Du sollst nicht lügen – oder? - Darüber diskutiert Klaus Pokatzky von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Rainer Erlinger und Christian Morgenweck. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen und Fragen stellen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de – sowie auf Facebook und Twitter.
Du sollst nicht lügen – oder?
Statistisch gesehen sagen wir etwa 200 Mal am Tag nicht die Wahrheit. Brauchen wir die Lüge für den sozialen Zusammenhalt? Und woran erkennt man, dass jemand lügt? Darüber diskutieren der Ethik-Experte Rainer Erlinger und der Fachmann für Körpersprache Christian Morgenweck mit Hörern.
Die Mahnung kennen wir alle: "Du sollst nicht lügen!", die populäre Abwandlung des achten biblischen Gebots "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten". Aber kaum jemand hält sich im Alltag daran. Statistisch gesehen lügen wir etwa 200 Mal am Tag.
Wir lügen, weil uns etwas peinlich ist, um uns zu schützen, zu prahlen – oder uns einen Vorteil zu verschaffen. Wir belügen andere, weil wir ihnen die Wahrheit nicht zumuten und es uns mit ihnen nicht verscherzen wollen. Wir bluffen bei der Bewerbung und schönen unseren Lebenslauf, um eine Stelle zu kriegen. Und die Politiker halten es auch nicht immer so ganz genau mit der Wahrheit, wenn sie an Wählerstimmen kommen wollen. Und wir alle werden meist noch nicht einmal rot dabei.
Schummeln, Flunkern und Täuschen
Aber was wäre, wenn es all die großen und kleinen Lügen nicht gäbe, das Schummeln, Flunkern und Täuschen? Wenn wir alle bei der Wahrheit blieben? Warum lügen wir überhaupt und wie verwerflich ist das Lügen?
"Man braucht die Lüge als Schmierstoff zum sozialen Zusammenhalt", sagt Rainer Erlinger, Mediziner, Jurist und Publizist. Leser der "Süddeutschen Zeitung" kennen seine Kolumne "Die Gewissensfrage", in der er seit 2002 allwöchentlich Ethikprobleme erörtert. Darunter Fragen wie: Darf man einem Freund, der seine Frau betrügt, ein Alibi liefern? Oder: Sollte man die Frage "Hat es geschmeckt?" ehrlich beantworten? Die Lüge, so der Ethik-Experte, sei eines der großen Themen der Moralphilosophie. Lügen sei unmoralisch und auch verwerflich, denn es manipuliere das Gegenüber. Gleichermaßen müsse man aber immer auch abwägen zwischen dem Nutzen und dem Schaden einer Lüge:
"Immanuel Kant sah in der Lüge die 'größte Verletzung der Pflicht des Menschen gegen sich selbst' und forderte demnach sogar in Notsituationen Wahrhaftigkeit, mag 'daraus auch noch so großer Nachteil erwachsen'. Diese Auffassung teilten schon zu Kants Zeiten bei Weitem nicht alle; und inzwischen gibt es Forschungen, welche in der Lüge ein notwendiges Instrument des sozialen Zusammenlebens, gar einen Motor der Evolution erblicken."
Der Körper als Spiegel der Lüge
"Jeder sechste Satz, den wir aussprechen, enthält eine Unwahrheit", sagt Christian Morgenweck. Der Experte für Körpersprache beschäftigt sich auch mit dem Lügen – und welche Merkmale einen Menschen als Lügner entlarven. Der Körper sei der Spiegel der Lüge:
"Lügen kostet unser Gehirn sehr viel Energie. Unser Gehirn muss viele Dinge gleichzeitig tun, um eine Lüge zu kreieren und wiederzugeben. Hierbei macht jeder Lügner Fehler: entweder inhaltlich, stimmlich oder körpersprachlich."
Zwar könne man sein Verhalten und seine Mimik noch im Zaum halten, ein unechtes Lächeln trainieren. Untrügliches Zeichen seien aber die "Mikroausdrücke":
"Mikroausdrücke sind 200 Millisekunden schnell und für das ungeschulte Auge nur sehr schwer bis gar nicht zu erkennen. Man kann sie nicht verbergen – und diese sind absolut ehrlich. Es erfordert lediglich ein wenig Zeit, diese zu erkennen. Doch wenn man dies erst mal verinnerlicht hat, so ist die Einsatzweise sehr vielfältig: In Verhandlungen, beim Dating, in Meetings, in Bewerbungsgesprächen oder im Alltag hilft es uns immer, zu erkennen, was unser Gesprächspartner gerade denkt. Es verschafft uns einen enormen Wissensvorsprung."