneck, sondern im Nachbarort Neustadt an der Orla. Zurück bleiben verärgerte Jugendliche und ein Bürgermeister, der sich zu Unrecht als Konzertgegner diffamiert sieht.

Pfarrer Jörg Reichmann hat eine einfache Erklärung für das Verhalten von Ex-Bürgermeister Roolant.

"Mein Eindruck ist der: Er wollte eine sehr solide und sehr nachhaltige Arbeit organisieren und dass das Konzert nicht stattgefunden hat, ist auf Deutsch gesagt ein Kommunikationsproblem gewesen."

Ein Kommunikationsproblem, das nie ganz gelöst werden kann: Bis zu seiner Abwahl 2006 finden Bürgermeister Roolant und die Jugendinitiative keine gemeinsame Ebene.

Unterstützung für das Aktionsbündnis Courage kommt von ungewöhnlicher Seite. Auf einer Podiumsdiskussion mit Wolfgang Thierse erfährt Helmut Schmidt, der Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse, von dem Projekt.

"Und bei dieser Gelegenheit hat das ABC mal berichtet über ihr Vorhaben, über die Schwierigkeiten vor Ort und insbesondere dass eine Basis für die tägliche Arbeit fehlt und für ein Versprechen von Wolfgang Thierse noch einmal zu uns nach Pößneck zu kommen habe ich gesagt, dann würde ich auch eine Basis schaffen für die jungen Leute."

Schnell und unbürokratisch stellt die Sparkasse zwei komplett eingerichtete Büroräume zur Verfügung – für das Aktionsbündnis, und für die Kontaktstelle für mehr Demokratie und Zivilcourage. Auch die laufenden Kosten übernimmt die Bank. Nun residieren Sebastian Klauder und seine Mitstreiter mitten im Zentrum von Pößneck, in der zweiten Etage der Sparkasse.

Für Banker Helmut Schmidt eine Selbstverständlichkeit – schließlich unterstütze die Sparkasse keine Partei, sondern die Verteidigung der Demokratie. Doch nicht alle stehen der Idee von Beginn an offen gegenüber.

"Eine Reaktion aus der Branche habe ich nicht bekommen, wobei ich sagen muss, es war am Anfang gar nicht so einfach, dass auch meinen Mitarbeitern klar zu machen, denn es gibt Berührungsängste und unsere Mitarbeiter hatten die typische Situation wie viele denke ich, sie hatten Angst vor den Folgen, wenn man sich gegen rechts wendet."

Angst vor den Folgen: Die Sparkassenangestellten sind da keine Ausnahme. Auch die Pößnecker haben sich am Anfang eher zurückgehalten, erzählt Sebastian Klauder.

"Am Anfang war das sicherlich so, dass die Leute etwas distanziert waren, weil sie gesehen haben: Oh, das sind ganz viele Jugendliche, die sind sehr bunt gemixt, also es war ja alles dabei, vom Punker bis zum Abiturienten etc., und das hat am Anfang ein bisschen verwirrt."

Heute ist das anders – auch weil sich die Jugendinitiative selbst gewandelt hat. Durch das klare Bekenntnis zum gewaltfreien Widerstand haben sie zwar einige Mitstreiter verloren. Doch genau das hat ihnen geholfen, von der Mitte der Gesellschaft akzeptiert zu werden.

"Nach etwa einem Jahr haben die Leute schon bemerkt, dass wir das ernst meinen, also dass wir nicht so eine Gruppe sind, die sich nach so einem Konzert kurz aufgeregt haben, dass so viele Nazis feiern, sondern dass wir das kontinuierlich verfolgen. Und das ist aufgegangen, das war erfolgreich bis jetzt. Mittlerweile können wir schon sagen, dass wir hier in Pößneck doch ernst genommen werden als Jugendinitiative."

Ernst genommen im Kampf gegen rechts – das ist ein Erfolg der kontinuierlichen Arbeit. Er zeigt auch, dass die Sensibilität für das Thema in der Stadt durchaus gewachsen ist.

Nun könnte der Stadtverwaltung sogar der Coup gelingen, dem NPD-Anwalt Jürgen Rieger das Schützenhaus zu entziehen. Einem entsprechenden Antrag der Stadt Pößneck hat das Amtsgericht Jena vor wenigen Wochen stattgegeben. Hintergrund der Gerichtsentscheidung ist ein formaler Fehler von NPD-Anwalt Rieger, der zur Löschung der englischen Firma "Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited" im Handelsregister geführt hatte – der offiziellen Eigentümerin des Schützenhauses.

So könnte das Schützenhaus in Pößneck zwei Jahre nach der NPD-Veranstaltung wieder zu einem Symbol werden, diesmal allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Als Symbol dafür nämlich, dass Verwaltungshandeln im Kampf gegen rechts zu sichtbaren Erfolgen führt. Pfarrer Jörg Reichmann bleibt allerdings skeptisch.

"Wenn das gut geht, wäre das ein großer Erfolg, wäre natürlich für die andere Sache dann so: Es fehlt dann sozusagen das Feindbild, es fehlt das gegnerische Symbol, um zu sagen: Dagegen müssen wir jetzt angehen."

Doch ein Symbol ist eben nur ein Symbol, und deshalb müsse die Arbeit jetzt erst recht weitergehen, meint Reichmann.

