Gesetzliche Betreuung

Viel Verantwortung für wenig Honorar

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Hängetaschen für private Versicherungsunterlagen mit Stichwörtern, etwa Rente und Krankenversicherung.
Miete, Strom, Haushaltskonto: Bei der Organisation des eigenen Lebens erhalten Menschen bei Bedarf Hilfe durch gesetzliche Betreuerinnen und Betreuer. © dpa-Zentralbild / Jens Wolf
Von Andreas Boueke |
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Wer damit überfordert ist, die eigenen Finanzen zu regeln, kann eine gesetzliche Betreuung vom Gericht zur Seite gestellt bekommen. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die allerdings schlecht vergütet wird.
Die Sozialpädagogin Saskia Gerecke sitzt hinter dem Steuer ihres Autos. Vor fünf Jahren hat sie sich als gesetzliche Betreuerin selbstständig gemacht. Jetzt ist sie auf dem Weg zu ihrer Klientin Carolina.
"Bei Carolina gibt es eine Behinderung, eine geistige Einschränkung, aber auch körperliche Einschränkungen", erklärt Gerecke. "Sie lebt in einer Einrichtung und arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen."

Praktische Hilfe und persönlicher Kontakt

Saskia Gerecke wurde vom Amtsgericht Bielefeld als gesetzliche Betreuerin von Carolina bestellt. Aufgrund ihrer körperlichen und psychischen Einschränkungen kann Carolina ihre bürokratischen und finanziellen Angelegenheiten nicht selbst regeln. In solchen Situationen hilft eine gesetzliche Betreuung.
Aber auch der persönliche Kontakt zu den Klientinnen und Klienten ist wichtig. Deshalb besucht Saskia Gerecke mindestens einmal im Jahr die stationäre Einrichtung, in der Carolina untergebracht ist. Das Haus gehört zu den von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, einer traditionsreichen kirchlichen Stiftung privaten Rechts in Bielefeld.

Rückendeckung für die Herausforderungen des Alltags

"Etwas Unterstützung braucht man ja, von Saskia. Sozusagen Rückendeckung", sagt Carolina. "Sie überweist ein paar Dinge aufs Konto. Ja, es ist zumindest eine Hilfe. Man soll ja keine 600 Euro vom Konto abheben. Dann hat man am Ende nichts mehr drauf. Richtig geschimpft hat sie noch nicht. Sie hat mich aber oft erinnert, nicht allzu viel Kohle abzuheben."
Bis ins Jahr 1992 war für die stationären Einrichtungen in Bethel ein eigener Betreuungsverein zuständig, der direkt mit der Finanzverwaltung der von Bodelschwinghschen Stiftungen kooperierte.
Diese Struktur musste geändert werden, erklärt die Diakonin Gundula Löhr: "Da wurde dann vom Gesetzgeber festgelegt, dass die Menschen, die in einer Institution arbeiten, rechtliche Betreuung nicht ausführen dürfen, damit es keinen Interessenkonflikt gibt."

Größtmögliche Unabhängigkeit der betreuten Personen

Gundula Löhr sitzt an ihrem Schreibtisch in den Räumen des neuen Vereins für Betreuungen in Bielefeld e. V., der noch immer in einem Haus in Bethel untergebracht ist.
"Die Betreuung bedeutet nicht, dass jemand nicht für sich Dinge entscheiden darf, und das heißt auch nicht, dass der Betreuer alles über diese Menschen entscheiden darf", erläutert Löhr. "Im Gegenteil wird eigentlich die rechtliche Betreuung so aufgefasst, dass der Betreuer nur dann tätig sein soll, wenn jemand das selbst nicht kann. Oder aber, wenn er mit dem Betreuten gesprochen hat und das miteinander vereinbart ist, dass da jetzt etwas unternommen wird."
Seit der Gesetzesänderung von 1992 hat sich die Zahl der gesetzlich betreuten Personen in Deutschland verdoppelt. Zurzeit spricht der Verband der Berufsbetreuer von rund 1,3 Millionen Menschen, die von Angehörigen, Ehrenamtlichen oder Berufsbetreuerinnen unterstützt werden. Betroffene mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen können sich auf das Bundesteilhabegesetz berufen. Dessen Tenor lautet: Niemand soll über den Kopf von Menschen mit psychischen Einschränkungen hinweg entscheiden.

Orientiert am mutmaßlichen Willen der Betroffenen

Deshalb haben gesetzliche Betreuer heute nicht mehr dieselben Befugnisse wie früher ein Vormund, erklärt der Geschäftsführer des Vereins für Betreuungen in Bethel e. V., Wolfgang David: "Wir besprechen in der Regel, sofern das natürlich auch noch möglich ist, Dinge, die geregelt werden sollen. Wir sind im Kontakt, wenn jemand sich zum Beispiel auch nicht mehr äußern kann zu Dingen, die geregelt werden sollen. Dann sind wir auch an dessen mutmaßlichem Willen orientiert."
Bei gesundheitlichen Fragen ist es sehr hilfreich, wenn die Betroffenen eine Patientenverfügung ausgestellt haben, als sie noch eigenständig entscheiden konnten. Häufig aber liege kein solches Dokument vor, sagt David:
"Wir recherchieren dann zum Beispiel auch: Was wäre denn wohl der wahrscheinliche Wunsch des Betroffenen gewesen, wenn er sich jetzt hier äußern könnte? Was würde er dann jetzt sagen? Er kann es jetzt im Moment nicht mehr, also recherchiere ich in dem Bekanntenkreis, bei den Angehörigen, in der Nachbarschaft, wo auch immer. Was für Maßnahmen sollen im Rahmen einer ärztlichen Handlung denn erfolgen?"

