Daniel Hornuff ist Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule in der Universität Kassel. Zuletzt erschien von ihm "Die Neue Rechte und ihr Design. Vom ästhetischen Angriff auf die offene Gesellschaft" im transcript Verlag.
Spaltung als Chance
04:19 Minuten
Gerade ist viel von Einheit die Rede: Wann sie vollendet ist, was ihr im Weg steht. In den Chor derer, die vor der Spaltung der Gesellschaft warnen und sie überwinden wollen, möchte der Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff jedoch nicht einstimmen.
Ständig warnt irgendjemand vor der "Spaltung der Gesellschaft". Und tatsächlich: In der Regel wird vor einer solchen Spaltung "gewarnt". Zu den Hauptwarnern gehören neben Politikerinnen und Politikern vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – Menschen also, die, sofern sie sich öffentlich einlassen, als Experten wahrgenommen werden.
Spaltung gilt als politisch desaströs
Nun sollte man bei Experten erwarten, dass sich ihre Expertisen in möglichst differenzierten Darstellungen von Sachverhalten ausdrücken – dass sie also abwägen und für Graubereiche sensibilisieren. Doch genau das ist bei den endlosen Spaltungswarnungen oft nicht der Fall.
Im Gegenteil: Fast alle, die vor einer "Spaltung der Gesellschaft" warnen, gehen wie selbstverständlich davon aus, dass im Grunde jede Spaltung politisch desaströs und sozial verheerend sei. Wenn Gesellschaft gespalten werde, so die Suggestion, sei diese Gesellschaft tot.
Spaltung wird also als Begriff verwendet, der ein fatales Auseinanderklaffen nahelegt. Was gespalten sei, stehe sich feindselig gegenüber. Wer von Spaltung spricht, meint einen Zustand finaler Trennung, den Zerfall eines gemeinsamen Grundes, ein Zerbrechen der Übereinkünfte.
Ein Bekenntnis ohne Substanz
Man könnte aber auch fragen: Macht es sich, wer immer nur vor der Spaltung der Gesellschaft warnt, nicht etwas zu einfach? Ist eine solche Warnung nicht vor allem wohlfeil? Letztlich wird doch niemand, der ein ernsthaftes Interesse am gesellschaftlichen Miteinander hat, für dessen Spaltung eintreten.
Warum also bekenntnishaft vortragen, was in großen Teilen der Bevölkerung Konsens zu sein scheint? Ja könnte es nicht sogar sein, dass sich Gesellschaften auch dann zu spalten beginnen, wenn sich dauernde Spaltungswarnungen zu einem kollektiven Spaltungsgefühl ausdehnen?
Wer sich immer nur gegen die Spaltung der Gesellschaft ausspricht und dabei nicht ausführt, was er sich unter einer nicht-gespaltenen Gesellschaft vorstellt, der legt ein Bekenntnis ohne Substanz ab. Möglicherweise zu bequem, eine konkrete Vorstellung der eigenen Überzeugung zu entwickeln, begnügt man sich mit der Wiederholung des Immergleichen. Die Warnung leistet einen Bärendienst: Mit guten Absichten investiert sie in ihr Gegenteil.
Ein Ideal gleicher Beschaffenheit
Dabei könnten Reflexionen über gesellschaftliche Spaltungen in höchstem Maße hilfreich sein. Denn vergessen wir nicht: Auf allen Ebenen zirkulieren romantische Phantasmen homogener, ethnisch geschlossener, kulturell entsiffter Gesellschaften. Das Nicht-Gespaltene wird zum politischen Versprechen.
Mit ihm wird ein Ideal gleicher Beschaffenheit verbunden, ganz so, als gelangten Gesellschaften erst dann zu sich selbst, wenn sie Fremdes eliminierten und das Eigene schützten. Spaltung in diesem Sinne zu überwinden heißt, Identität mit Reinheitsgeboten zu belegen.
Gefährliche gesellschaftliche Spaltungen vollziehen sich dort, wo Menschen den Eindruck gewinnen, sich nicht im vollen Umfang ihrer Möglichkeiten einbringen zu können: Auf einem hoch selektiven Mietmarkt ebenso wie auf dauerbefristeten Stellen im öffentlichen Dienst; bei der Frage nach der Chancengleichheit der Geschlechter ebenso wie beim Zugang zu kulturellen Angeboten. Bei einseitig geführten Debatten ebenso wie bei überzogenen moralischen Ansprüchen.
Wo sind Spaltungen wünschenswert und notwendig?
Was wir also bräuchten, wäre eine Diskussion darüber, wie eine nicht-gespaltene Gesellschaft aussehen kann, ohne dass sie sich rassistisch säubert. Anders gewendet: Wo sind Spaltungen wünschenswert und vielleicht sogar notwendig, um Auseinandersetzungen beleben und Debatten befördern zu können?
Und welche Spaltungsprozesse belasten eine Gesellschaft so schwer, dass Menschen beginnen, sich politisch zu radikalisieren? Kurzum: Müssten wir nicht intensiver darüber nachdenken, wie wir über gesellschaftliche Spaltungen sprechen wollen?