Krisha Kops ist Philosoph und Publizist. Er studierte Philosophie und internationalen Journalismus in London, bevor er in interkultureller Philosophie promovierte. Neben seiner theoretischen Arbeit verantwortet er im Rahmen seiner praktischen philosophischen Tätigkeit die Geschäftsführung von wirhelfen.eu.
Stopp den Vertrauensverlust!
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Es ist nicht nur eine Sache des individuellen Gefühls. Weil Vertrauen in einer Gesellschaft wichtig für ihren Gesamtzustand ist, plädiert Krisha Kops dafür, sich für möglichst viel davon einzusetzen. Am Ende profitieren alle, meint der Philosoph.
Jack Kerouac tippte seinen 1957 veröffentlichten Kultroman "Unterwegs" in drei Wochen auf eine zusammengeklebte Papierrolle. Mehrere Jahre war er dafür auf US-amerikanischen Straßen unter anderem als Tramper unterwegs.
Heute würde er diesen Roman wohl nicht mehr schreiben können. Denn die Wahrscheinlichkeit, als Anhalter mitgenommen zu werden, ist aufgrund des schwindenden gesellschaftlichen Vertrauens gesunken.
Zahlreiche Ursachen für geschwundenes Vertrauen
Dieser Vertrauensverlust ist nicht nur ein US-amerikanisches Phänomen, sondern eines, das den meisten westlicheren Gesellschaften gemein ist.
Die Gründe für Vertrauensverlust sind divers: wachsende soziale Ungleichheit, zunehmende Individualisierung, steigende Komplexität der Welt, Angst vor der Klimakatastrophe, Enttäuschungen über politische und wirtschaftliche Versprechen, fehlende Diversität in den Medien und terroristische Attacken, die unser Grundvertrauen erschüttern.
Einer der Hauptgründe ist jedoch, dass Menschen unterschiedlichster Couleur weniger miteinander in Kontakt treten. Und das liegt nicht nur an der Pandemie. Es gibt zusehends weniger Orte, an denen sich Menschen verschiedenster Herkunft, Weltanschauung und Einkommens- oder Altersgruppierungen zusammenfinden. Entweder werden diese Orte abgebaut oder homogenisiert.
Vertrauen braucht Kontakte
Aufgrund der Mietpreise und anderer Faktoren bieten Städte immer weniger Durchmischung: Vermehrt kommt es zu Gettoisierungen und dem Abbau von öffentlichen Einrichtungen. Wird etwa eine Bibliothek geschlossen, steigt die Kriminalität im entsprechenden Stadtviertel. Menschen gehen seltener vor die Tür, Jüngere lungern auf Straßen herum, während Ältere sich zurückziehen.
Aufgrund der schwindenden Mitglieder, begegnen sich Menschen auch immer seltener in Gewerkschaften, Parteien oder Kirchen. Andere Räume verändern sich durch die Automatisierung derart, dass auch sie keine Orte der Begegnung mehr sind. Beispielsweise in Supermärkten, wo wir immer seltener von Kassierern bedient werden.
Die Digitalisierung hingegen schafft durchaus auch Möglichkeiten des Kontakts, allerdings tendenziell weniger mit Menschen unterschiedlicher Gruppierungen, sondern eher mit Echoräumen der eigenen Haltung. Beim Onlineshopping begegnen wir ohnehin niemandem und im Homeoffice nur denjenigen, mit denen wir ein Meeting vereinbart haben. Diese zunehmende Vereinsamung wird sich auch nach der Pandemie gesellschaftlich weiter festsetzen.
Dabei formulierten bereits die Soziologen Jutta Allmendinger und Jan Wetzel: "Zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen muss Kontakt bestehen. Es braucht Kontexte, in denen sich einander fremde Menschen begegnen können. Und es braucht ein Mindestmaß an Gleichheit, das den Kontakt auf Augenhöhe ermöglicht."
Gesellschaften mit hoher Vertrauensquote sind erfolgreicher
Vertrauen ist ein elementarer Bestandteil des "sozialen Kapitals". Gesellschaften mit höherem Vertrauen beziehungsweise sozialem Kapital sind fortschrittlicher, haben stärkere Wirtschaften, effektivere und innovativere Demokratien, weniger Kriminalität, und erleichtern das Zusammenleben, was sich letztlich auf die physische wie psychische Gesundheit jedes Einzelnen auswirkt.
Um das Vertrauen innerhalb der Gesellschaft zu stärken, müssen wir uns aktiv dafür einsetzen, dass es - vor allem nach Corona - wieder Begegnungsräume gibt. Räume, in denen die verschiedensten Gruppen miteinander in Kontakt treten.
Ansonsten wird der nächste "Unterwegs"-Roman nicht von menschlichen Begegnungen erzählen, sondern von der einsamen Fahrt in einem SUV mit getönten Scheiben.