Gesetzesänderung

Vater kämpft für Wiederverurteilung eines mutmaßlichen Mörders

07:12 Minuten
Illustration: Richterhammer trifft von oben auf eine Person, im Hintergrund sind mehrere Silhouetten auf buntem Grund.
Bisher galt vor Gerichten in Deutschland: Ein Freispruch gilt für immer. Doch das soll sich in gewissen Fällen nun ändern. © imago images / Ikon Images
Von Peggy Fiebig |
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Weil er zuvor freigesprochen wurde, lebt ein mutmaßlicher Mörder und Vergewaltiger trotz neuer belastender Beweise auf freiem Fuß. Denn wegen derselben Tat darf niemand zweimal vor Gericht landen. Ein neues Gesetz ändert das jetzt.
"Frederike, die war ja sehr musikalisch und die ging dann von ihrem Chor, in dem sie sang, da wollte sie nach Hause fahren. Mir wurde dann erzählt, sie hätte nur zehn Groschen gehabt, da wollte sie jemanden erreichen, der sie nach Hause fährt und das hat aber nicht geklappt. Und da ist sie dann per Anhalter gefahren."
Hans Möhlmann berichtet hier vom wohl schlimmsten Tag seines Lebens: Denn seine Tochter Frederike kam an jenem Tag nicht zu Hause an. Die Leiche der 17-Jährigen wurde ein paar Tage später gefunden. Frederike war vergewaltigt und ermordet worden. Vor nun 40 Jahren war das. Ein Verdächtiger wurde damals schnell gefunden, das Landgericht Lüneburg verurteilte Ismet H. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil später allerdings wieder auf, in der Folge wurde Ismet H. freigesprochen. Ein Schock für Hans Möhlmann.
"Naja, das war ja ganz beschissen. Entschuldigung, wenn ich das so sage."

Kein zweiter Prozess, trotz neuer Beweise

Der Vater wollte das aber nicht auf sich beruhen lassen. Auf seinen Druck hin wurden 2012 alle seinerzeit gefundenen Beweise nochmal überprüft. Und tatsächlich wurden an Frederikes Sachen DNA-Spuren von Ismet H. gefunden.
"Siehe da, er war der Täter, man hatte dem richtigen Mann den Prozess gemacht und man hatte den richtigen Mann falsch freigesprochen", erzählt Rechtsanwalt Wolfram Schädler. Er begleitet Hans Möhlmann seit Jahren als juristischer Beistand.
Die beiden haben sich nichts Geringeres vorgenommen, als das Gesetz zu ändern. Das Gesetz, das bis dato verhinderte, dass in einem Fall wie dem von Frederike Möhlmann der mutmaßliche Täter noch einmal vor Gericht gestellt werden kann, wenn neue Beweise auftauchen.
"Ja, wenn Sie mit Leuten reden über den Fall, dann sagt jeder, das kann nicht sein."
Auch Hans Möhlmann dachte so. "Für mich war das immer unfassbar, dass ein Mann, obwohl es Möglichkeiten gibt, ihn zu verurteilen durch Nachweis, dass der frei herumläuft. Das konnte ich mir nicht vorstellen."

Die Regel war: Ein Freispruch gilt für immer

Das Gesetz ist hier aber klar, eine Wiederaufnahme rechtskräftiger Entscheidungen ist nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich. Schon gar, wenn es um die mögliche Verurteilung eines vormals Freigesprochenen geht. Die Regel war: Ein Freispruch gilt für immer.
Das hat sich jetzt geändert: Nicht zuletzt aufgrund der Petitionen, die Hans Möhlmann gestartet hatte, hat sich der Gesetzgeber zu einer Änderung der Strafprozessordnung entschlossen.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Fechner erklärt, warum – für schwere Straftaten – eine Gesetzesänderung notwendig war. Man wollte, "dass ein solcher Täter bei den unverjährbaren Taten Mord und Völkermord nie sicher sein kann, nicht doch noch verurteilt zu werden, wir meinen, dass hier die Rechtssicherheit zurückzutreten hat, wohlgemerkt nur bei den unverjährbaren Straftaten. Ich finde, das ist nicht hinnehmbar für einen Rechtsstaat, dass feststeht, eine Person hat einen Menschen ermordet, aber kann frei herumlaufen."

