Gesellenprüfung vor der Lehre

Von Bernd Sobolla |
Das Buch "Rolltreppe abwärts" des im letzten Jahr verstorbenen Autors Hans-Georg Noack ist fester Bestandteil des Unterrichts an deutschen Schulen. Jetzt haben junge Leute, die kaum älter sind als die Hauptfigur des Jugenddramas, den Roman verfilmt. Der Regisseur Dustin Loose ist 18 Jahre alt, der Produzent Christoph Zwickler 20. Damit haben die Schüler ihre Gesellenprüfung erfolgreich abgelegt, ehe sie überhaupt ihre Lehre angefangen haben.
Szene aus "Rolltreppe abwärts":
"Hast du mich nicht verstanden, Boxer?"
"Wau, wau."
"Ha. Ich habe wohl nicht richtig gehört. Was war das?"
"Wau, wau, wau!"
"Aufhören, habe ich gesagt".
"Wir sind keine Hunde! Wir sind keine Hunde!"
"Auf die Stufen, aber schnell! Es gibt heute kein Frühstück!"

Im Erziehungsheim herrschen wilde Töne: Denn die Jugendlichen lehnen sich gegen Hamel auf, den Chef des Heims. Dieser versteht sich als Zuchtmeister, ein Hundenarr, der allen Jungen einen Hundenamen verpasst. Und Jochen, der neue, heißt bei ihm Boxer. Der 13-jährige Jochen ist zu diesem Zeitpunkt schon ein Stück mit der Rolltreppe des Lebens gefahren - und immer ging es abwärts.

Bereits mit dem Stück "Crazy" hatte sich die Theatertruppe um Regisseur Dustin Loose an einem Jugenddrama versucht. Der nächste Schritt lag also nicht so fern.

Dustin Loose: "Man muss dazu sagen, das 'Junge Theater' Bonn ist ein professionelles Theater. Da wird also zusammen mit Jugendlichen und professionellen Schauspielern auf der Bühne gespielt. Von daher haben wir da schon relativ viel Blut geleckt. Und haben gesagt: 'Gut, das ist unser Bereich! Das wollen wir machen!' Und dann haben wir einfach einen anderen Weg gesucht, um uns auszudrücken. Und da war Film oder Video das, was uns auch gefallen hat."

Und besonders gefiel Dustin Loose und seinen Freunden das Jugenddrama "Rolltreppe abwärts", das sie in der Schule lasen. Der Autor Hans-Georg Noack hatte das Werk Anfang der 70er Jahre geschrieben. Und schon viele Filmemacher wollten daraus einen Film machen. Aber stets lehnte Noack ab. Meist war er mit den Drehbüchern unzufrieden. Erst als sich Dustin Loose und Christopher Zwickler bei ihm meldeten, stimmte er schließlich zu. Und wenige Monate vor seinem Tod tauchte Noack dann sogar in Bonn auf. Dazu der Produzent Christopher Zwickler:

"Eine ganz besondere Überraschung war es dann bei den Dreharbeiten, dass Hans Günter Noack die Dreharbeiten besucht hat und die Jugendlichen bei ihrer Arbeit begutachtet hat. Da hat er gesagt, dass er begeistert ist von der Professionalität der Beteiligten und hat auch dem Dustin für seine Casting-Entscheidungen ein ganz großes Kompliment ausgesprochen, indem er gesagt hat, dass Dustin nicht nach Schönheiten gesucht hat, sondern nach Charakterköpfen. Und das ist ein ganz großes Lob für den Dustin gewesen."

Loben muss man auch, wie konsequent die jungen Filmemacher die Story umgesetzt haben. Beschönigt wird hier nichts: Ihr Protagonist Jochen hat weder Freunde noch einen Vater, und den neuen Lebensgefährten seiner Mutter akzeptiert er nicht.

Seine Mutter arbeitet viel, kann sich wenig um den Jungen kümmern, der sich wiederum die einsamen Stunden mit kleinen Kaufhausdiebstählen vertreibt. Doch angestiftet durch Alex, einem vermeintlichen Schulfreund, weiten sich die Diebstähle aus. Jochen wird erwischt, erntet Zuhause Prügel und anschließend den Spott seiner Mitschüler. Er dreht durch, schlägt Alex zusammen und landet im Erziehungsheim, wo ihn seine Mutter nur sporadisch besucht.

Szene aus "Rolltreppe abwärts":
" Hallo, ich habe dir auch was mitgebracht."
"Eigentlich haben wir ja alles, was wir brauchen."
"Dann gefällt es dir also?"
"Ja, sehr gut. Wirklich nette Leute sind hier."
"Dann hast du gar kein Heimweh gehabt?"
"Hier ist es doch schön. Schöner als Zuhause. Als hätte man eine richtige Familie."
"Siehst du, dann war es also doch richtig, dass wir dich hier hergebracht haben. Was wäre sonst aus dir geworden?"

"Rolltreppe abwärts" ist ein schnörkelloses Jugenddrama. Das, man will es kaum glauben, immer noch eine Drehung nach unten findet, dem gesellschaftlichen Ende der Fahnenstange entgegen. Die Schauspieler überzeugen, allen voran Timo Rüggeberg als introvertierter Jochen und Diana-Maria Breuer in der Rolle der überforderten Mutter. Für sie war es auch kein Problem, größtenteils mit 17-21-Jährigen zu drehen.

"Ich habe da sofort zugesagt, weil ich auch schon öfters mit Jugendlichen gearbeitet habe. Allerdings nicht unter ihrer Regie, sondern ich habe dann Regie gemacht. Aber ich war dann in diesem Fall so unglaublich froh von so einer enthusiastischen und engagierten Gruppe. Das hat mir unwahrscheinlich viel Spaß gemacht, da mitzumachen. Und ich finde, dass auch was Gutes bei raus gekommen ist.".

Natürlich sieht man dem Film sein geringes Budget an, und es gibt mehrere Szenen, wo der Erzählfluss etwas holperig daherkommt. Diese Unebenheiten aber versteckt so manches Mal die Filmmusik von Manuel Rösler geschickt, und auch einige Kamerafahrten wirken richtig professionell.

Bei der Umsetzung des Drehbuchs hätten sich jedoch die jungen Leute trauen sollen, die Romanvorlage weiter zu verlassen. Die Figur der Mutter, die sich ihrem neuen Lebensgefährten völlig hörig erweist, ist einfach zu stark in den 70er Jahren verhaftet. Ein Meisterwerk ist "Rolltreppe abwärts" zwar nicht. Aber hier haben Schüler ihre Gesellenprüfung erfolgreich abgelegt, ehe sie überhaupt ihre Lehre angefangen haben.

Szene aus "Rolltreppe abwärts":
"Eigentlich wollte er dich als Lehrling in sein Geschäft nehmen. Aber dann meinte er, wer weiß, was die Leute reden. Und jetzt versucht er etwas anderes in einer anderen Stadt zu finden. … Wir wollen doch nur dein Bestes, Jochen! Schließlich bin ich doch deine Mutter. Und Herr Möller, der hat dich auch gern. Ich muss dann mal wieder. Bringst du mich noch zur Tür?"
"Nimm mich mit! Bring mich hier raus, bring mich hier raus!"