"Ich kann mir gut vorstellen, dass die Rechten sich auch was anderes einfallen lassen, also es brodelt weiterhin, es ist ja nicht so, dass das an dem Gebäude hängt, und von daher denke ich mal wird es jetzt mit dem lokalen Aktionsplan, den es gibt, besonders wichtig sein, diese Nachhaltigkeit der Arbeit, die einmal angefangen worden ist, aufrechtzuerhalten."

Das könnte durchaus gelingen, denn die Stadt ringt nicht nur um das Schützenhaus, sondern hat sich auch für das neue Bundesprogramm gegen rechts beworben. Mit Erfolg: Nun stehen der Stadt mindestens bis 2009 jährlich 100.000 Euro Fördermittel zur Verfügung, der Arbeitskreis Schule-Wirtschaft des Saale-Orla-Kreises gibt zusätzlich noch 20.000. Geld, das helfen kann, viele weitere kleine Projekte zu organisieren. Denn Demokratieförderung sei auch weiterhin nötig, meint der frühere Koordinator der Kontaktstelle für mehr Demokratie und Zivilcourage, Frank Hofmann.

"Ich denke, es ist besser geworden im Laufe der letzten zwei Jahre, allerdings ist es immer noch so, dass viele Menschen eher ängstlich sind, sich da klar zu positionieren bzw. gibt es dieses Gedankengut eben auch in der bürgerlichen Schicht, also das kann man nicht wegdiskutieren."

Manchmal ist es aber auch der Schulter zuckende Fatalismus der Mitmenschen, der die Arbeit erschwert. Schließlich genieße auch die NPD noch immer den Status einer zugelassenen Partei, erklärt ein Einheimischer.

"Wie gesagt, es ist eine zugelassene Partei, und die dürfen, meine Meinung… Also hätten die das behalten, ich hätte das auch nicht irgendwie, solange die keine Randale machen oder so muss man es tolerieren."

Pfarrer Reichmann sieht das anders. Er befürchtet in Zukunft ein stärkeres soziales Engagement der Rechten – und will deshalb schon heute gegensteuern.

"Was wirklich Schwierigkeiten machen würde, wäre, wenn beispielsweise vom rechten Lager aus, was ja auch immer wieder probiert wird in solch strukturschwachen Gegenden wie wir es sind, ein echtes Sozialprojekt angeschoben würde, dass also gezielt junge Familien irgendwelche Hilfestellungen kriegen, wenn die NPD Familienfeste macht oder was auch immer und dann im Nachhinein irgendjemand kommt, der einfach strukturierten Leuten ihr Leben organisiert."

Diese Hilfe will Reichmann keinesfalls den Rechten überlassen. Gemeinsam mit dem Pößnecker Freizeitzentrum und weiteren Partnern arbeitet der Pfarrer daher am "Bündnis für Familie". Es soll bedürftigen Menschen auf demokratischer Basis Hilfe sein – und so eine Alternative zu den Lockungen der Rechtsradikalen bieten.

So kann die Arbeit weitergehen – auch ohne das Symbol Schützenhaus. Als so genannter Nachtragsliquidator ist der Pößnecker Anwalt und CDU-Stadtrat Alf-Heinz Borchardt damit beauftragt, sich um die Verwaltung des Hauses zu kümmern.

"Das ist für mich eine ganz normale Tätigkeit, ich mache häufiger Nachtragsliquidationen oder Liquidationen, und das ist für mich zunächst einmal eine Nachtragsliquidation wie jede andere auch."

Ganz routiniert verfährt Anwalt Borchardt deshalb mit dem Schützenhaus. Gegen die Mieter hat er eine Räumungsklage eingereicht, da die Miete nicht pünktlich gezahlt wurde, außerdem hat er ein Verkehrswertgutachten in Auftrag gegeben, um den Wert des Gebäudes bestimmen zu lassen. Am Ende soll es verkauft werden.

Bürgermeister Michael Modde hat bereits Interesse bekundet. Er will das Vorkaufsrecht der Stadt nutzen.

"Das Schützenhaus ist ein großes Gebäude im Sanierungsgebiet der Stadt Pößneck, und es wäre fatal, wenn das aufgrund der ungeklärten Eigentumsverhältnisse einfach verfällt, das wäre eine Ruine in unserer Stadt, die wir uns nicht leisten wollen, die Stadt hat ein ureigenes Interesse, geordnete Eigentumsverhältnisse herbeizuführen."

Das wird allerdings noch ein wenig dauern. Denn auch Jürgen Rieger, der im Februar zum Hamburger NPD-Vorsitzenden aufgestiegen ist, hat reagiert. Seiner Beschwerde gegen die Anordnung der Nachtragsliquidation wurde vom Landgericht Gera stattgegeben. Nun warten alle Beteiligten auf das endgültige Urteil, das über die Zukunft des Schützenhauses entscheiden wird.

Doch Symbol hin oder her: Für Sparkassen-Chef Helmut Schmidt hat der juristische Etappensieg schon jetzt gezeigt, wie wichtig Engagement gegen rechts ist.

"Man kann doch auch hier deutlich sagen: Es lohnt sich, gemeinsam gegen Rechtsradikalismus einzutreten, gemeinsam die Möglichkeiten auszuloten, was kann dagegen getan werden und warum sollte denn ein Erfolg gerade pessimistisch stimmen, es ist doch eigentlich gerade ein Grund, optimistisch zu sein, zu sagen, es lohnt sich, und hier ist es auch nicht wichtig, wer was erreicht hat, sondern dass wir gemeinsam künftig wachsamer sind."