Gesellschaftserbe für alle

Reichtum gerechter verteilen

Großer Geschäftsmann sitzt auf einem Geldstapel und schaut auf kleine klagende Menschen herab.
Die Schere zwischen Arm und Reich geht in Deutschland weiter auseinander. © imago / Ikon Images / Nick Lowndes
Ein Kommentar von Yannick Haan |
Manchen wird gegeben, andere gehen leer aus: Erben verstärkt die Ungleichheit in unserer Gesellschaft, betont Yannick Haan. Er spricht sich deswegen für ein Gesellschaftserbe für alle aus.
Ja, ich habe geerbt. Keine Milliarden oder Millionen, aber ausreichend, um mir eine Wohnung kaufen zu können. Auch mit meinem „kleineren“ Erbe spüre ich im Leben bereits einen großen Unterschied. Bevor ich selbst geerbt habe, war Erben ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft für mich, für alle. Ein Prinzip, das man nicht hinterfragt, weil es schon immer da war.

Erben verstärkt die Ungleichheit

Doch so schön es ist, eine eigene Wohnung zu haben, stellt sich die Frage, ob es gerecht ist, dass ich so leicht und selbstverständlich an sie gekommen bin. Wenn ich mich umschaue, dann bekomme ich daran immer größere Zweifel. Gerade meine Generation, die Generation Y, kann heute kaum noch durch Erwerbsarbeit Vermögen aufbauen. Manche bekommen allerdings eine Sonderausschüttung.
Das spaltet und diese Spaltung verstärkt sich, denn die Vermögen, die in den nächsten Jahren weitergereicht werden, werden nicht nur immer größer, sie werden auch noch immer ungerechter unter den Erben verteilt.  
Auf der einen Seite also die Erben, auf der anderen Seite der Großteil der Gesellschaft, der sich anstrengt, aber kaum Vermögen aufbauen kann. Obwohl alle sagen, dass die zunehmende soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft ein Problem ist, wird über das Erben kaum gesprochen.
In den Koalitionsverhandlungen spielen diese Fragen auch keine Rolle. Mit dem FDP-Mantra „Keine Steuererhöhung“ ist das Thema scheinbar final abgeschlossen. Dabei ist dieses Mantra nur eine Weigerung, nachzudenken. Denn eigentlich treffen hier idealtypisch soziale und liberale Vorstellungen aufeinander und dabei müsste es nicht unbedingt knallen.
Erben ist zumindest in der Form, dass es Reichtum fortschreibt und konzentriert, ein Prinzip, das dem ökonomischen Grundgedanken der SPD widerspricht.  Besänne sich die FDP auf ihre Grundideen sähe auch sie darin einen Widerspruch. Dem wirtschaftsliberalen Grundgedanken liegt ja die Annahme von Chancengerechtigkeit zu Grunde. Jeder soll die Möglichkeit haben, durch Leistung aufzusteigen.
Das Erben greift aber unsere soziale Balance und die Chancengerechtigkeit zugleich an. Kaum ein anderes Thema eignet sich daher so, um ökonomisch den großen sozialliberalen Wurf zu versuchen.

Ein Gesellschaftserbe von 20.000 Euro für jeden

Eine Möglichkeit wäre natürlich, einfach die Erbschaftssteuer zu erhöhen, andere Länder machen es vor. Doch damit wären zwar einige etwas weniger reich. Die Ärmeren hätten jedoch wenig davon.
Die Lösung dieses Problems bietet das sogenannte Gesellschaftserbe. Das könnte so aussehen: Jeder junge Mensch bekommt im Alter von 21 Jahren 20.000 Euro vom Staat „vererbt“. Dieses Geld darf man für Ausgaben in Ausbildung, Wohneigentum oder die Gründung eines Unternehmens verwenden. Zur Finanzierung der Maßnahme wird die Erbschaftssteuer für große Erbschaften erhöht.
Mit diesem Schritt eröffnen sich für viele junge Menschen neue Möglichkeiten. Sie bekommen in einer entscheidenden Phase ihres Lebens finanzielle Unterstützung. Das Gesellschaftserbe würde ihnen etwas Sicherheit geben. Sie könnten selbstbewusster, freier und mutiger ins Berufsleben einsteigen – so wie ihre von Haus aus reichen Altersgenossinnen und -genossen. Das hätte sicher auch Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft.

Ein sozialliberales Leuchtturmprojekt

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kalkuliert, dass eine solche Maßnahme die Vermögensungleichheit deutlich stärker abbaut als beispielsweise die vieldiskutierte Vermögenssteuer. Das Gesellschaftserbe kann die Vermögen der unteren Hälfte der Bevölkerung um 60 bis 90 Prozent steigen lassen. Mit dieser Verschiebung kämen wir der gesellschaftlichen Idee der Eigenverantwortung wieder ein Stück näher.
In vielen ökonomischen Fragen liegen die zukünftigen Koalitionäre weit auseinander. Das Gesellschaftserbe hätte das Potenzial zum sozialliberalen Leuchtturmprojekt zu werden. Es wäre eine Versöhnung des Sozialen und der Liberalen und es wäre eine geradezu mustergültige Rückkehr zu den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Und es wäre eine Maßnahme, die vielen jungen Menschen eine Starthilfe geben würde.

Yannick Haan, 1986 geboren, Publizist und Politiker. Er ist unter anderem Mitglied in der netz- und medienpolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand und Autor des Buches „Gesellschaft im digitalen Wandel – ein Handbuch“. Außerdem ist er Vorsitzender der SPD Alexanderplatz und stellvertretender Vorsitzender der SPD Berlin-Mitte.

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