Gesetzentwurf zum Datenschutz "ist ein echter Rückschritt"

Ein neuer Gesetzentwurf der Regierung Merkel, der die heimliche Videoüberwachung von Arbeitnehmern verbieten soll, ist beim Datenschutzbeauftragten des Landes Berlin, Alexander Dix, auf wenig Gegenliebe gestoßen. Dix kritisiert vor allem, dass der Entwurf die offene Videoüberwachung in sehr viel größerem Umfang zulasse als bisher. "Das ist ein echter Rückschritt", sagte er.
Joachim Scholl: 44 Seiten stark ist der Entwurf zum sogenannten Beschäftigten-Datenschutzgesetz, das die Regierungskoalition Ende Januar verabschieden will. Es geht um einen größeren Schutz von Arbeitnehmern vor heimlicher Bespitzelung durch die Arbeitgeber. Von wegen, sagen die Kritiker, denn der permanenten öffentlichen Kontrolle etwa durch Kameraüberwachung werde durch das Gesetz Tür und Tor geöffnet. Wer hat Recht? Am Telefon ist jetzt Alexander Dix, er ist der Datenschutzbeauftragte des Landes Berlin. Ich grüße Sie!

Alexander Dix: Ich grüße Sie auch!

Scholl: Die Skandale bei der deutschen Bahn, Herr Dix, der Telekom, beim Lebensmitteldiscounter Lidl, als Mitarbeiter heimlich videoüberwacht oder ihre dienstlichen Telefonate abgehört wurden, die soll es in Zukunft nicht mehr geben. Eine heimliche Überwachung will das geplante Gesetz strikt unterbinden – das hört sich nach einem überfälligen Gesetzesakt an. Ist es ein Fortschritt oder doch keiner?

Dix: Also, man muss es differenziert sehen, aber in den von Ihnen angesprochenen Punkten kann ich in dem Gesetzentwurf keinen Fortschritt erkennen. Es ist richtig, dass die heimliche Videoüberwachung künftig nicht mehr erlaubt sein soll. Das wird zwar nicht ausdrücklich verboten, aber sie wird nicht erlaubt im Gesetz, und daraus muss man wohl schließen, dass der Gesetzgeber sie künftig nicht mehr zulassen will. Aber im Gegenzug soll die offene Videoüberwachung nach entsprechender Kennzeichnung in den Betriebsräumen in sehr viel größerem Umfang zugelassen werden, als die Arbeitsgerichte sie bisher zugelassen haben, und das ist ein echter Rückschritt.

Scholl: Wie definiert und begründet der Gesetzesentwurf denn diese offene Überwachung genau?

Dix: Diese offene Überwachung wird mit sehr allgemeinen unbestimmten Rechtsbegriffen in einem Katalog von sieben Regelbeispielen zugelassen, und dieser Katalog ist noch nicht mal abschließend, weil er mit dem Wort "insbesondere" eingeleitet wird. Da soll Videoüberwachung eingesetzt werden können zur Zutrittskontrolle, zur Wahrnehmung des Hausrechts – das ist schon bisher so gewesen, aber auch zum Schutz des Eigentums, zur Sicherheit des Beschäftigten, zur Sicherung von Anlagen und zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Betriebs und zur Qualitätskontrolle, wenn sie rechtlich vorgeschrieben ist. Das sind alles relativ weite Begriffe, und wenn man den Paragrafen zu Ende liest, hat man den Eindruck, dass der Gesetzgeber jedenfalls einer Rundumüberwachung von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz keinen wirklichen Riegel vorschiebt.

Scholl: Was fällt da alles noch drunter jenseits der Kameraüberwachung? Also die Videokontrolle so beim Eingang oder von Betriebsräumen, die liegt ja auf der Hand.

Dix: Das ist richtig. Zunächst mal sagt der Gesetzgeber zu anderen Techniken, die man sich ja auch vorstellen kann, etwa moderne Sensorik, nichts ausdrücklich. Es ist die Rede von optisch-elektronischen Einrichtungen, aber in Klammern heißt das dann immer Videoüberwachung. Von daher ist das auch eine sehr technikfixierte oder zu techniknahe Vorschrift aus meiner Sicht. Man wird sie weiterentwickeln müssen, denn die Technik geht ja weiter, und man kann sich nicht nur auf Kameras beschränken, insofern ist auch das eine lückenhafte Regelung.

