Erinnerung an die Weiße Rose – eine Spurensuche in München
Es sind kleine Gedenkorte, die an das Wirken der 1943 ermordeten Geschwister Scholl in München erinnern. Viele Menschen in München machen sich Gedanken darüber, was ihnen der Widerstand der Scholls heute bedeutet.
An der Franz-Josef-Straße Nummer 13 herrscht reger Baulärm. Seit Wochen wird das Haus gleich an der Ecke zur U-Bahnstation Giselastraße saniert. Ein massives Gerüst bedeckt die graue Gedenktafel an der Hauswand.
"Wir stehen jetzt hier vor dem ehemaligen Wohnhaus von Hans und Sophie Scholl."
Kinder fahren mit Fahrrädern vorüber, Bauarbeiter räumen ihr Werkzeug in die Autos. Hier, in einem zweistöckigen Rückgebäude, Zweizimmerstudentenbude, vermietet von einer älteren Frau, saßen sie ab Sommer 1942 zusammen, die Geschwister Scholl - Hans, der Medizinstudent und Sophie, eingeschrieben als Philosophiestudentin.
Das Unihauptgebäude nur wenige Gehminuten entfernt. Man stellt sie sich vor, wie sie in diesem Haus diskutieren, mit Freunden wie Alexander Schmorell ein Glas Wein trinken, die Naziregierung verachten, Spaziergänge rüber zum Englischen Garten machen und die berühmten Flugblätter entwickeln, die sie von diesem Haus aus verteilen:
"Danach hat der Alexander Schmorell hier in der Wohnung beim Scholl übernachtet zum Beispiel, also die Wohnung war einfach taktisch gut gelegen, um nach so einer verbrachten Nacht sich einfach hinzulegen und nicht mehr rauszufahren zur Menterschwaige."
Enorm wichtig, dass die Meinungsfreiheit so geäußert wird
Wo das Elternhaus der Schmorells steht, erzählt Michael Greinwald. Er studiert heute Geschichte an der LMU, ist ungefähr im Alter von Hans Scholl damals. 1943 wurde die Widerstandsgruppe enttarnt, Hans und Sophie Scholl hingerichtet. 75 Jahre nach dem Ende der Weißen Rose – sind sie noch ein Vorbild für Münchner Studenten?
"Es ist ja oft so bei historischen Persönlichkeiten, dass irgendwann mal dunkle Seiten hervorkommen und da eine Neubetrachtung einsetzt, aber das kann ich bei der Weißen Rose nicht wirklich sehen."
Die wenigen Meter zum Universitätshauptgebäude dauern auch heute nur einige Gehminuten. Im Februar 1943 trugen Hans und Sophie Scholl braune Aktentaschen mit den Flugblättern mit sich, verteilten sie im Lichthof der Uni. Von wo genau, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Man weiß nur, vom zweiten Stockwerk aus:
"Ich denke, zumindest hier an der LMU kommt rein dinglich keiner vorbei an der Weißen Rose aufgrund der doch hohen Zahl an Denkmälern. Ich glaube aber, sagen zu können, dass über einen relativ seichten Überblick darüber hinaus recht wenig bekannt ist an Details."
Ein junger Student wartet im Eingang, modischer Mantel, die Haare zurückgegelt, weiße Sneaker, Typ BWL-Student. Weiße Rose heute, für ihn?
"Enorm wichtig – enorm wichtig, dass die Meinungsfreiheit so geäußert wird, dass man politisch alle Möglichkeiten zieht, im Rahmen der Gesetzgebung aktiv zu werden und mitzugestalten."
Weiße Rosen vor den Namen der Geschwister Scholl
Die Situation sei nicht vergleichbar, heute würde man sich anderer Mittel bedienen:
"Social Media ganz klar, Flugblätter glaube ich, das kann PR-wirksam sein, wenn das 'mal wieder gemacht werden würde – in so einer großen Aktion mal wieder –, aber dann in Social Media festgehalten das Ganze."
Immer wieder bleiben junge Leute vor dem Denkmal im Lichthof stehen. Weiße Rosen stehen vor den Namen der Geschwister Scholl. Einhundert Jahre wäre Hans Scholl in diesen Tagen geworden:
"Hab hier mal selber vor längerer Zeit an der Uni studiert und das ist gerade in der Zeit, wo das Thema Rechtsradikalität wieder oben aufsteht nochmal ein starkes Zeichen, das hier gesetzt wurde mit den Flugblättern, die hier verteilt wurden."
Man habe heute eigentlich nicht mehr die Zeit als Student, meint der Begleiter: "Das ist halt auch eine Frage der Zeit und wie man drüber diskutiert und wie man es anpackt. Ob man es über Verbände macht oder rein aus eigener Motivation macht."
Vereinnahmung durch die AfD
Ein Münchner, aber auch andere AfD-Gruppen in Deutschland verwenden derzeit Zitate der Weißen Rose für ihre politischen Ziele. So etwa: "Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique regieren zu lassen".
Geschichtsstudent Michael Greinwald dazu:
"Ich persönlich tue mich sehr schwer, diese Gedankenwelt auf heutige Parteienpolitik umzumünzen, einfach weil es aus dem historischen Kontext gerissen ist, denn wir müssen uns vor Augen halten, dass wir in einer Zeit leben, in der wir uns Widerstand leisten können."
Die Stiftung Weiße Rose wehrt sich gegen diese Vereinnahmung. Ihre Vorsitzende Hildegard Kronawitter kann dagegen nicht juristisch vorgehen, da die Rechte der Widerstandsgruppe aus den USA heraus betreut werden. Sie vertraut aber auf den Menschenverstand der Bevölkerung:
"Wir stellen natürlich fest, dass aktuell aus sehr durchsichtigen, politischen Gründen ein Missbrauch des Namens der Weißen Rose stattfindet. Es gibt Zitate, die Hans Scholl zugeschrieben werden, die er nie sagte... also ich bin insofern gelassen, weil ich denke, die Menschen wissen, wofür die Widerstandsgruppe stand. Die Weiße Rose verbindet sich mit Toleranz, mit Freiheit, mit demokratischer Verantwortung und wer diese Werte für sich selbst nicht pflegt, der kann sich nicht auf sie berufen."
In Sichtweite der JVA Stadelheim
"Hallo, Grüß Gott. Suchen Sie was bestimmtes?" Der 93-jährige Friedhofsbesucher fragt freundlich und zeigt den Weg.
Es dauert etwas, bis man das Grab der Geschwister Scholl auf dem Friedhof am Perlacher Forst findet. Ein frischer Gedenkkranz der Landeshauptstadt München steht neben den drei hohen, kohlrabenschwarzen, schmalen Kreuzen. Zwei miteinander verbundene für die Geschwister Scholl, daneben das für ihren Freund Christoph Probst. In Sichtweite die noch heute arbeitende Justizvollzugsanstalt Stadelheim:
"Ich habe das ja mitgemacht." - 1925 ist der Friedhofsbesucher geboren, gerade einmal sieben Jahre jünger als Hans Scholl. An Widerstand dachte er 1943 als 18jähriger damals in München nicht. Viel zu gefährlich. Von den Flugblättern der Weißen Rose habe er erst nach dem Krieg erfahren.
"Was soll ich sagen? Ich habe Glück gehabt. Und der Krieg war da, aber Gott sei Dank habe ich Vorgesetzte gehabt, die sich für ihre Untertanen eingesetzt haben."