Betreuungsvereine kurz vor der Pleite

Für die Betreuerinnen und Betreuer selbst gab es 14 Jahre lang keine Erhöhung der Vergütung, trotz eines sich zunehmend vergrößernden Aufgabenbereichs. Das hat eine Pleitewelle unter den rund 800 Betreuungsvereinen in Deutschland ausgelöst. Zudem gibt es nicht mehr genug Menschen, die diese verantwortungsvolle, aber eher schlecht bezahlte Arbeit übernehmen wollen. Im Jahr 2019 gab es zumindest eine kleine Anpassung der Vergütung.
"Aber das reicht eben nicht, für uns reicht es so nicht", sagt Gundula Löhr. "Eigentlich ist es so, dass die Betreuungsführung für die Betreuungsvereine immer nur noch ein Minusgeschäft ist. Es sei denn, die bekommen von Drittstellen irgendwelche Mittel gesponsert. Bei vielen Vereinen ist es so, dass sie an die Diakonie angebunden sind, oder an die AWO oder den Paritätischen, und dass die dann irgendwelche Gelder umschichten. Sonst wären die meisten Vereine schon pleite."
Auch Kirchensteuern fließen in die Betreuungsarbeit. Die Caritas und das Diakonische Werk nutzen eigene Gelder, um ihre Betreuungsvereine finanziell abzusichern. Wer keine solchen Subventionen bekommt, hat es schwer. In den vergangenen Jahren mussten zehn Prozent der Vereine schließen.

"Diakonische Tätigkeit im klassischen Sinne"

Das einstmals selbstverständliche Modell der Großfamilie, deren Angehörige sich gegenseitig unterstützen, ist heute eine Ausnahme. Zudem wird die Bevölkerung älter, sodass viele Menschen länger Beistand brauchen. Und immer mehr Menschen leiden unter psychischen Erkrankungen. Als Geschäftsführer eines Betreuungsvereins weiß Wolfgang David: Der Aufwand steigt und damit die Kosten.
"Für mich ist es auch eine diakonische Tätigkeit im klassischen Sinne", sagt er: "Was ist die Aufgabe von Diakonie? Die Menschen zu unterstützen in der Gesellschaft, den Leuten ihre Rechte zu erstreiten. Es ist ein Bereich, in dem man Menschen helfen kann, die ja am Rande der Gesellschaft stehen. Da räumen wir Hindernisse aus dem Weg. Ich glaube, man braucht ein Unrechtsbewusstsein, dieses Gefühl: ‚Ich kämpfe für Gerechtigkeit.‘ Und oft ist es ja so, dass wir die Schwächsten der Gesellschaft hier begleiten, unterstützen. Das ist kein Helfersyndrom, aber das ist vielleicht so ein Gerechtigkeitsempfinden, das man hat. Und das entspricht auch einem diakonischen Auftrag."
Seit der Bundestag im Jahr 2009 die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert hat, sollen die zuständigen Sozialämter besonders genau kontrollieren, wie die Gesellschaft Menschen mit Einschränkungen behandelt. Das findet Gundula Löhr gut. Als Diakonin möchte sie einen Beitrag dazu leisten, dass auch Personen, die in stationären Einrichtungen wohnen, frei und eigenständig Entscheidungen über ihre Leben treffen können.

Alle Rechte nutzen, die es gibt

"Ich gehe davon aus, dass das genauso wie andere soziale Bereiche einfach im Sinne der Nachfolge Jesu praktiziert wird", sagt Löhr. "Jesus ist auf die Menschen zugegangen, die Hilfe brauchten, hat nicht danach gefragt, wo die herkommen, warum sie Hilfe brauchen, warum sie krank sind oder was sie in ihrem Leben falsch gemacht haben. Sondern er hat gesagt: Hier, ich helfe dir jetzt."
In diesem Sinne versteht Gundula Löhr auch die Arbeit der gesetzlichen Betreuerinnen und Betreuer. "Wir gucken nicht: Wo kommen die Leute her? Warum sind sie Alkoholiker oder nehmen Drogen? Sondern wir sagen: Okay, bei dir ist es jetzt gerade nicht so wie bei anderen in Ordnung. Da gucken wir jetzt, was wir für dich tun können, und zwar im rechtlichen Sinne", erklärt sie.
"Also, eben Ansprüche geltend machen, Unterstützung in den unterschiedlichsten Bereichen, für die wir vom Gericht bestellt sind. Zu gucken, wenn wir den Bereich der Vermögenssorge haben: Wo kommt das Geld her, damit die Menschen ihren Lebensunterhalt decken können? Sozialhilfe beantragen oder Leistungen beim Jobcenter beantragen, Pflegegeld. Alles, was irgendwie geht.
Als Diakonin sieht Gundula Löhr ihre Aufgabe nicht darin, Konflikte zu vermeiden oder harmonische Lösungen zu finden. Im Gegenteil. Sie ist der Meinung, die gesetzliche Betreuung brauche konfliktfähige Menschen, die sich trauen, auch mal in Konfrontation mit Ämtern zu gehen.
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