Bundestag hat Gesetzesänderung verabschiedet

Auf den allerletzten Metern der vergangenen Legislaturperiode hat der Bundestag die Gesetzesänderung dann verabschiedet. Allerdings nicht ohne Gegenstimmen.
Der FDP-Abgeordnete Jürgen Martens: "Der Rechtsstaat ist dadurch Rechtsstaat, dass er eben die Strafverfolgung aus der Hand der Betroffenen, der Opfer und ihrer Angehörigen, nimmt und für den Staat handelt. Das Ziel ist nicht Rache oder Genugtuung. Das Ziel ist die Herstellung eines Rechtsfriedens. Das mag unvollkommen sein, Gerechtigkeit wird auch nicht immer erreicht. Mit dieser fehlenden oder schwankenden Gerechtigkeit müssen wir leben, wenn wir ein Rechtsstaat sein wollen, der sich an Prinzipien hält, die er sich selber setzt."
Das Prinzip, von dem Martens hier spricht, ist der "Ne bis in idem" – Grundsatz. Der lateinische Begriff besagt, dass niemand wegen der gleichen Tat zweimal vor Gericht gestellt werden darf, und ist auch im Grundgesetz zu finden.

Rechtsfrieden bedroht?

Der Berliner Rechtsprofessor Carsten Momsen erläutert den dahinterstehenden Gedanken: "Das Ganze soll dazu dienen, das Rechtsfrieden eintritt, dass man eben nicht sein Leben lang damit rechnen muss, dass ein Verfahren nach Freispruch wieder aufgerollt wird."
Momsen befürchtet, dass nach diesem ersten gesetzgeberischen Schritt weitergehende Forderungen bald folgen werden: "Es wird nicht lange dauern, bis einschlägige Kollegen dann kommen: ‚Naja, Sexualdelikte, da haben wir ähnliche Beweislage, auch schwere Delikte, deshalb müssen wir es da auch ausweiten.‘ Und das ist so ein bisschen die Dammbruchsorge, die ich habe, dass das passieren kann."
Auch als der Gesetzentwurf im Rechtsausschuss des Bundestages beraten wurde, hatten sich mehrere Experten wie der Berliner Strafverteidiger Stephan Conen skeptisch geäußert. Faktisch würde dann jeder Freispruch in einem Mordprozess unter dem Vorbehalt späterer Beweise stehen, unabhängig davon, ob sie später dann tatsächlich zu einer Verurteilung führen oder nicht, sagt der Jurist und nennt ein Beispiel:
"Zeugen, die die Aussagen zu Recht verweigert haben, werden künftig die Wiederaufnahme zuungunsten begründen können, wenn sie sich zur Aussage im Nachhinein entschließen. Man muss sagen, dieser Gesetzentwurf schafft "ne bis in idem" für vom Mord freigesprochene Personen faktisch ab."

Offener Brief soll Gesetz verhindern

Andere Rechtswissenschaftler wie der Tübinger Rechtsprofessor Jörg Eisele meinen dagegen, dass eine Gesetzesänderung sogar verfassungsrechtlich geboten ist, "da ansonsten bei den schwersten Straftaten, die das deutsche Strafrecht kennt, sehenden Auges, trotz vorliegender Beweismittel eine Verurteilung nicht möglich ist. Dies erschüttert nicht nur das Vertrauen in die Rechtsordnung, sondern ist auch für die Angehörigen ein schlichtweg unerträgliches Ergebnis."
Dem hat sich der Bundestag angeschlossen und in seiner letzten Sitzung am 25. Juni das Gesetz zur Wiederherstellung materieller Gerechtigkeit beschlossen.
Allerdings muss das neue Gesetz noch vom Bundepräsidenten unterzeichnet werden. Genau dagegen wendet sich jetzt eine Gruppe von Juristen, die meinen, dass das neue Gesetz die Verfassung verletzt. In einem Offenen Brief appelliert die Initiative #nichtzweimal an Frank-Walter Steinmeier, das Gesetz noch zu stoppen. Der Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Ulf Buermeyer, ist einer der Unterzeichner des Briefes.
"Die massive Kritik in der Anhörung im Rechtsausschuss wurde letztlich vom Tisch gewischt und das Gesetz in einer Nacht und Nebel-Aktion durch den Bundestag gebracht. Und das, obwohl es nicht das geringste rechtspolitische Bedürfnis gibt. Wir reden von absoluten Einzelfällen, die von diesem Gesetz betroffen sind, zugleich aber werden rechtspolitische Grundwerte über Bord geworfen und wir finden es außerordentlich bedenklich, dass sich der Gesetzgeber für ein solches Vorhaben hergegeben hat."
Unterschreibt der Bundespräsident das neue Gesetz aber doch, bleibt den Kritikern nur noch die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht. Denn früher oder später wird es dort wohl landen.
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