Scholl: Was ist mit den Telefonaten, wie ist das geregelt?

Dix: Bei den Telefonaten gibt es aus meiner Sicht auch eine Verschärfung zulasten der Beschäftigten: Offenbar soll die Überwachung insbesondere von Beschäftigten in Callcentern intensiviert werden können. Es ist deutlich geregelt jetzt, dass sowohl die Nutzungsdaten in solchen Callcentern – also wer hat wann mit wem wie lange telefoniert –, als auch der Inhalt dieser Gespräche umfassender gespeichert werden kann, als das bisher möglich war.

Da haben die Datenschutzbeauftragten immer die Auffassung vertreten, dass auch bei Beschäftigten von Callcentern eine Rundumüberwachung unzulässig ist, und es ist andererseits auch nicht zu bestreiten, dass gewisse stichprobenartige Kontrollen bei solchen Gesprächen notwendig sein können, weil natürlich die Callcenter-Betreiber ein Interesse an einer gewissen Qualitätskontrolle haben, aber dann muss zumindest, sollte zumindest dem Beschäftigten signalisiert werden, in welchem Zeitfenster, und dieses Zeitfenster sollte nicht zu groß definiert werden, sie mit einem solchen Mithören zu rechnen haben.

Solche Beschränkungen gibt es jetzt im Gesetzentwurf überhaupt nicht, das heißt, Sie müssen sich darauf einstellen, wer in einem Callcenter arbeitet als Beschäftigte, dessen Tätigkeit wird rund um die Uhr kontrolliert, und zwar ohne dass er das merkt. Er weiß nicht, wann genau mitgehört wird, aber er steht ständig unter dem Druck, dass er sozusagen akustisch beobachtet wird.

Scholl: Das fällt aber auch noch sozusagen unter das Rubrum offene Kontrolle?

Dix: Ja, könnte man so sagen …

Scholl: Sagen wir mal, weil es angekündigt ist, sozusagen?

Dix: Richtig, das könnte man so sagen, das ist aber natürlich alles andere als zufriedenstellend, denn der Leistungsdruck in den Callcentern ist schon jetzt immens hoch, und er wird noch verstärkt werden können. Wie gesagt, gegen Stichprobenkontrollen kann man nicht wirklich etwas einwenden, aber ich halte sie nur so lange für legitim, wie der Beschäftigte sich zum Beispiel darauf einstellen kann, heute ist so eine Kontrolle angesetzt, aber nicht rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr.

Scholl: Zum Streit über ein neues Gesetz, das Beschäftigte vor der Überwachung besser schützen soll, angeblich, sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Berliner Landesbeauftragten für Datenschutz, Alexander Dix. Und ein weiterer kritischer Punkt ist das Internet. Was soll hier in Zukunft verboten sein, was erlaubt? Das Gesetz gibt sich ja auch hier sozusagen als Verbesserung zum Schutz der Arbeitnehmer.

Dix: Da ist die Regelung außerordentlich unzureichend, und sie ist auch jetzt nicht von den Koalitionspartnern noch nachgebessert worden. Es gibt nur eine ganz allgemeine Regelung, dass Nutzungsdaten bei der Nutzung von Internetdiensten etwa zu Abrechnungszwecken und auch zur stichprobenartigen Verhaltens- und Leistungskontrolle genutzt werden darf. Aber es ist schon die entscheidende Frage nicht beantwortet, die ganz wesentlich ist, ob nämlich der Arbeitgeber die Nutzung des Internets oder von E-Mail etwa für private Zwecke zugelassen hat oder nicht, den davon hängt ja einiges andere ab, insbesondere ob etwa das Telekommunikationsgeheimnis bei der Nutzung von E-Mail tangiert ist oder nicht. Hier hat der Gesetzgeber, will der Gesetzgeber offenbar nur diese Sonderregeln für Callcenter, die auf Telefondienste explizit beschränkt sind, einführen, während die allgemeine Nutzung von Telekommunikation wird nur in sehr vager Form geregelt. Da wird weiterhin Rechtsunsicherheit herrschen.

Scholl: Es heißt ja auch, dass sozusagen der Chef jetzt bei einer Bewerbung nicht sich als Freund einschleichen darf auf die Facebook-Seite des Betroffenen. Man fragt sich ja instinktiv, wie soll das eigentlich jemand kontrollieren.

Dix: Da ist zum einen jetzt vorgesehen, dass man, wenn man sich bei Facebook registriert und keinerlei Beschränkungen hinsichtlich des Freundeskreises vornimmt, dass man dann damit rechnen muss, dass jeder Arbeitgeber bei künftigen Bewerbungen mitliest. Die frühere Regelung, die im Regierungsentwurf vorgesehene Regelung war etwas datenschutzfreundlicher, und ich bin auch nicht der Meinung, dass eine solche Regelung, wenn man sozusagen die Nutzung von sozialen Netzen durch Arbeitgeber einschränken will, nicht durchsetzbar oder illusorisch wäre. Es ist ähnlich wie bei der Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben. Auch da wird ein Arbeitgeber seine Motive nicht immer sozusagen vor sich hertragen und offenlegen, trotzdem ist die Benachteiligung von Frauen verboten, und das ist auch richtig so. Es sind nicht alle Rechtsregeln im Arbeitsrecht immer eins zu eins wirklich durchsetzbar, trotzdem gibt es gute Gründe dafür, dass nicht hinter dem Rücken der Beschäftigten in sozialen Netzwerken recherchiert wird.

Scholl: Nun haben am Wochenende auf die jetzt schon geäußerte Kritik an diesem Gesetzesentwurf Regierungsvertreter, verschiedene Regierungsvertreter bekräftigt, dass die öffentliche Überwachung, die offene Überwachung, wie sie das Gesetz eben vorsieht, an strikte Vorgaben gebunden sein soll. Ist das sozusagen diesem Gesetzentwurf zu entnehmen, welche strikten Vorgaben das sein sollen?

Dix: Also, ich finde, die Vorgaben sind nicht besonders strikt. Es war bisher, muss man einräumen, Sache der Arbeitsgerichte, hier Einschränkungen zu formulieren, insofern war das alles Richterrecht. Der einzige Fortschritt, den ich jetzt erkennen kann, dass man das zu einem Gesetz, einem Katalog von unbestimmten Rechtsbegriffen nachlesen kann. Nur die sind so unbestimmt, dass dem Arbeitgeber ein weiter Spielraum für den Einsatz von Videotechnik bleibt, und meiner Ansicht nach ist der Spielraum zu weit. Man sollte die Gelegenheit ergreifen und die Beschäftigten stärker vor elektronischem Überwachungsdruck schützen.

Scholl: Die Gewerkschaften befürchten nun, dass durch dieses Gesetz Arbeitgeber noch mehr Druck auf ihre Mitarbeiter ausüben könnten. Man spricht von einem Anschlag auf die Arbeitnehmerrechte. Sehen sie das auch so, öffnet das Gesetz Tür und Tor zur Rundum-Überwachung?

Dix: Es wird jedenfalls, die Gefahr sehe ich durchaus, und es wird erhebliche Rechtsstreitigkeiten geben über die Grenzen dieser Videoüberwachung. Hier hätte der Gesetzgeber klarere Grenzen ziehen müssen. Und ich bin im Übrigen auch nicht der Überzeugung, dass sozusagen das Verbot der heimlichen Videoüberwachung, wenn es denn dem Gesetz so zu entnehmen ist, wirklich praktikabel ist. Denn es gibt durchaus Fälle, in denen die Arbeitsgerichte in der Vergangenheit auch eine heimliche Videoüberwachung in engen Grenzen zugelassen haben für den Arbeitgeber. Wenn dem Arbeitgeber dieses Instrument jetzt aus der Hand genommen wird, dann wird er dazu übergehen, in Zukunft früher die Staatsanwaltschaft einzuschalten, denn die kann heimlich durchaus Videotechnik einsetzen, und das bedeutet aber, dass eine große Zahl von Personen unter Umständen von solchen staatlichen Maßnahmen dann betroffen sein wird, das muss man immer auch im Blick behalten.

Scholl: Das geplante Gesetz zum Beschäftigten-Datenschutz. Wir haben dazu Alexander Dix gehört, er ist Datenschutzbeauftragter des Landes Berlin. Besten Dank, Herr Dix!

Dix: Ich danke auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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